16. Januar 2023
Das ist die Natur 2023: Haselmaus, Verkannter Wasserschlauch, Landkärtchen & Aufgeblähte Lorchel
Die Vielfalt der Tier- und Pflanzenwelt in Österreich steht alljährlich im Rampenlicht, wenn Naturschutzorganisationen und wissenschaftliche Gesellschaften ausgewählte Vertreter aus Flora und Fauna zur Natur des Jahres küren. Für 2023 kürten sie etwa die streng geschützte Haselmaus, den fleischfressenden „Verkannten Wasserschlauch„, das Braunkehlchen, Landkärtchen, die „Aufgeblähte Lorchel“ oder ein Gestein namens Apatit als Repräsentaten des Arten- und Biotopschutzes.
Die „Haselmaus“ (Muscardinus avellanarius) wurde vom Naturschutzbund zum „Tier des Jahres 2023″ gewählt. Sie ist ein sandfarbener nachtaktiver Nager mit knapp 15 Zentimetern Körperlänge, die Hälfte davon entfällt auf ihren dicht behaarten Schwanz. „Mit abgerundeten Ohren und großen, schwarzen Knopfaugen ist die Haselmaus eine putzige Erscheinung“, so der Naturschutzbund.
Trotz ihres Namens ist sie für Zoologen keine Maus, sondern ein „Schläfer“. Seit Oktober hält sie Winterschlaf in einem gut isolierten Kugelnest, wo sie zusammengerollt mit abgesenkter Körpertemperatur (vier statt 37 Grad Celsius) die kalte Jahreszeit verschlummert. Sie ist in der Dämmerung und Nacht aktiv, und ernährt sich von Knospen, Blüten, Insekten, Beeren, Nüssen sowie Samen. Die Haselmaus ist streng geschützt und leidet am Schwund von wilden dichten Hecken, wo sie als ortstreuer Einzelgänger und geschickter Kletterer lebt.
Der „Verkannte Wasserschlauch“ (Utricularia australis) und der „Gewöhnliche Wasserschlauch“ (U. vulgaris) sind „Pflanzen des Jahres„, so der Verein zur Erforschung der Flora Österreichs und der Naturschutzbund. Entgegen ihres Namens sind ganz und gar „ungewöhnliche Pflanzen“ und nicht zu verkennen.
Erstens haben sie keine Wurzeln sondern schweben ohne Verankerung in den Gewässern (wie etwa Moorteichen), zweitens sind sie Fleischfresser, die sich an Wasserflöhen, Fadenwürmern und Schnecken laben. Dazu haben sie eine Fangblase mit Unterdruck und einer Klappe, sie sich innerhalb von zwei Millisekunden schließt. Für Pflanzen recht gewöhnlich sind hingegen die goldgelben Blüten der Wasserschläuche.
Ebenfalls in Moortümpeln und ohne Furcht vor dem Wasserschlauch lebt der „Lurch des Jahres„, nämlich der „Kleine Wasserfrosch“ (Pelophylax lessonae). Er wurde von der Österreichischen Gesellschaft für Herpetologie (ÖGH) und der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT) ernannt.
Die Expert:innen beschreiben die grasgrünen Frösche mit braunen Rückendrüsenleisten als wanderfreudig und gleichermaßen tag- wie nachtaktiv. Sie verzehren Insekten, sind auf „kleine, besonnte, vegetationsreiche und nährstoffarme Moorgewässer angewiesen“, und in jedem österreichischen Bundesland sowie in ganz Europa zu entdecken – sehr selten allerdings.
Das „Braunkehlchen“ (Saxicola rubetra) wurde von BirdLife Österreich zum „Vogel des Jahres“ gekürt. Es besitzt eine namensgebende orange-braune Brust und Kehle, einen braun-schwarz gebänderten Rücken und einen weißen Überaugenstreif. Je nach Angebot frisst es Schmetterlinge, Schnecken, Heuschrecken, Raupen, Spinnen, kleine Schnecken und Beeren.
