Kategorie Innovation & Technologie - 25. Februar 2017
Die Sonne bringt die Zugkraft
Wer zwischen Bruck an der Leitha und Wilfleinsdorf südöstlich von Wien aus dem Zugfenster blickt, vermutet richtig: Auf den rund 7000 Quadratmeter großen, nach Süden ausgerichteten Solarpaneelen neben der Bahntrasse wird Strom erzeugt. Doch nicht jeder ahnt wohl, dass die Fahrt an einer Weltpremiere vorbeiführt. Denn die vor rund zwei Jahren an der Ostbahn errichtete Solaranlage war international die erste, die den Strom mitten auf dem Feld in die für die Bahn benötigten 16,7 Hertz umwandelt und sofort in die Oberleitung einspeist.
Rund 1100 Megawattstunden pro Jahr sollte sie liefern. Das entspricht der von 200 Zügen für die Fahrt von Wien nach Salzburg benötigten Energie. Doch schon in den ersten beiden Jahren seit ihrer Inbetriebnahme zu Jahresbeginn 2015 lieferte die Anlage rund zehn Prozent mehr. Auch weil der Strom verbraucht wird, wo man ihn erzeugt. „So lassen sich die Übertragungsverluste minimieren“, schildert Projektleiter Michael Gammer von der ÖBB Infrastruktur. Und Kosten reduzieren. Denn andere ÖBB-eigene Kraftwerke, vor allem Wasserkraftwerke, würden zwar eine größere Leistung bringen, aber nicht immer in der Nähe einer Bahnstrecke sein. Der Strom muss erst dorthin transportiert werden.
Anderer Strom als für Toaster
Aber auch die Sonnenenergie braucht eine eigene Aufbereitung, bevor sie einen Zug speisen kann. Die Solarmodule erzeugen Gleichstrom, Züge brauchen die sinusförmige Wechselspannung. Und weil sie außerdem nicht wie ein Haushaltsgerät, etwa ein Toaster, mit einer Frequenz von 50 Hertz funktionieren, muss der Strom passend umgewandelt werden. Das passiert in eigens für die Anlage entwickelten Wechselrichtern. „Dieser verbindet die Solarpaneele mit dem Bahnnetz“, erklärt Elektrotechniker Rudolf Oberpertinger von der FH Campus Wien, der das Projekt wissenschaftlich begleitete.
Neben der speziellen Frequenz müssen die insgesamt 95 Wechselrichter mit ihren intelligenten Schaltungen große Spannungs- und Frequenzschwankungen beherrschen. „Fährt eine Lok vorbei, bricht die Spannung ein“, sagt Georg Pöppl, Leiter des Life-Cycle-Managements Energie bei der ÖBB Infrastruktur. Denn eine Lokomotive vom Typ Taurus hat eine Spitzenleistung von sieben Megawatt: Das ist, als würde jemand 110.000 Stück 60-Watt-Glühbirnen zugleich einschalten.
Daneben braucht es aber auch „normalen“ Strom. Die Messgeräte und ein Trennschalter, mit dem sich die Anlage etwa bei einem Kurzschluss ferngesteuert vom Netz nehmen lässt, funktionieren mit 50 Hertz. Auch diesen erzeugt die Solaranlage. An der Ausführung hat man intensiv getüftelt. „Wir haben lang gerechnet, um die optimale Größe der Solaranlage herauszufinden“, erzählt Pöppl. Um die Anlage wirtschaftlich betreiben zu können, braucht es nämlich eine bestimmte Mindestgröße. Das von den Ingenieuren der ÖBB entwickelte Einspeisekonzept funktioniert aber nicht mehr über einer gewissen Größe.
Der Star der Weltausstellung
Das Experiment ist gelungen, weitere Solaranlagen – zunächst drei weitere in Niederösterreich, später auch entlang von Strecken in anderen Bundesländern – sollen folgen. Damit wollen die Bundesbahnen die benötigte Energie künftig noch ökologischer gewinnen. Aber schon jetzt stammen 92 Prozent des Bahnstroms aus erneuerbarer Energie, der Großteil davon aus Wasserkraft, ein kleinerer Teil aus Erdgas oder zugekauftem Wind- und Solarstrom. Das spart auch Emissionen: geschätzte 3,4 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr.
Und weil sie die Erwartungen erfüllte, wird die Wilfleinsdorfer Solaranlage im September eine der österreichischen Attraktionen auf der Weltausstellung sein. Die Expo im kasachischen Astana steht heuer nämlich ganz im Zeichen der erneuerbaren Energie. (Von Alice Grancy, Die Presse)