20. März 2017

Beobachten, berechnen, steuern: Der lange Weg zu autonomen Autos

Immer leistungsfähigere Assistenzsysteme sollen letztendlich zu autonomen Fahrzeugen führen. Organisationen, die derartige Systeme entwickeln, benötigen dabei Zugang zu bestimmten Basistechnologien, etwa Fahrzeugen, bei denen man Gas, Bremse und Lenkung per Computer ansteuern kann. Am Grazer K2-Zentrum Virtual Vehicle gibt es nun Österreichs erste derartige Forschungsplattform, mit der man ohne Einschränkungen auf grundlegende Funktionen autonomer und vernetzter Fahrzeuge zugreifen kann.

„Wir haben gemeinsam mit US-Partnern ein Fahrzeug vorbereitet, das als vollkommen offenes System fungiert“, sagt Virtual-Vehicle-Geschäftsführer Jost Bernasch. Technologien, die bisher nur in Simulationen darstellbar waren, können so in die Forschungsplattform integriert und in einem realen Auto erprobt werden.

In einem nächsten Schritt wird leistungsfähige Hardware integriert, die erlaubt, Daten einer umfangreichen Sensorik in Echtzeit zu verarbeiten. Mit sechs Kameras, einem Radarsystem, einem hochgenauen Geopositionierungssystem und der entsprechenden Rechenleistung werden dem Demo-Fahrzeug, das auf einem Ford Mondeo Hybrid basiert, Sinnesorgane und Kombinierungsgabe verliehen.

Schafft der Autopilot, Sensordaten in kritischen Situationen richtig zu interpretieren? Welche Maßnahmen machen autonome Systeme vertrauenswürdiger? Für Virtual Vehicle, das im Moment in vier EU-Projekte zum automatisierten Fahren involviert ist, ist die Plattform eine Voraussetzung, um neue Funktionalitäten und eine höhere Verlässlichkeit der Systeme zu etablieren. Nicht zuletzt sollen auch weitere europäische Forschungseinrichtungen für gemeinsame Projekte angezogen werden.

Hochspezialisierte Prozessoren

Gerade die Echtzeitbildanalyse hat in autonomen Fahrzeugen große Bedeutung. Mit den optischen Sensoren wird nicht nur eine 360-Grad-Rundumsicht abgedeckt, sondern etwa auch der Innenraum und der Mensch am Steuer beobachtet, so Bernasch. „Künftige Systeme könnten einschätzen lernen, ob der Fahrer ein überholendes Motorrad übersehen hat.“ Um den enormen Rechenaufwand zu bewältigen, kommen hochspezialisierte Prozessoren zur Anwendung, deren Vorläufer für 3-D-Darstellungen in Videospielen konzipiert waren.

Die Systeme werden ihre Analysen künftig mit genauem Kartenmaterial abgleichen und Abweichungen wie etwa eine neue Baustelle online in „Living Maps“ eintragen, erklärt Bernasch. „Minuten später steht die aktualisierte Karteninformation weiteren Fahrzeugen zur Verfügung.“

Eine Schwierigkeit der Assistenzsysteme ist – so paradox es klingt – genau festzustellen, was sie können. Die auf neuronalen Netzwerken basierenden Lernprozesse, bei denen die Systeme mittels Millionen Beispielfällen ihr Verhalten einüben, müssen zu einem Ergebnis führen, das auch bei schwierigen Bedingungen vertrauenswürdig bleibt. Doch wie eine Problemstellung genau repräsentiert wird, ist wie im menschlichen Gehirn nur schwer nachvollziehbar, so Bernasch.

Tests und Validierungen – ein Schwerpunkt der Forschung bei Virtual Vehicle – werden deshalb wichtiger. In Graz durchlaufen die Systeme dabei Millionen virtuelle Straßenszenarios. Gewisse Situationen werden genauer geprüft, indem die Simulationen mit einem Hardwareprüfstand gekoppelt werden. In einem finalen Schritt wird eine noch kleinere Anzahl an Fällen mit einem realen Fahrzeug auf der Straße getestet. Am Ende sollen Fahrzeuge stehen, die durch ihre – aber auch trotz ihrer – Komplexität verlässlich sind. (pum, 15.3.2017)


Wissen: Zwischen Universitäten und Industrie

In Österreich gibt es fünf K2-Zentren, die im Rahmen des Kompetenzzentren-Programms Comet von der Förderagentur FFG mit Mitteln von Verkehrs- und Wissenschaftsministerium unterstützt werden. Neben K2-Mobility am Forschungszentrum Virtual Vehicle und dem Austrian Center of Competence of Mechatronics ACCM am LCM – Linz Center of Mechatronics (siehe Artikel links) gehören das Austrian Centre of Industrial Biotechnology ACIB, das Excellence Center of Tribology und das MCL, das sich der Materialforschung widmet, dazu.

Die K2-Zentren, die sich laut FFG-Definition durch ein „besonders ambitioniertes Forschungsprogramm“ und „aktive Einbindung internationaler Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft“ auszeichnen, sollen universitäre Forschung und Industrie verbinden und international verankern. Ein langfristiger Umbauprozess soll nun den Fokus stärker auf Grundlagenforschung legen.

Über den Zusammenschluss des K2-Austria-Konsortiums, das Virtual-Vehicle-Geschäftsführer Jost Bernasch koordiniert, werden Kooperationen zwischen den K2-Zentren organisiert. Bernasch verweist auf die intensive internationale Vernetzung der Forschungseinrichtungen: Ihm zufolge konnten die K2-Zentren 30 Millionen Euro an EU-Mitteln lukrieren und weitere 50 Millionen Euro von internationalen Industriepartnern nach Österreich holen. (pum)