Kategorie Innovation & Technologie - 25. März 2016
Elektronische Augen schauen, dass nichts passiert
Jedes Jahr steht beim Donauinselfest eine Handystation. Sie sichert die Kommunikation während der Großveranstaltung, damit das Netz nicht überlastet wird. Doch wie wird die sogenannte kritische Infrastruktur selbst geschützt? Zum Einsatz kommen könnte künftig ein mobiles Kamerasystem, das Wiener Wissenschaftler in dreijähriger Forschungsarbeit entwickelt haben.
„Es gibt viele fix installierte Lösungen, aber bislang noch keine Technologie, die sich flexibel und ortsunabhängig nutzen lässt“, sagt Christoph Sulzbachner vom Bereich Sichere und autonome Systeme des Austrian Institute of Technology (AIT). Diese Lücke hat er nun gemeinsam mit seinem Team im vom Technologieministerium geförderten Projekt Flexdetec, Teil des Sicherheitsforschungsprogramms Kiras, geschlossen.
Die Forscher kombinierten dazu verschiedene Sensorsysteme und nutzten mehrere Kameras. Denn um das menschliche Sehen nachzuahmen, braucht es ausgeklügelte Konzepte. Tatsächlich schufen sie so ein System, das noch mehr wahrnimmt: „Während das menschliche Auge nur ein bestimmtes Lichtspektrum sieht, können wir mit Wärmestrahlung auch Temperaturen von Körpern messen“, sagt Sulzbachner. Sein multispektrales System erfasst auch den fernen infraroten Spektralbereich.
Funktioniert bei Tag und Nacht
So lässt sich mit den elektronischen Augen, die Tag und Nacht funktionieren, etwa auch ein Mensch von einem Stein unterscheiden. Schließlich geht es darum, ein Objekt automatisch zu bestimmen: „Der erste Schritt ist festzustellen, dass da etwas ist. Der zweite, es einer bestimmten Klasse zuzuordnen, also festzustellen, ob es sich um ein Fahrzeug, ein Tier oder einen Menschen handelt“, sagt Sulzbachner. Das ist auch für Anwendungen bei autonomen Fahrzeugen nutzbar: für Autos genauso wie für Schienenfahrzeuge oder Baumaschinen. Bagger oder Traktoren könnten, entsprechend ausgerüstet, Hindernisse und Gefahren im Umfeld erkennen und davor warnen. Ist der Weg frei oder droht eine Kollision? Blockiert die Scheibtruhe den Weg oder spielt da gar ein Kind?
Und so wie vier Augen mehr als zwei sehen, erfassen auch zwei oder mehr Kameras die Umwelt besser als eine. Die Forscher nutzen – je nach Anforderung – mehrere Kameras. Die Bilder führen sie zusammen, sodass sie die Umgebung in 3-D beschreiben. Das bringt einen weiteren Vorteil: „Erfasst man eine Szene aus mehreren Blickpunkten, lassen sich Rückschlüsse auf die Entfernung eines Objekts ziehen“, sagt Sulzbachner.
Damit die multispektrale 3-D-Technologie (siehe Lexikon) schnell und einfach mobil einsetzbar ist, automatisierten die Wissenschaftler auch die Kalibrierung, also das Eichen der Kameras. Das funktioniert jetzt ohne das sonst benötigte Schachbrettmuster, mit dem sich Verzerrungen errechnen lassen. Polizei und Wachleute können bedrohliche Szenen so in Echtzeit, also live, beurteilen.
Daraus ergeben sich viele Szenarien, für die sich die Entwicklung einsetzen lässt. Intelligente Ampeln könnten erkennen, dass viele Fahrzeuge an einer Kreuzung stehen und selbstständig umschalten. Das Sensorsystem könnte helfen, die Qualität von Industrieprodukten zu kontrollieren. Oder es könnte beim Grenzschutz assistieren und dabei flexibel an verschiedenen Orten zum Einsatz kommen. (Von Alice Grancy, Die Presse)