Kategorie Innovation & Technologie - 2. Juli 2015
Polizei holt Hilfe aus der Luft
Könnte eine Drohne, ein unbemanntes Flugobjekt, einen Amokfahrer stoppen? Hätte diese Technik ein Unglück wie vor zwei Wochen in Graz verhindern können? Das kann heute kein Wissenschaftler beantworten. Doch in einem aktuellen EU-Projekt werden ähnliche Szenarien durchgespielt. Ziel des dreijährigen Aeroceptor-Projekts ist es, Technologien für unbemannte Flugobjekte zu entwerfen, damit die Exekutive „nicht kooperative Fahrzeuge zu Land und zu Wasser“ stoppen könnte: ganz ohne Waffen.
Bisher geht es dabei nicht um konkrete Prototypen oder Produkte, die schon bald in einer Verfolgungsjagd zum Einsatz kommen können. Sondern darum, herauszufinden, was möglich ist und welche bereits bestehenden Technologien einfach und sinnvoll kombinierbar sind.
Angedacht ist dabei, dass die Drohne ein Netz auf das Fahrzeug schießt, damit sich das Auto oder der Antrieb eines Bootes darin verfängt. Oder einen Kunststoffschaum, der auf das Auto oder dessen Windschutzscheibe gesprüht wird und dort verhärtet. Das Ganze verläuft nicht vollautomatisch, sondern wird von Sicherheitskräften auf dem Boden gesteuert.
Auch an Techniken, die Autoreifen durchbohren oder durch elektromagnetische Pulse die Elektronik des Fahrzeuges außer Kraft setzen, wird gedacht. Bis hin zu ganz einfachen Methoden, wie aus der Luft einen Paintball auf das Fluchtauto zu werfen, damit der Exekutive am Boden die Verfolgung des farbig markierten Gefährts erleichtert wird.
Drohnen schonen Polizisten
Die Forscher haben dabei die Sicherheit der Menschen im Visier: So wären bei einem Drohneneinsatz die Sicherheitskräfte weniger nahe an den Kriminellen und dadurch weniger gefährdet. Man hofft auch, dass Drohnen das Risiko von Überreaktionen vonseiten der Exekutive verringern. Zudem sollen Fluggeräte günstiger und umweltfreundlicher sein, als es bisher Bodeneinsätze sind.
Geleitet wird dieses Projekt, bei dem sechs europäische Länder und Israel zusammenarbeiten und das von der EU mit 3,5 Millionen Euro gefördert wird, vom spanischen Nationalen Institut für Luft- und Raumfahrttechnik bei Madrid. In Österreich ist das Austrian Institute of Technology, AIT, an Aeroceptor beteiligt: Das Digital Safety & Security Department bringt seine Expertise ein, wenn es um die Zuverlässigkeit und die Prüfung neuer Technologien geht.
Was kann passieren?
„Es gibt sehr viele Gründe, warum jemand der Exekutive davonfährt: Die Frage ist, was muss man alles beachten, wenn man so jemanden mit einem unbemannten Flugobjekt stoppen will. Und wie kann man garantieren, dass rundherum niemand gefährdet wird“, sagt Manfred Gruber, Leiter der Business Unit Safe and Autonomous Systems am AIT. Sein Team entwirft alle möglichen Szenarien, die konkret durchgespielt werden können. „Es ist dabei egal, mit welcher Technologie im Endeffekt gearbeitet wird. Wir erstellen Sicherheits- und Risikoanalysen, die auf verschiedenste technische Systeme angewendet werden können.“
Wie in einem Katalog werden mögliche „Was kann passieren?“-Szenarien gesammelt: Was passiert, wenn ein Computer ausfällt? Was, wenn ein Sensor oder eine Kamera am Flugobjekt nicht funktioniert? Was passiert, wenn das Signal zwar korrekt gesendet wird, die Bodenstation aber nicht reagiert? Was, wenn ein Motor oder eine Steuerung blockiert?
Gefährdung ausschließen
„Am wenigsten passiert bei einem Defekt, wenn das Gefährt einfach stehen bleibt oder auf den Boden fällt. Doch man muss stets bedenken, welcher Schaden angerichtet wird: sowohl materieller Schaden als auch an Personen“, betont Gruber. Ein Beispiel wäre, dass dem Flugobjekt, das eventuell auch mit einem Greifarm ausgestattet werden soll, etwas „aus der Hand“ fällt und Menschen darunter verletzt.
Einige mögliche Fehler kann man durch redundante Systeme vorab ausmerzen. Einfach gesagt: Wenn ein Computer ausfällt, gibt es einen zweiten, der genau dieselben Funktionen übernehmen kann.
Aber was passiert, wenn die elektromagnetischen Pulse, die eigentlich das Fluchtauto außer Kraft setzen sollen, auch die Elektronik am Fluggerät selbst behindern? „Wir erforschen auch, welche Auswirkungen solche elektromagnetischen Pulse für den Autofahrer haben sowie für Passanten und Polizisten in der Nähe“, sagt Gruber.
Weiters darf man bei vernetzten Systemen nie die Gefahr von außen unterschätzen: Hacker und Computerviren könnten die Drohnen fehlleiten. So ergeben sich unzählige Szenarien, die teils theoretisch, teils praktisch durchgespielt werden müssen, bevor man neue Technologien wie diese umsetzt.
Die Kamera und das Wetter
Die AIT-Forscher haben bereits automatisierte Methoden entwickelt, die alle möglichen Fälle durchspielen. „Das kommt bereits im Automotiv- und Eisenbahnbereich zum Einsatz“, sagt Gruber. In Autos stecken heutzutage bis zu 100 kleine Computer für Steuerungsaufgaben vom Motor bis zum Fensterheber, bei denen mögliche Fehler vorab sichtbar gemacht werden.
„Wir haben auch bei Kamera-basierten Sensoren, wie sie wohl auf so einem Fluggerät eingesetzt werden, große Erfahrung“, sagt Gruber. Bei diesen muss man nicht nur die technischen Fehlerquellen durchgehen, sondern auch sicher stellen, dass äußere Einflüsse wie Wetter und Lichtverhältnisse an der Zuverlässigkeit des Systems nichts ändern.
„Auf den von uns entwickelten Modellen kann man alle Algorithmen testen, damit ein System auch bei kritischen Situationen wie Nebel oder Schneefall funktioniert. Das ist überall wichtig, wo Kamera-basierte-Sensoren zum Einsatz kommen“, sagt Gruber.