Sein Lebensraum sind blütenreiche Wiesen und Brachen, es benötigt abwechslungsreiche Vegetation mit hohen Halmen und Büschen. Weil solche Naturräume genau so wie die Insektennahrung schwinden, ist dieser Wiesenvogel im Sinkflug, so BirdLife: Seit 1998 sind die Bestände um zwei Drittel geschrumpft.
„Insekt des Jahres 2023″ wird das „Landkärtchen“ geheißen. Dafür zeichnet ein wissenschaftliches Kuratorium von privaten Expert:innen und Fachgesellschaften aus Österreich, Deutschland und der Schweiz verantwortlich. Die Schmetterlinge entwickeln sich je nach Jahreszeit mit unterschiedlichen Flügelzeichnungen.
„Während die Frühjahresgeneration schwarze Zeichnungselemente auf orangefarbenem Grund aufweist, ist die Sommergeneration überwiegend schwarz mit einem gebogenen weißen Band auf Vorder- und Hinterflügel“, so die Expert:innen. Ausschlaggebend für das jeweilige Design ist die Tageslänge während der Raupenzeit. Den einprägsamen Namen bekam der „Edelfalter“ aufgrund der „recht bunten und von Linien durchzogenen Flügelunterseite, die an eine Landkarte erinnert“.
Bei einer öffentlichen Abstimmung wurde der Huchen (Hucho hucho), auch Donaulachs genannt, zum „Wassertier des Jahres“ gewählt. Die offizielle Ernennung erfolgte durch den Österreichischen Fischereiverband (ÖFV). Er kann bis zu eineinhalb Meter lang und über 50 Kilogramm schwer werden, ist der einzige Lachsfisch, der ständig im Süßwasser lebt, und ernährt sich von Fischen, Amphibien und Entenküken.
Der Huchen ist vom Aussterben bedroht, weil sein Lebensraum durch Uferbefestigungen, Flussregulierungen und Stauketten der Wasserkraftwerke verändert und zerstückelt wurde. Schutzmaßnahmen wie Fischaufstiegshilfen und eine bessere Strukturierung der Gewässer sollen den Bestand retten.
Die „Aufgeblähte Lorchel“ (Gyromitra inflata) ist „Pilz des Jahres 2023″, erklärt die Österreichische Mykologische Gesellschaft. Sie wurde hierzulande nur in einem einzigen Gebiet in Niederösterreich, nämlich der Buckligen Welt nachgewiesen. Die lappige Lorchel mit braunem, hirnartig gewundenem Hut wird rund zwanzig Zentimeter hoch und ist „vermutlich giftig“, so Pilzexperte Wolfgang Klofac: „Aufgrund seiner Seltenheit sollte er ohnedies auf jeden Fall geschont werden.“
Der „Ammen-Dornfinger“ (Cheiracanthium punctorium) wurde von 84 Arachnologen (Spinnenkundlern) aus 27 Ländern Europas zur „Spinne des Jahres“ gewählt. Sie hat einen rötlich-braunen Vorder- und einen gelb-längsgestreiften Hinterleib, der Körper des Weibchens ist mit bis zu 15 Millimetern etwas größer als jener des Männchens (12 Millimeter). Selten können diese Tiere Menschen beißen, was etwa so schmerzhaft beschrieben wird wie ein Wespenstich. Im Gegensatz zu den quer gestreiften Insekten sind die Spinnen nachtaktiv. Sie bauen keine Fangnetze, sondern lauern ihrer Beute auf, etwa Heuschrecken und Gottesanbeterinnen. Den Tag verbringen sie meist in kugeligen Ruhegespinsten.
Die „Falsche Rentierflechte“ (Cladonia rangiformis) wurde von der Bryologisch-lichenologischen Arbeitsgemeinschaft für Mitteleuropa zur „Flechte des Jahres“ gekürt, und das „Geneigte Spiralzahnmoos“ (Tortella inclinata) zum „Moos 2023“. Erstere bildet bis zu zehn Zentimeter hohe, grün-weißliche Polster mit zig Zentimetern Durchmesser und kann gut auf kargen Böden gedeihen. Zweiteres bildet mehrere Quadratmeter große Rasen ebenfalls in kargen Gefilden, wie etwa Gletschervorfeldern, Schotterflächen an Fluss- und Seeufern und Kiesgruben.
