Kategorie Klima- & Umweltschutz - 26. März 2021
Meilenstein im Naturschutz: Österreichs bedeutendstes Wildnisgebiet wird auf doppelte Fläche erweitert
Im steirisch-niederösterreichischen Grenzgebiet entsteht in den Bezirken Liezen und Scheibbs ein europaweit einzigartiges Wildnisgebiet. Das Schutzgebiet soll rund 7.000 Hektar umfassen und ergibt sich durch Ausweitung des niederösterreichischen Wildnisgebietes Dürrenstein auf das Lassingtal im Norden der Steiermark. Geschaffen wird so auch ein echter Meilenstein für den länderübergreifenden Naturschutz in Österreich.
Das Gebiet Dürrenstein liegt in Niederösterreich und grenzt direkt an die Steiermark. Es erstreckt sich zwischen 600 und 1.878 m Seehöhe. Der Dürrenstein in den Ybbstaler Alpen ist die höchste Erhebung. Den Kern des Wildnisgebiets Dürrenstein bildet der größte noch vorhandenen Urwald der Alpen, quasi seit der letzten Eiszeit unberührt. Seit 2017 Österreichs ist dieser das erste und einzige UNESCO-Weltnaturerbe und gehört zu einem europäischen Band alter Buchenwälder und Buchenurwälder.
Die Idee zur grenzüberschreitenden Ausweitung des Wildnisgebietes Dürrenstein war bereits einige Jahre im Gespräch. Die jetzige Erweiterung habe man in Verhandlungen mit den Bundesforsten als größte Grundeigentümer und mit der Unterstützung zweier Unternehmer auf den Weg gebracht. Auf einen Unternehmer geht auch die ursprüngliche Idee eines Schutzgebietes am Dürrenstein zurück: Albert Rothschild entschloss sich bereits 1875 den sogenannten Rothwald in dieser unberührten Art der Nachwelt zu erhalten. Der 500 Hektar große Rothwald, einer der letzten echten Urwälder Europas, bildet heute noch den Kern des Wildnisgebietes, welches im Jahr 2002 mit 2.500 Hektar Fläche gegründet wurde.
Das Wildnisgebiet ist Heimat zahlreicher seltener Tier- und Pflanzenarten. Es ist primär ein Waldschutzgebiet, reicht aber über die Waldgrenze hinaus und beherbergt auch alpine Rasen, Felsgebiete und Almen.
„Wir haben hier das wilde Herz Europas direkt vor unserer Haustüre. Das ist ein enormer Schatz – und diesen bewahren und erweitern wir nun“, sagt Klimaschutzministerin Leonore Gewessler. „Wildnisgebiete helfen dabei, die Artenvielfalt in Österreich zu erhalten. Darum arbeite ich gerade im Klimaschutzministerium an den Grundlagen einer nationalen Biodiversitätsstrategie 2030. Denn wir müssen unsere Natur und unsere Vielfalt unbedingt erhalten.“
Die Schutzzone dieses Naturjuwels wird nun um Flächen im steirischen Lassingtal erweitert. Mit den zusätzlichen 3.449 Hektar in den Gemeinden Wildalpen und Landl wird die Schutzfläche auf rund 7.000 Hektar (70 Quadratkilometer) verdoppelt. Mehr als drei Viertel davon, 5.700 Hektar, bringen die Bundesforste ein. Der Lassingbach wird zudem als weitgehend unregulierter Alpenfluss mit seinen ausgedehnten Schotterflächen und einer einzigartigen Begleitvegetation unter besonderen Schutz gestellt. Dies ist bedeutend, weil der Rothwald in den Lassingbach entwässert und sich entlang von Bächen und Flüssen wichtige Migrationswege für verschiedene Organismen finden.
Einzigartiges Weltnaturerbe
Fun Fact aus der Geschichte: Bewahrt wurde der Urwald vor allem durch einen Zwist unter Geistlichen in früheren Jahrhunderten. Der Streit zwischen dem Benediktinerstift Admont und der Kartause Gaming verhinderte dort eine forstwirtschaftliche Nutzung. Die abgelegene Lage und der jahrhundertelanger Grenzstreit haben so den Erhalt des Urwalds begünstigt. 1864 wurde das Gebiet an die Familie Rothschild verkauft, die den Urwaldbereich ebenfalls völlig unberührt ließ. Im Sinne des heutigen Umweltschutzes veranlasste Albert Rothschild 1875, das Gebiet auch weiterhin als Primärwald zu bewahren.
