9. Juli 2018
Maßgeschneiderte Medikamente gegen Krebs
Von Lisbeth Legat
Das Zauberwort für personalisierte Medikamente heißt mRNA, also Boten-Ribonukleinsäure. Sie enthält die DNA-Informationen, die eine Körperzelle braucht, um sich zu regenerieren, und kann im Labor hergestellt werden. Eine Firma, die sich der Medikamentenforschung auf diesem Gebiet verschrieben hat, ist Accanis.
Das 2015 gegründete Wiener Start-up wird von der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG und dem AWS (Austria Wirtschaftsservice) unterstützt. Die beiden Gründer, der Immunologe Frank Mattner und der Biologe Walter Schmidt, haben sich auf verschiedene Formen von weißem Hautkrebs sowie auf die ästhetische Dermatologie zur Hautverjüngung spezialisiert.
„Die genetische Information ist im Zellkern in Form von DNA gespeichert. Im Prinzip wird von dieser Information eine Kopie gemacht, wobei die mRNA wie eine Blaupause funktioniert“, erklärt Walter Schmidt die Vorgangsweise zur Herstellung der neuen Wirkstoffe. „Die Aufgabe der mRNA ist es, die genetische Information, die in den Zellkernen gespeichert ist, in die Funktionseinheiten der Organismen, die Proteine, zu übersetzen. Diese Proteine können in vitro hergestellt werden.“
Haut heilen – und verjüngen
Der Wirkstoff, mit dem Accanis zur Bekämpfung von weißem Hautkrebs arbeitet, ist die Substanz Interferon-alpha, die seit den 1980er-Jahren bei verschiedenen Krebsformen eingesetzt wird. Schmidt: „Die Wirkstofffindung selbst ist eine äußerst langwierige und vor allem sehr teure Angelegenheit, daher haben wir uns entschlossen, mit Wirkstoffen zu arbeiten, deren Wirkung bereits bekannt ist.“ Ziel ist, ein Medikament zu entwickeln, das bei Hautkrebspatienten direkt in die vom Krebs betroffene Stelle eingebracht wird. „Dort entfaltet es eine zelluläre Kaskade, die die Krebszellen absterben lässt und sich dann auflöst“, so Schmidt.
Die zweite Schiene, der sie sich widmen, ist die ästhetische Dermatologie. Kann doch mit mRNA eine Hautzelle dazu gebracht werden, sich zu verjüngen – ohne invasiven Eingriff: der Traum aller von Falten geplagten Damen und Herren. „Wir möchten statt der Gifte, die jetzt in der Schönheitschirurgie verwendet werden, die Haut auf natürliche Art und Weise behandeln, indem wir den Zellen sagen, wie sie sich früher regeneriert haben, sodass es zu einer Hautverjüngung kommt“, sagt Schmidt.
Die Entwicklung der Medikamente zur Krebsbekämpfung ist im Moment in der Versuchsphase. Bis jetzt wurden die Wirkstoffe erst in Hautexplantaten, also in Teilen menschlicher Haut in der Retorte, untersucht, wobei allerdings bereits nachgewiesen werden konnte, dass die erwünschte Wirkung eingetreten ist. Im ersten Quartal 2019 beginnt die klinische Phase 1 in Zusammenarbeit mit einer österreichischen Universitätsklinik.
Weltweit forschen zurzeit einige große Pharmafirmen an der Entwicklung von mRNA-basierten Therapien. Nebenwirkungen seien so gut wie ausgeschlossen, betont Schmidt. Im Prinzip werden nur Informationen weitergegeben, welche die körpereigenen Zellen dazu bringen, schädliches Wachstum, etwa bei Krebs, einzustellen und wieder gesunde Zellen zu produzieren. Überdies können die Medikamente individualisiert auf den Einzelnen zugeschnitten werden. „mRNA werden die Substanzstoffe von morgen sein“, ist er überzeugt.
Lexikon
Als mRNA (englisch: messenger RNA), auch Boten-RNA genannt, wird das einzelsträngige RNA-Transkript eines zu einem Gen gehörigen Teilabschnitts der DNA bezeichnet. Die mRNA wird bei der Transkription von dem EnzymRNA-Polymerase synthetisiert und dient bei der Translation als Vorlage für die Proteinbiosynthese durch Ribosomen.
Der weiße oder helle Hautkrebs ist die häufigste Krebsart überhaupt. Zum weißen Hautkrebs gehören das Plattenepithelkarzinom und das Basaliom, auch Basalzellkarzinom genannt. Da der Hauptrisikofaktor für weißen Hautkrebs starke Sonneneinstrahlung ist, entsteht er meist auf stark sonnenexponierten Hautpartien. So zum Beispiel am Kopf – hier insbesondere auf Nase, Stirn, Lippen oder am Ohr. Die Gefahr des Übergriffs auf andere Organe ist beim hellen Hautkrebs deutlich geringer als bei einem Melanom, dem schwarzen Hautkrebs.