20. Mai 2017

Autonome Autos: Zeitunglesend auf die Autobahn auffahren

Graz – Tesla, Google und Co geben in Sachen selbstfahrende Autos das Tempo vor. Auch wenn sie dabei schon einmal kräftig auf die Nase fallen. Ein Tesla Model S krachte Ende Februar in den USA in die Leitplanke einer Baustelle. Das Assistenzsystem „übersah“, dass sich die Fahrbahn verengte. Die Insassen des Teslas trugen glücklicherweise nur blaue Flecken davon. Was man daraus lernen kann, ist, dass es noch viel zu lernen gibt.

Um ebendies zu tun, soll – wie berichtet – in der Steiermark Europas vielfältigste Testumgebung für selbstfahrende Autos entstehen. Unter dem Titel ALP.Lab bündeln Forschungseinrichtungen und Industriebetriebe aus dem steirischen Automobilcluster wie Magna Steyr oder AVL List ihre Kompetenzen, um automatisierte Fahrsysteme im großen Stil zu entwickeln und zu testen. Das Verkehrsministerium steuert zum Aufbau und für erste Projekte 5,6 Millionen bei.

Lebensnahe Simulationen

Einer der Schwerpunkte ist die Testumgebung selbst, sagt Horst Bischof, Vizerektor für Forschung der TU Graz. Dazu gehören nicht nur öffentliche und private Teststrecken, die mehr als 500 Kilometer Autobahnabschnitte ebenso wie Tunnelröhren umfassen. Getestet wird vieles am Computer oder an hochkomplexen Prüf- und Messständen. Auf diese Weise versucht man lebensnahe Situationen zu simulieren, etwa anhand eines Sensors, dem man vorgaukeln kann, dass ein Fußgänger vorbeigeht.

Doch zunächst einmal werden viele Informationen im Echtbetrieb auf den ausgewählten Teststrecken gesammelt. Als Beispiel nennt Gerhard Krachler, Entwicklungschef bei Magna Steyr etwa eine Autobahnauffahrt. Fährt dort ein Auto knapp am Testauto vorbei, braucht es dann ein besonderes Lenkmanöver oder nicht?

Zu testen gibt es laut Krachler wohl eine Million möglicher Situationen. Peter Schöggl vom Antriebs- und Messgeräteentwickler AVL-List nennt weitere: Was macht das System, wenn die Rettung kommt? Was passiert, wenn sich ein Auto dazwischendrängelt? Um all die Fragen beantworten zu können, geht die Industrie den Weg einer intelligenten Kombination aus virtuellen und realen Tests. Schon aus Kostengründen, so Schöggl. „Lasse ich tausend Autos am Computer fahren, ist das deutlich billiger.“

Corner-Cases

Um die Leuchtfunktion im Auto zu optimieren, wird etwa zunächst auf der Autobahn aufgezeichnet, dann am Computer perfektioniert, um dann wieder real auf der Autobahn auszuprobieren. Sogenannte Corner-Cases fassen eine Vielzahl möglicher Szenarien zusammen, sagt Krachler. Ein auf die Autobahn auffahrendes Auto bei blendender Sonne und eisiger Fahrbahn wäre so ein Fall.

In ein bis zwei Jahren werden Autos selbstständig ohne Überwachung länger als zehn bis fünfzehn Sekunden autonom fahren dürfen. Die gesetzlichen Voraussetzungen wurden mit einer Änderung des Wiener Abkommens geschaffen. Ab da darf man vielleicht fünf Minuten telefonieren.

Man gewöhne sich daran schneller, als man denke, sagt Schöggl: „Manche brauchen ein paar Stunden, manche einige Tage, um im Volant zu sitzen und die Zeitung zu lesen, als wäre das ganz normal.“ Was ganz normal ist, wird jährlich mehr. In nächster Zeit werden Autos mit Stauassistenz auf den Markt kommen. Gefolgt von Helferlein zum Überholen und für den Kreisverkehr. (Regina Bruckner, 20.5.2017)


Link
ALP.Lab: Austrian Light Vehicle Proving Region for Automated Driving