Im Jahr 2003 wurde das Wildnisgebiet Dürrenstein durch die IUCN (Weltnaturschutz-organisation) als Schutzgebiet der Kategorie Ia (strenges Naturreservat) und Ib (Wildnisgebiet) anerkannt. Im Jahr 2017 verlieh ihm die UNESCO – im Zusammenhang mit dem Nationalpark Kalkalpen und weiteren Buchenwäldern Europas – den Status eines Weltnaturerbes. Es ist das erste und bislang einzige in Österreich. Weltweit gibt es nur 206 als Weltnaturerbe gelistete Schutzgebiete, wie Yellowstone, Galapagos, der Serengeti und andere, namhafte Naturgebiete.
Die Bedeutung des Weltnaturerbestatus ist für Österreich nicht hoch genug einzuschätzen. Zehn österreichische Stätten wurden bisher in die Welterbeliste aufgenommen: davon zählen neun zum Kulturerbe, eines zum Naturerbe. Das erste österreichische Weltnaturerbe ist aber auch aus einem anderen Grund ganz besonders: es gibt in ganz Europa nur 32 Naturerbestätten. Diesen stehen mehr als 800 Kulturerbestätten gegenüber.
Die Eintragung eines Gebietes in die Welterbeliste ist die höchste Auszeichnung, die es auf internationaler Ebene gibt, sie gelten als „Top of the Top“. Gemäß der Welterbe-Konvention gelten alle herausragenden Kultur- und Naturstätten dieser Erde als ideeller Besitz der gesamten Menschheit, sind also nicht als Eigentum eines einzelnen Staates anzusehen. Auf den Punkt gebracht: Ein möglicher Verlust wäre auch ein Verlust für die Menschheit – aus diesem Grund ist die Verantwortung für den Schutz des jeweiligen Welterbes besonders groß.
In Österreich ist das UNESCO-Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt mit 18. März 1993 in Kraft getreten. Mit der Unterzeichnung ging Österreich die internationale Verpflichtung ein, die innerhalb seiner Grenzen gelegenen Welterbestätten zu schützen und zu erhalten.
In der Sitzung des UNESCO Welterbe-Komitees am 7. Juli 2017 wurde beschlossen, zahlreiche Buchenwälder in zehn europäischen Ländern der UNESCO Welterbe-Liste hinzuzufügen und somit das serielle Welterbe auf nunmehr zwölf Staaten und 78 Waldgebiete zu erweitern: Das geschützte Band der letzten alten Buchenwälder und Buchenurwälder durchzieht so nun Albanien, Belgien, Bulgarien, Deutschland, Kroatien, Italien, Österreich, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Spanien und Ukraine auf einer Fläche von insgesamt 91.000 Hektar.
Das Besondere an den Buchenwäldern ist der einzigartige Prozess, den Fagus sylvatica, die Europäische Rotbuche, nach der letzten Eiszeit durchlaufen hat. Über Jahrtausende hinweg breitete sich diese extrem anpassungsfähige Baumart von isolierten kleinen Gebieten in Südeuropa nach Norden, Westen und Osten aus und bildete Wälder mit verschiedener Charakteristik. Buchen mit einem Alter von 400-500 Jahren und Tannen mit einem Alter von bis zu 700 Jahren zeugen von der langen Zeit, in der diese Wälder vom Menschen nicht beeinflusst wurden. Das Erstaunliche dabei: jede dieser Flächen unterscheidet sich von den anderen substantiell hinsichtlich Geologie, Biodiversität, Ökologie, Klima, Pflanzengesellschaften, sodass jede davon ein Alleinstellungsmerkmal besitzt. Österreich ist mit zwei Gebieten beteiligt: 50 Prozent der Fläche des Wildnisgebietes Dürrenstein und etwa 25 Prozent der Fläche des Nationalparks Kalkalpen – insgesamt 7.120 Hektar.
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