21. März 2018
Michael Nentwich: „Die Drohne muss wissen, wohin sie darf“
Von Alice Grancy
Presse: Sie haben die erste österreichische Überblicksstudie durchgeführt, die die Folgen von Transportdrohnen beleuchtet. Welche sind die wichtigsten Erkenntnisse daraus?
Michael Nentwich: Dass es kein Hype ist und nicht nur eine lustige Idee zu Marketingzwecken. Ich hatte gedacht, dass die Firma Amazon das macht, um Werbung für sich zu machen. Tatsächlich gibt es zwar in Österreich noch nicht sehr viele Unternehmen, aber weltweit: vor allem in Asien oder Afrika. Es ist also erstens nicht Science-Fiction, sondern ein Thema, über das man wirklich nachdenken muss.
Und zweitens?
. . . hat sich herausgestellt, dass noch sehr, sehr viele Fragen zu klären sind, bevor das funktionieren kann. Etwa technischer Natur: Die meisten Drohnen sind heute ferngesteuert. Für den Lieferverkehr müssen Drohnen autonom sein, das ist noch in Entwicklung. Sonst müsste ja hinter jedem Packerl ein Pilot stehen, und das rechnet sich sicher nicht.
Tun sich beim autonomen Fliegen ähnliche ethische Fragen auf wie beim autonomen Fahren?
Ja. Beim Auto muss vorher festgelegt werden, wie es bei einem Unfall reagieren soll. Eine Drohne kann herunterstürzen. Was macht sie, wenn sie noch steuern kann, ob sie ein Tier oder einen Menschen trifft? Wie agiert sie bei einer drohenden Kollision in der Luft? Wer entscheidet das? Bei Autos diskutiert man, ob der Passagier beeinflussen kann, ob das Auto eher ihn oder andere schützt. Auch der Besteller einer Lieferdrohne könnte sagen: Ich will unbedingt, dass die Lieferung ankommt – koste es, was es wolle. Bei Autos gibt es bereits einige Grundprinzipien, bei den Drohnen noch gar keine Diskussion.
Wie sicher kann ein Zustellservice über die Luft sein?
Dass diese Flugobjekte nie abstürzen, ist praktisch ausgeschlossen. Das kann man auch bei Flugzeugen nicht ausschließen. Bei schwerer Fracht wie einer herabstürzenden Bierkiste kann viel passieren. Geht man unter einem Kran, muss man einen Helm aufsetzen, weil etwas herunterfallen kann. Müssen wir jetzt alle auf der Straße einen Helm tragen, wenn über uns Drohnen fliegen? Oder erlaubt man nur kleine, niedrig fliegende Packerln, so dass nur wenig passieren kann?
Wie sieht es mit dem Schutz der Privatsphäre aus?
Damit die Flugkörper autonom sein können, sind sie bestückt mit Sensoren und Kameras. Die Frage ist: Was passiert mit diesen Daten? Wenn sie nur lokal verarbeitet werden, ist das kein Problem, weil sich niemand die Filme ansieht. Aber wahrscheinlich wird es so sein, dass die Daten irgendwo gespeichert werden. Man muss fragen: Wie lange, für welchen Zweck, und wer hat Zugang? Man könnte eine Art Blackbox einrichten wie in einem Flugzeug, wo nur die letzten Stunden abgespeichert sind. So ließe sich ähnlich wie bei einem Fahrtenschreiber in einem Lkw kontrollieren, wo und wie hoch eine Drohne geflogen ist. Freilich entstehen dabei sehr viele, auch höchst sensible Daten. Wenn eine Drohne mit einer Lieferung auf meiner Terrasse landet, fliegt sie vorher voll bestückt mit Kameras an anderen Fenstern vorbei. Das ist nicht unlösbar, aber auch darüber hat noch niemand nachgedacht. Die Firmen versuchen in erster Linie, die Maschinen so zu bauen, dass sie funktionieren.
Die Technologien kommen also viel schneller voran als jene, die sie hinterfragen.
Ganz bestimmt, aber wir sind in Österreich in einer guten Situation, weil das Gesetz vorsieht, dass jeder Flug einzeln genehmigt werden muss, wenn eine Drohne eine Kamera mitführt. Und im urbanen Bereich gibt es sowieso ein Verbot. Man kann also noch darüber nachdenken.
Man wird auch neue Verkehrsregeln für die Luft brauchen . . .
Ja. Wenn wirklich alles umgestellt wird, sind viele Drohnen in der Luft, die aufeinander reagieren müssen. Weichen sie rechts oder links aus, unten oder oben? Es wird Zonen geben, wo sie nicht hindürfen, wie schon jetzt rund um Flughäfen: etwa über Menschenmengen, dem Parlament oder einem Kernkraftwerk. Denkbar ist auch, dass Private festlegen: nicht über meinem Grundstück. Die Drohne muss wissen, wohin sie darf und wohin nicht.
Welche Punkte sind noch offen?
Man braucht ausreichend Landeplätze. Da gibt es Ideen wie Arme, die vom Fenster weggeklappt werden. Die Reichweite ist noch ein Problem. Vor allem, wenn es um schwerere Lasten geht, braucht man stärkere Elektromotoren mit hohem Stromverbrauch.
Das macht auch Lärm.
