Kategorie Informationen & Tipps - 3. Dezember 2018

Alte Meister, neue Technik: Kamerasystem blickt tief in Bruegels Universum

Kunstwerke zeigen meist mehr als mit bloßem Auge erfasst werden kann. Unter der sichtbaren Oberfläche verbirgt sich aber auch rein technisch so Einiges. In die Welt der Meisterwerke Pieter Bruegels im Kunsthistorischen Museum (KHM) kann mit Hilfe eines neuentwickelten Kamerasystem und einer Website seit kurzem besonders tief eingetaucht werden. Dabei zeigt sich Überraschendes und Unerhörtes.

Pieter Bruegel der Ältere (um 1525/1530-1569) lebte nicht nur in einer Welt im Umbruch, er war auch „ein Künstler, der Welt formulierte“, sagte der Direktor der KHM-Gemäldegalerie, Stefan Weppelmann, vor Journalisten. Nicht umsonst läuft im KHM seit Oktober (bis 13. Jänner 2019) die bis dato größte Werkschau des Meisters. Zwölf Werke des als wohl wichtigster Vertreter der flämischen Malerei des 16. Jahrhunderts geltenden Malers befinden sich im Besitz des Hauses an der Wiener Ringstraße. Hier handelt es sich um die größte Sammlung des Künstlers, der vor allem für seine bäuerlichen Sujets bekannt ist.

Macht neue Welten im bruegelschen Universum sichtbar. © APA/KHM-Museumsverband

Angesichts der drastischen Darstellungen, des schier unendlichen Kosmos an großen und kleinen Geschichten oder Handlungssträngen mit ihren mannigfaltigen Bedeutungen und des Detailreichtums seiner Bilder sei es „schwer, bei Bruegel überhaupt von einem ‚Alten Meister‘ zu sprechen“, so Weppelmann in der Restaurierwerkstatt der KHM-Gemäldegalerie. Was die Bilder zu transportieren imstande sind, würde zwar schnell klar, ihre ganze Tragweite erschließe sich im Detail oft erst beim ganz genauen Hinsehen. Das könne eine Museumsschau naturgemäß nicht jedem Besucher ermöglichen, die Digitalisierung erlaube hier aber neue Zugänge.

TU Wien entwickelte Kamera-Positioniersystem

Einen solchen wählte das KHM zusammen mit internationalen Partnern, als man sich im Vorfeld der monumentalen Schau den Werken mit finanzieller Unterstützung der Getty Fundation mit großem technischen Aufwand näherte: Bereits 2012 begannen die Untersuchungen an den hauseigenen zwölf Bruegel-Tafeln in der Restaurierwerkstätte. Im Auftrag des KHM hat ein Team um Georg Kartnig vom Institut für Konstruktionswissenschaften und Technische Logistik der Technischen Universität (TU) Wien dafür eigens ein computergestütztes Kamera-Positionierungssystem entwickelt.

Damit sind unzählige hochaufgelöste Aufnahmen der Werke entstanden. Über eine eigene Online-Plattform können die aus bis zu 200 Einzelaufnahmen zusammengesetzten digitalen Abbilder von jedermann eingesehen werden. Da mit Hilfe des Systems nun präzise im sichtbaren Wellenlängenbereich sowie in zwei Infrarotbereichen fotografiert werden kann und es zusätzlich Röntgenaufnahmen gibt, offenbaren sich dem Betrachter auf Knopfdruck auch komplett neue Welten im bruegelschen Universum – und das „in wahnsinnig hoher Auflösung“, sagte Kartnig, über das weltweit einzigartige System.

Tief unter den sichtbaren Farbschichten werde da und dort nochmals klarer, wie krass und unverblümt Bruegel gearbeitet hat, so die Leiterin der Restaurierwerkstätte, Elke Oberthaler. Im Zuge der digitalen Durchleuchtung und der Gegenüberstellung der verschiedenen Aufnahmen habe es „viele Überraschungen“ gegeben. So sind etwa in Bruegels Kampf zwischen Karneval und Fasten (1559) sehr explizite Darstellungen von Toten oder religiöse Symbole in besonders provokanten Kontexten im Nachhinein verschwunden oder wurden mitunter geschätzte 100 Jahre später umgearbeitet.

Neue Einblicke durch Röntgenaufnahmen

Aber auch der Meister selbst nahm nun nachvollziehbare Änderungen vor: So stapften im Vordergrund von Die Jäger im Schnee (1565) ursprünglich nicht drei, sondern nur zwei Jäger durch das weltbekannte winterliche Weiß. Ersichtlich ist das in der Röntgenaufnahme.

 

Auf der seit wenigen Wochen erreichbaren Website kann diese in wenigen Mausklicks den makrofotografischen und infrarotreflektografischen Aufnahmen gegenübergestellt werden. „Das wird die Bruegel-Forschung beflügeln“, zeigte sich Oberthaler im Vorfeld des wissenschaftlichen Symposiums Bruegel. The Hand of the Master. Materials and Techniques of Pieter Bruegel the Elder (6. bis 8. Dezember) in Wien überzeugt. Der Maler lasse sich nun besser „verstehen, kontextualisieren und interpretieren“, sagte auch Weppelmann.

Dass nun jeder auch selbstständig nach den zahlreichen Geschichten im Hintergrund suchen kann, ist für den Gemäldegalerie-Direktor eine wichtige Entwicklung in den Bestrebungen, Museen in den digitalen Raum zu erweitern. Außerdem verleihe diese Herangehensweise Ausstellungen gewissermaßen ein längeres Leben. Auch wenn man im Falle der großen Bruegel-Ausstellung online „wesentlich mehr sieht als in der Schau“, führe das sicher nicht dazu, dass die Originale ihren Reiz verlieren. Gerade auf diesem Weg entstehe zusätzliches Interesse daran, dem mitunter gar nicht so alten Meister sozusagen persönlich gegenüberzutreten.

apa

Service: Projekt Inside Bruegel: www.insidebruegel.net

Die Ausstellung ist noch bis 13. Jänner 2019 im Kunsthistorischen Museum Wien, Maria-Theresien-Platz, 1010 Wien zu sehen. Öffnungszeiten: Mo-Mi und Fr-So 10-18h, Do 10-21h. www.khm.at/besuchen/ausstellungen/bruegel