„Höhlentier des Jahres 2023″ ist der Feuersalamander (Salamandra salamandra). Er ist schwarz-gelb gefleckt, wird 20 Zentimeter lang und hat Hautdrüsen, die Gift produzieren. Dieses schützt ihn vor Fressfeinden. „Das ganze Jahr über kann er in Höhlen und Bergwerkstollen aufgefunden werden“, so der Verband Österreichischer Höhlenforscher (VÖH): „Hier kommt ihm die allgemein hohe Luftfeuchtigkeit zugute, die ihn vor dem Austrocknen schützt.“ Er frisst Insekten, Regenwürmer und Schnecken.
Zum „Fremdling“ (Alien) des kommenden Jahres wurde der „Signalkrebs“ (Pacifastacus leniusculus) ernannt. Der Fluss-, Teich- und Seenbewohner stammt aus Nordamerika und wurde in den 1960er Jahren massenhaft nach Österreich importiert und ausgesetzt, weil sich bei den heimischen Flusskrebsen Bestandslücken aufgetan hatten und es an Speisekrebsen mangelte. Er verdrängt nicht nur die restlichen europäischen Krebse nach und nach, sondern brachte auch die Krebspest aus der Neuen Welt mit. Das ist eine Pilzinfektion, gegen die europäische Krebse kaum Abwehrmechanismen besitzen. So wie die Menschen sich manchmal von Signalkrebsen ernähren, labt er sich wiederum an Pflanzen, Kleintieren und toten Fischen.
Sowohl das „Braune Langohr“ (Plecotus auritus) als „Fledermaus des Jahres“ und die „Posthornschnecke“ (Planorbarius corneus) als „Weichtier des Jahres“ nehmen ihre Titel vom Vorjahr mit. Die Langohren mit ihren namensgebenden, fast körperlangen Hörorganen kürte die Koordinationsstelle für Fledermausschutz und -forschung in Österreich (KFFÖ) unter anderem, um für das Stehenlassen von alten, höhlenreichen Bäumen zu werben, wo die Tiere ihre Sommerquartiere besitzen und (nebst in Ruinen und Kellern) oft auch im Winter abhängen. Die „Posthornschnecke“ besitzt als einzige europäische Wasserschnecke den Blutfarbstoff Hämoglobin, um in sauerstoffarmen Gewässern ohne Luftatmung zu überleben. Sie wurde von der Malakologischen Arbeitsgemeinschaft am Haus der Natur in Salzburg auserkoren.
Eine Pfirsichsorte namens „Eiserner Kanzler“ wurde von der „ARGE Streuobst“ zur „Streuobstsorte des Jahres“ ernannt. Ihr robustes Bäumchen wird meist als Wandspalier gepflanzt und bildet bis August gelblichweiß-rote Früchte mit „wollartiger Behaarung der Fruchthaut“. Das Sulmtaler Huhn und das Tiroler Grauvieh hat wiederum die „Arche Austria“ zu den Nutztierarten 2023 erklärt. Das Huhn habe „in der kaiserlich-königlichen Monarchie als krönender Festtagsbraten für Fürsten und am Kaiserhof“ herhalten müssen, die silber- bis eisengrau gefärbten Rinder wären wiederum gut melkbar, und hätten neben einer ausgezeichneten Fruchtbarkeit auch eine hohe Lebenserwartung, so die landwirtschaftlichen Expert:innen.
Ca5 [(F,Cl,OH)|(PO4)3], vulgo „Apatit“, heißt 2023 das „Mineral des Jahres“. Er kommt in Waldviertler Graniten wie den alpinen Klüften Tirols, in Linzer Sanden, steirischen Marmoren vor, ist sogar in Meteoriten zu finden, und zeigt große Farbenvielfalt, so die österreichische Arbeitsgemeinschaft Mineral. Auch menschliche Knochen und Zähne enthalten ihn als Hartsubstanz.
vielfaltleben: NHM Wien geht mit BirdLife Österreich gegen dramatischen Insektenschwund vor