Kategorie Klima- & Umweltschutz - 25. Januar 2022
6.000 Jahre Klimageschichte: Alpengletscher schmelzen abnormal schnell
Das rasante Abschmelzen der Gletscher in den Alpen ist ein historisch außergewöhnliches Ereignis. Das zeigen Analysen von Eisbohrkernen, die es den Gletscherforscherinnen und -forschern der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erlauben, weit zurück in die Klimavergangenheit zu blicken. Der derzeitige Masseverlust der Gletscher ist deutlich höher als der Schnitt der vergangenen 6.000 Jahre.
Die Gletscher in Österreich sind durch den Klimawandel unter starken Druck geraten. Selbst in großer Höhe schmelzen die Eiskappen ab. Der Gletscher auf der Weißseespitze an der Grenze zwischen Tirol und Südtirol liegt auf 3.498 Meter Seehöhe und verliert im Schnitt derzeit pro Jahr 0,6 Meter Eis. Die Eiskappe des Gipfels bietet aufgrund der begrenzten Eisbewegung die ideale Stelle für einen Vergleich von Klima und Massebilanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart. „Insgesamt gibt es hier noch zehn Meter Eis, dessen unterste Schicht etwa 6.000 Jahre alt ist“, erklärt Andrea Fischer vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW.
40 Meter Eis verloren
In der aktuellen Studie hat das Forscherteam Eisbohrkerne von der Weißseespitze entnommen und analysiert. Sie kombinierten die Ergebnisse mit Daten aus anderen Quellen, etwa historische Aufzeichnungen und instrumentelle Messdaten, die in den Alpen bis 1770 zurückreichen. So konnten sie zeigen, „dass der derzeitige Masseverlust deutlich höher ist, als der Schnitt der vergangenen 6.000 Jahre“. Mit dem durschnittlichen Jahresverlust von 0,6 Meter Eis sind zwischen 1893 und 2018 in Summe rund 40 Meter Eis abgeschmolzen. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter rechnen damit, dass in etwa zehn Jahren die Eiskappe komplett verschwunden sein wird.
Erstmals durchgeführte meteorologische Beobachtungen an der Eiskappe haben gezeigt, dass in den drei Jahren der Untersuchung der größte Teil der Ablagerung von Schnee zwischen Oktober und Dezember sowie von April bis Juni stattfand. Zwischen Jänner und März verhinderte allerdings Winderosion diese Schneeablagerung.
Die Schmelze fand zwischen Juni und September statt, wobei dies vor allem den frisch gefallenen Schnee betraf und das Gletschereis nur während kurzer Zeiträume, hauptsächlich im August, betroffen war. Heute reichen schon wenige Tage Eisschmelze für eine negative Massenbilanzen mit einem vollständigen Verlust der jährlichen Akkumulation. Solche Schmelzereignisse auf dieser Seehöhe seien in der Vergangenheit Einzelfälle gewesen.
Jahresringe im Eis
Durch das Tauen der Gletscher geht „eines der wichtigsten Archive für extreme Klimaereignisse verloren“. In den Bohrkernen sind ähnlich wie bei Jahresringen von Bäumen helle Schichten mit lufthaltigem Wintereis zu sehen, sowie dunkle Schichten mit Staub, Ruß und organischen Ablagerungen von sommerlichen Schmelzereignissen. „Sehr dunkle Schichten weisen auf ungewöhnliche, mehrere Wochen lange Warmphasen hin“, so Fischer.
Solche im Eis gespeicherten Extremereignisse sind für die Forschung von enormem Interesse, weil speziell Ausreißer für die Sicherheit der Siedlungen in den Alpen auch in Zukunft ausschlaggebend sein werden. Die Daten aus den Bohrkernen sollen etwa dabei helfen, Modelle für künftige Hochwasserereignisse zu erstellen. Deshalb versucht das Forschungsteam so viele Bohrkerne wie möglich zu retten, bevor die Eiskappen weg sind. Das ist allerdings eine große Herausforderung, weil die Zielregionen oft unzugänglich sind und die Entnahme viele Ressourcen benötigt“, betont Fischer.
Service: Der vollständige Artikel im Fachjournal „Scientific Reports“