Kategorie Innovation & Technologie - 4. Dezember 2015
Auf Holz gebaut
Holz ist, wenn es richtig eingesetzt wird, ein leichter Hochleistungswerkstoff. Davon ist Ulrich Müller vom Institut für Holztechnologie der Universität für Bodenkultur (Boku) überzeugt. Seit dem Gymnasium beschäftigt er sich mit Holz als Werkstoff und setzt immer mehr auf die Zusammenarbeit mit Branchen, in denen Holz bisher eine geringe Rolle spielt.
„Interaktivität und ein offener Austausch zwischen den Disziplinen sind das Um und Auf für die Forschung der Zukunft“, sagt Müller. Aktuell arbeitet sein Team am Boku-Standort Tulln mit Experten aus dem Fahrzeugbau zusammen. Holz war immerhin das erste Material, aus dem Fahrzeuge wie Kutschen hergestellt und Ende des 19. Jahrhunderts die ersten Autos gezimmert wurden.
Doch durch den Aufschwung der Stahlindustrie nach dem Ersten Weltkrieg geriet dieser Werkstoff in der Autoindustrie ins Abseits. „Holztechnologie und Fahrzeugbau sind heute zwei starke Branchen, vor allem in der Steiermark. Durch die Zusammenarbeit des Autoclusters AC-Styria mit dem Holzcluster Steiermark kann mit diesem Projekt auch der Wirtschaftsstandort gestärkt werden“, so Projektleiter Müller.
Er verweist auf eines der erfolgreichsten Kampfflugzeuge der Vergangenheit, die britische Mosquito der 1940er-Jahre, die hauptsächlich aus Fichten- und Birkensperrholz zusammengesetzt war. Die britische Automarke Morgan nutzt heute noch Eschenholz und Sperrholz in allen ihren Sportwagen.
„Charles Morgan war diese Woche in Österreich, um mit uns die Forschungsergebnisse zu besprechen. Das Chassis aus Eschenholz seiner Sportwagen zeigt im Crashfall sogar Vorteile“, berichtet Müller. „Wieso sollte Holz nicht auch den Anforderungen eines konventionellen Fahrzeugs genügen?“, fragt Müller.
Schließlich leistet der Werkstoff durch seine Feinstruktur Ähnliches wie hochmoderne Verbundstoffe aus Kohlefasern und Kunststoff. In Finnland und Deutschland wurden bereits Forschungsprojekte zum Thema Holz im Fahrzeugbau durchgeführt.
Verhalten im Versagensfall
Das große Problem von Holz ist: Es wird meist nur in traditionellen Bereichen wie bei Möbeln, Böden oder im Hausbau eingesetzt. Neue Produkte werden mit Versuch und Irrtum auf ihre Belastbarkeit getestet. „Moderne Branchen nutzen aber Simulationen bei der Herstellung neuer Produkte. Die Daten für Holz und sein Verhalten im Versagensfall sind in solchen Datenbanken meist nicht vorhanden. Deshalb denken Entwickler diesen Werkstoff gar nicht mit, denn sie können ihn virtuell nicht abbilden“, sagt Müller. Im aktuellen Projekt wird diese Lücke geschlossen: Für den Bereich des Fahrzeugbaus soll Holz auch in virtuellen Belastungstests berechenbar werden.
Wenn man Holz also in ein Auto bringen will, muss man zuerst sein Verhalten bei Belastung und im Crashfall analysieren, digitalisieren und zur Simulation aufbereiten. Jeder Crashtest, der mit Crashtest-Dummys in einer Versuchshalle durchgeführt wird, wurde zuvor zigmal am Computer als Simulation durchgespielt. Das spart Kosten und Zeit. Pro Bauteil muss man mit mehreren tausend Euro bei jedem Crashtest rechnen.
Crashsimulationen am Computer sind entsprechend günstiger. Und: Wenn eine Simulation gut läuft, sind am Computer viele Details erkennbar, die man im echten Crashtest teilweise gar nicht messen könnte. Das steirische Kompetenzzentrum Virtual Vehicle, gefördert vom Technologie- und vom Wissenschaftsministerium im Comet-Programm, hat sich auf die Simulation von Crashtests spezialisiert und ist – mit dem Team von Thomas Jost – wichtiger Partner in diesem Projekt über Holz im strukturellen Fahrzeugbau.
Als Testauto diente das Concept-Car Cult (Cars Ultralight Technology) der Firma Magna Steyr. Drei Baugruppen wurden durch Holzkomponenten ersetzt: Rücksitzwand, Unterboden und Armaturenträger. Nach dem Vorbild des historischen Flugzeug- und Fahrzeugbaus haben die Forscher auch hier mit Schicht- und Sperrholz aus Fichte und Esche gearbeitet, ebenso mit Buchen- und Kiefernholz sowie Faserplatten.
Die Fertigung der Teile wurde am Institut für Holztechnologie in Tulln durchgeführt, für die Fräsarbeiten mussten sogar teils neue Fräswerkzeuge entwickelt werden. Alle Holzkomponenten wurden auf Steifigkeit, Biege- und Bruchverhalten untersucht und die Daten detailgetreu für die Simulation am Computer übersetzt.
Dann ging die Reise nach Graz: Mehr als 20 Holzbauteile wurden in der Crashtest-Halle des Instituts für Verkehrssicherheit der TU Graz spektakulären Crashtests unterzogen: Zahlreiche Sensoren und Kameras zeichnen bei den Crashtests das Verhalten aller Einzelteile auf.
Holz kann man gut abbilden
„Der Aufwand hat sich gelohnt“, sagt Müller nun: „Wir waren erstaunt, wie gut die Simulationen mit den Daten aus den echten Crashtests zusammenpassten.“ Holz gilt nämlich als schwer berechenbar, da der Naturstoff seit Jahrmillionen von der Natur optimiert wurde und sehr komplex aufgebaut ist. Doch in diesem Projekt war Holz besser abbildbar als manches neu designte Kohlefaserbauteil der modernen Autoindustrie.
„Dieser Nachweis, dass Holz, das zu Unrecht als altmodisches Material gilt, wie jedes moderne Material abbildbar ist, kann nun Türen öffnen für andere Branchen: Computergehäuse oder andere Produkte aus Kunststoff oder Metall könnten in Zukunft aus Holz gefertigt werden“, hofft Müller.
Die Machbarkeitsstudie der Boku war jedenfalls ein erster Schritt, um nun mit weiteren Industriepartnern die Idee von Holz im Fahrzeugbau zu verfolgen. Neben der herkömmlichen Autobranche denken die Forscher auch an die E-Mobilität, da Holz als ökologisch verfügbarer Werkstoff gut in das Konzept der nachhaltigen Fortbewegung passt. (Von Veronika Schmidt, Die Presse)