Kategorie Innovation & Technologie - 19. Mai 2017

Digitaler Wandel: Innovationsprozesse im Umbruch


APA/APA (dpa)

Unternehmen sind einerseits mit dem digitalen Wandel konfrontiert, andererseits müssen sie sich auch um das zumeist noch analoge Kerngeschäft kümmern. Diese Übergangsphase bringt für den Innovationsprozess viele Herausforderungen mit sich, birgt aber auch enorme Chancen, erklärten Expertinnen und Experten bei einer Podiumsdiskussion der Plattform „Digital Business Trends“ (DBT) in Wien. Hervorgestrichen wurde, dass hier trotz der Bedeutung von Kreativität ein strukturiertes Vorgehen unerlässlich ist.

„Wir leben heute in einer Welt, in der sich Technologien exponentiell entwickeln, nicht mehr linear“, verwies Petra Hauser, Chefin und Gründerin des Beratungsunternehmens Exponential Business Hub auf Themen wie Robotics oder Virtual Reality. „Es geht nicht mehr darum, das Bestehende ein bisschen zu verbessern, sondern ganz anders zu machen.“ Einer Pferdekutsche Gummireifen zu verpassen, wenn das Automobil vor der Tür stehe, sei wenig sinnvoll, so Hauser, die auch das Vienna Chapter der Denkschmiede „Singularity University“ leitet.

Eine Herausforderung sieht sie darin, „dass exponentielle Entwicklungen sehr langsam sind, bevor sie durch die Decke schießen“. Um die notwendige Geduld aufzubringen, brauche es Visionen, Durchhaltevermögen und Führungskraft. Derzeit gebe es eine Übergangsphase, geprägt von enormer Komplexität. Der Mix von „alter“ und digitaler Welt würde zwar nicht überall funktionieren. Gleichzeitig stelle Disruption aber eine Chance dar: „Eine Repositionierung erhöht die Widerstandskraft, ein Kulturwandel ermöglicht Wachstum.“ Notwendig sei ein disziplinierter Prozess von strukturiertem Explorieren und Experimentieren.

„Wenn wir uns nicht ändern, sterben wir. Denn jede Branche kann – und wird – von disruptiven Entwicklungen betroffen sein“, sagte Hauser, die auf eine „Dematerialisierung“ verweist. So besitze Airbnb als weltweit größter „Beherberger“ keine Immobilien und Uber als größtes Taxiunternehmen keine eigene Fahrzeugflotte. Die Digitalisierung werde uns auch körperlich betreffen: Im Jahr 2025 könnten DNA-Sequenzierungen nur mehr wenige Cent kosten und Operationen zu 80 Prozent von Robotern durchgeführt werden.

Kooperation mit Start-ups

Ein Musterbeispiel für die disruptive Entwicklung sei die Energiebranche, sagte Michael Strebl, Geschäftsführer der Wien Energie. Der Trend gehe zu dezentralen, erneuerbaren Technologien. Außerdem würden die Kunden aktiver am Strommarkt teilnehmen und teilweise selbst elektrische Energie erzeugen wollen. Da sei es durchaus eine Herausforderung, das klassische Geschäft weiterzutreiben und gleichzeitig in neue Geschäftsmodelle reinzugehen. „Deshalb arbeiten wir mit vielen Start-ups zusammen, das ergänzt sich gut und hilft gegen Betriebsblindheit“, erläuterte Strebl.

Er ist überzeugt, dass es nicht eine Abteilung geben dürfe, die sich um Innovation kümmert: „Das muss aus dem Tagesgeschäft kommen, nicht aus dem Elfenbeinturm. Der Prozess gehört institutionalisiert, nicht das Thema“, so der Manager. Innovation sei kein Hobby, das nebenbei laufe, da brauche es Freiräume. Für die Energiebranche habe die Zeitrechnung des Smart Home längst begonnen. Hier gelte es, innovativ zu sein und neue digitale Produkte, Dienstleistungen und Tarifmodelle zu entwickeln.