Ja, das birgt riesiges Konfliktpotenzial, zusätzlich zum Autolärm im urbanen Bereich. Drohnen fliegen im Sommer an offenen Fenstern vorbei. Wenn sich der Nachbar pausenlos etwas bestellt, kann das eine große Belästigung werden. Vielleicht findet man dafür Lösungen: Korridore oder eine Beschränkung auf bestimmten Zeiten.
Soll man den Transport von Gefahrengütern zulassen?
Es gibt Anwendungen, die zwar Gefahrenpotenzial bergen, aber doch sehr sinnvoll sind: dass etwa zwischen Ärzten oder Spitälern Blutproben oder Organspenden transportiert werden. So kommt die gespendete Niere schneller zum Patienten. Da würde ich auch in Kauf nehmen, dass das laut ist – der Hubschrauber ist jetzt auch laut. Wenn verseuchtes Blut transportiert wird, das jemandem auf den Kopf fallen könnte, müsste man natürlich genauer darüber nachdenken. Auch, wenn eine Drohne mit gefährlicher Fracht über ein Naturschutzgebiet fliegt.
Sie haben sich auch damit befasst, ob sich die Flugkörper für terroristische oder kriminelle Zwecke, etwa Schmuggel, missbrauchen lassen. Lässt sich das überhaupt kontrollieren?
Es gab schon Versuche, ein Handy in ein Gefängnis zu schmuggeln. Die Drohne ist aber im Gefängnishof abgestürzt, das Ganze ist aufgeflogen. In einem anderen Fall haben die französischen Behörden über einem Kernkraftwerk Drohnen beobachtet und vermutet, dass sie Stellen ausspähen sollen, an denen man eine Bombe platzieren kann. Auch für Schmuggel gibt es viel Potenzial. Eine Möglichkeit, das in den Griff zu bekommen, wären elektronische Kennzeichen: dass Drohnen ständig ihre Identität funken müssen und so zumindest potenziell kontrollierbar sind.
Das alles klingt nach mehr offenen als gelösten Fragen.
Es ist praktisch nichts gelöst. Man sollte sich also ernsthaft damit beschäftigen, bevor man den nächsten Schritt macht.
Wie weit ist die Vision vom drohnenbasierten Flugverkehr in Österreich noch von der Realität entfernt?
Davon, dass jeder Supermarkteinkauf durch die Luft kommt, sind wir noch einige Jahre entfernt. Was früher kommen könnte, sind Spezialanwendungen wie der Transport von Gütern auf eine Almhütte oder in entlegene Gebiete oder die schon angesprochenen medizinischen Anwendungen.
Auch, weil es leichter ist, hier zu sagen, dass es sinnvoll ist?
Hier die Sinnfrage zu stellen, ist schwierig. Derjenige, der innerhalb von zehn Minuten seine warme Pizza haben möchte, findet das auch sinnvoll.
Die Frage ist also: Wer entscheidet, was sinnvoll ist?
Das ist der Punkt. Es kann außerdem sein, das sich die Geschäftsmodelle, wenn die Rahmenbedingungen einmal feststehen, gar nicht mehr rechnen. Außerdem: Eine Drohne kann nicht immer fliegen. Was passiert bei Schlechtwetter, oder wenn lange Zeit Nebel herrscht? Man braucht ein redundantes Liefersystem, einen Riesenapparat.
Kosten oder bringen Drohnen Arbeitsplätze?
In Asien erzeugen Firmen Millionen von Drohnen, da gibt es neue Arbeitsplätze. In Österreich gibt es sechs oder sieben Drohnenhersteller. Logistikunternehmen werden natürlich Leute schulen müssen, die mit den Drohnen umgehen können. Was aber wegfällt, ist derjenige, der an der Tür klingelt und einem das Paket in die Hand drückt. Dabei ist dieser Arbeitsmarkt gerade erst sehr groß geworden: Vor zehn Jahren gab es diesen 24-x-7-Onlinehandel noch gar nicht.
Wo sehen Sie eigentlich Chancen für Drohnen?
Etwa beim Einsatz in Krisen- und Katastrophengebieten. Man kann schnell sehen, wo die Mure abgegangen ist, wie weit die Überschwemmung reicht. Oder in der Landwirtschaft: beim Abfliegen von Feldern, um etwa Düngebedarf festzustellen. Es gibt auch schon Drohnen, die vor einem Mähdrescher herfliegen, um zu verhindern, dass Rehkitze getötet werden. Auch in der Wissenschaft, etwa in der Höhlenforschung, gibt es viele interessante Anwendungen. Fast alle Anwendungen, die ich gefunden habe, sind interessant – bis auf die Lieferservices. Aber die werden am meisten gepusht. Wir brauchen daher eine breite Diskussion zum Thema, die Experten, Behörden und Bürger mit einbezieht.
Werden Sie mit Ihrem Bericht an diese Stellen auch aktiv herantreten?
Das ist mein Plan.
Zur Person: Michael Nentwich, 1964 geboren in Wien, ursprünglich Jurist, ist habilitierter Wissenschafts- und Technikforscher, passionierter Technikfolgenabschätzer und seit 2006 Direktor des Instituts für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) in Wien. Sein Hauptforschungsgebiet in der TA ist das Internet und sein Einfluss auf Gesellschaft und Wissenschaft.