Kategorie Innovation & Technologie - 23. September 2015
ESA-Chef Wörner: Ohne Risiko keine Wissenschaft
Wien – Die Raumfahrt ist schon eine verdammt geile Angelegenheit. So oder so ähnlich könnte man das immerwährende Lächeln von Johann-Dietrich Wörner, Generaldirektor der European Space Agency (ESA), deuten. Und er sagt auch gern, seit wann er so begeistert ist: Es war 1957, Wörner war damals zarte drei Jahre alt. Sein Vater hob ihn hoch, deutete in Richtung Himmel und sagte dem heutigen Generaldirektor der ESA: „Schau, da oben fliegt ein Sputnik!“ Sein Vater war Bauingenieur und von der Tatsache, dass die Sowjetunion die ersten Satelliten in die Erdumlaufbahn schickte, recht angetan. Wörner sagt heute: „Er erzählte es in so eindringlichen Worten, dass ich den Satelliten Sputnik vor mir sah, obwohl das natürlich nicht der Fall war.“
Der ESA-Chef war vergangene Woche in Wien, um die neue Raketengeneration der europäischen Weltraumfahrt vorzustellen und im Rahmen des FFG-Forums die Zusammenarbeit mit Österreich zu loben: Ariane 6 soll als neues Trägersystem ab 2020 zum Einsatz kommen.
Sie wird Ariane 5 ablösen, die in den vergangenen zwölf Jahren bisher 80 Mal auf die Reise in den Weltraum ging. Wörner meinte, die neue Ariane, deren Entwicklungskosten sich auf 2,4 Milliarden Euro belaufen, wird in zwei Versionen gebaut, weil man nicht für jeden Satelliten, der ins All gebracht wird, die gleiche Schubkraft braucht – und so Kosten sparen will.
Wörner zeigte beim Fototermin mit dem Zeigefinger lächelnd auf die rot-weiß-rote Fahne des vor ihm stehenden Ariane-Modells. Sie war als Erste von oben leicht zu finden. Er lobte Österreich, weil es Expertise in den Weltraumwissenschaften und in Satellitenanwendungen mit sich bringe. Auch finanzielle Mittel sind dabei: 26,2 Millionen immerhin, sie kommen aus dem Budget des Verkehrsministeriums, kein frisches Geld, die Mittel wurden durch Umschichtungen und Auflösung von Rücklagen lukriert. So soll österreichischen Unternehmen die Möglichkeit geboten werden, an der Ariane mitzubauen.
Schließlich hob der ESA-Chef auch noch an, eine Hymne auf die Grundlagenforschung zu singen, die, wie nicht nur er weiß, sehr oft zu wichtigen Anwendungen führt: Wörner nannte, wenig überraschend, Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie als Basis für das Global Positioning System (GPS). Und manchmal habe die Grundlagenforschung einfach nur den Sinn, nach einem entsprechenden Experiment mehr zu wissen als vorher – ganz und gar ohne Anwendung vor Augen. Wie kam denn zum Beispiel das Wasser auf die Erde?
Die ESA schickte bekanntlich die Sonde Rosetta zum Kometen Tschurjumow-Gerassimenko, genannt „Tschuri“, um zu klären, ob das Wasser mittels Kometen kam – das können die Wissenschafter mittlerweile ausschließen. Im Interview mit dem STANDARD sagte Wörner noch: „Rosetta war ein Abenteuer, dass das klappt, hätte ich mir vor zehn Jahren nicht träumen lassen.“
Dieses Risiko müsse man eingehen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Letztlich führe es dann doch immer wieder auch zu Anwendungen: Die Rosetta-Kamera werde nun zur Früherkennung von Waldbränden verwendet. „Wir haben aber auch Missionen, die routiniert ablaufen müssen, bei denen Risiko keinen Sinn macht“, sagt er. Ein Beispiel: Galileo, das europäische Satellitennavigationssystem, für das es erst kürzlich wieder einen Raketenlaunch gab.
Wörner wurde übrigens wie sein Vater Bauingenieur. Und er hatte eigentlich nicht im Sinn, in die Weltraumforschung zu gehen. Er war Hochschullehrer, dann Präsident der TU Darmstadt und schließlich Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Seit 1. Juli ist er bei der ESA – seine Nachfolgerin beim DLR ist, wie berichtet, die österreichische Astrobiologin Pascale Ehrenfreund, davor Präsidentin des Wissenschaftsfonds FWF. Ein Detail seiner Karriere: Er hat sowohl den Job beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt als auch den bei der ESA zuerst abgelehnt, um sich dann Jahre später selbst zu bewerben. „Da könnte man ein Muster bei mir entdecken“, meint er lachend.
Als was er sich nunmehr fühlt, als Ingenieur, Wissenschafter oder als Agenturchef mit durchaus politischen Agenden? „Als ESA-Chef muss ich alles sein, ich muss Entscheidungen treffen und auch wissen, wovon ich rede“, sagt er. Und meint schließlich, auch ein wenig Abenteuerlust zu spüren. „Als der Däne Andreas Morgensen zur ISS flog, sagte ich ihm, das ich kein Problem hätte, statt ihm raufzufliegen. Das war nicht gelogen.“ (Peter Illetschko, Der Standard)