Nudeln aus dem 3D-Drucker

Viel Potenzial ortet Markus Schreiber von der A1 Telekom Austria darin, einen Mehrwert mit Komfort zu verbinden – etwa Schifahrern die Möglichkeit zu bieten, bei schlechten Bedingungen noch kurzfristig am Lift mobil eine Unfallversicherung abzuschließen. Spannende Beispiele seien auch eine Art Uber für Müll, die ein heimischer Entsorgungsbetrieb entwickelt habe, oder ein 3D-Drucker, der Nudeln ganz individuell produziert.

Die Digitalisierung ermögliche, neue Ideen, Dinge, Themen und Geschäftsmodelle einfacher und risikoärmer auszuprobieren. „Fail“ oder „fail fast“ wirke weniger ruinös für ein Unternehmen. Dadurch, dass jeder aus einer Idee ein sogenanntes „Unicorn“-Unternehmen schaffen könne, wachse allerdings auch die Konkurrenz und der Druck auf bestehende Märkte und Geschäftsmodelle. Die Telekom investiere deshalb in Start-ups, veranstalte Innovation Jams sowie Entrepreneurship-Contests und tausche sich aktiv mit anderen Branchen aus, so Schreiber.

Führungskräfte gefragt

„Viele Unternehmen befinden sich auf einer Gratwanderung, einerseits das Kerngeschäft nicht zu vernachlässigen und andererseits Innovationen voranzutreiben“, erklärte auch Marlene Auer, Chefredakteurin von Horizont, Update und Bestseller. Auf dem Weg dahin sei es notwendig, zu experimentieren und manchmal auch zu scheitern. Wenn man auf zehn Klingeln haue, würde eine vermutlich läuten. Auch die Anforderungen an Führungskräfte und Mitarbeiter seien deutlich höher. „Wir arbeiten in einer Welt, die sich alle paar Jahre neu aufstellt. Dafür sind Kreativität und Emotion wesentlich – vor allem im Bereich der Medien“, so Auer.

Durch Innovationen könnten ganz neue Wertschöpfungsstufen erreicht werden, strich auch Andreas Dangl von der Softwareschmiede Fabasoft hervor. Die Digitalisierung von Dokumenten, Handbüchern und Prozessen von Kraftwerksanlagen habe beispielsweise nicht nur den täglichen Ablauf erleichtert. Mit der darauf basierenden Lieferung von aktuellen Daten könnte auch gutes Geld verdient werden. Innovation im Unternehmen komme letztendlich oft aus Abteilungen, von denen die Geschäftsführung oder die R&D-Abteilung es am wenigsten erwarte, sagte Dangl.

Synapsen neu verbinden

Wichtig dabei sei eine Institutionalisierung und Strukturierung von Innovation, zeigte sich Milica Sundic von Deloitte Österreich überzeugt. Zwar könne sich jeder einbringen, wie in einem Online-Forum sei aber ein Administrator notwendig. Innovationsmanagement bedeute, ständig auf der Suche nach Lösungen zu sein, Ideen zu bündeln, den Austausch zu fördern und Themen oder Personen untereinander zu vernetzen, sozusagen die Synapsen in Unternehmen neu zu verbinden, gab sich Sundic, die im Jänner vom Innovationsministerium (BMVIT) mit dem Titel „FEMTech-Expertin des Monats“ ausgezeichnet wurde, überzeugt.

Die IT-Abteilung habe sich vom internen IT-Dienstleister, der rein auf operativer Ebene tätig ist, zunehmend auf die strategische Ebene weiter entwickelt, ergänzte Christian Huemer von der Technischen Universität (TU) Wien. „Der CIO wird erkennen müssen, dass das ‚I‘ nicht nur für Information, sondern vielmehr für Innovation steht.“ Dies erfordere Brückenbauer, die in der Lage sind, Methoden von Start-ups auf Traditionsunternehmen umzulegen und damit unterschiedliche Mentalitäten und Geschwindigkeiten zu überwinden.