Kategorie Klima- & Umweltschutz - 11. Januar 2023

vielfaltleben: NHM Wien geht mit BirdLife Österreich gegen dramatischen Insektenschwund vor

Wenn Insekten verschwinden, geht der Vogelwelt die Nahrung aus. Um diesem bedrohlichen Szenario entgegenzuwirken, haben das Naturhistorische Museum (NHM) und BirdLife Österreich im Rahmen der Biodiversitäts-Initiative vielfaltleben des Klimaschutzministeriums (BMK) ein Arbeitspaket geschnürt, das die Lebensräume für gefährdete Vogelarten in fünf Bundesländern verbessern soll.

Ein Schwarzkehlchen (Saxicola rubicola). Seit 1998 hat der Bestand dieser Art laut Birdlife um 72% abgenommen. Derzeit überwintert es eher im westlichen Mittelmeerraum, © NHM Wien, Hans-Martin Berg

Vor einigen Jahren sorgte die sogenannte Krefelder Studie, die in Deutschland einen durchschnittlichen Rückgang der Biomasse von Insekten um erschreckende 76 Prozent innerhalb von nur 27 Jahren feststellte, für mediale Aufregung. Zum ersten Mal zeichnete sich ein so umfassendes Bild dieser Katastrophe sowohl für Tiere und Pflanzen und schlussendlich auch für uns Menschen ab, die – mehr als viele es ahnen – auf Insekten als Bestäuber angewiesen sind. Es gibt inzwischen zahlreiche Studien, die diesen erschreckenden Trend untermauern und einen Rückgang an biologischer Vielfalt in noch nie dagewesenem Tempo und Ausmaß dokumentieren.

Das Artensterben gilt so neben der Klimakrise als die größte Bedrohung für unseren Planeten – und auch für unser eigenes Leben. Rund eine Million Arten sind in den kommenden Jahren vom Aussterben bedroht, wenn wir unseren Umgang mit der Natur nicht drastisch ändern. Vögel, Säugetiere und Amphibien sterben hundertmal schneller aus als in den Jahrmillionen bevor es uns Menschen überhaupt gab. Ihr Bestand ist in den letzten 50 Jahren bereits um 68 Prozent zurückgegangen. Zudem wird durch die Zerstörung der Artenvielfalt auch die Klimakrise weiter befeuert.

Da für Österreich nichts anderes zu befürchten ist, wurden das NHM Wien und BirdLife Österreich aktiv, um im Rahmen des Kooperationsprojektes vielfaltleben V diesem dramatischen Insektenschwund auf lokaler Ebene entgegenzutreten und damit auch die Nahrungsgrundlage für seltene insektenfressende Vogelarten zu verbessern. Denn die Natur ist das größte aller Netzwerke: Dreht man an einer Stellschraube, hat dies vielerlei Auswirkungen auch an anderen Positionen im System: Mehr Insekten etwa bedeuten mehr Nahrung für Insektenfresser und können bei geeignetem Lebensraum zur Erholung der Bestände seltener Vogelarten führen.

Flächen insektenfreundlich offenhalten

Ein wichtiges Ziel der Initiative ist, den Reichtum an Insekten als wesentliche Nahrungsquelle für viele heimische Vogelarten zu sichern, etwa durch das Roden von verbuschten Wiesen, was für Insekten und Vögel gleichermaßen hohe Bedeutung hat. Als wesentliche Maßnahmen wurden mit Zustimmung der Grundeigentümer und mit Partnern aus der Landwirtschaft Gebüsche entfernt, Bäume geschlägert oder Schilf gemäht, um offene, extensiv genutzte Wiesen wiederherzustellen. In einem Fall kam beim Abtransport des Holzes sogar ein Hubschrauber zum Einsatz, um die wertvollen nassen Wiesenböden nicht zu beschädigen. Im Fokus der Vorhaben standen ein Trockenrasen im Weinviertel (Gemeinde Oberschoderlee), ein Feuchtwiesengebiet in Tirol (Ehrwalder Becken), Moorwiesen im Hörfeld an der Grenze Steiermark/Kärnten und im Ibmer Moor in Oberösterreich.

 

Die teils sehr aufwändigen Maßnahmen waren speziell auf den Schutz von Schwarzkehlchen, Braunkehlchen und Wiesenpieper ausgerichtet, da diese Arten in Österreich durchwegs gefährdet sind und nur mehr regionale Brutvorkommen aufweisen. Da Heuschrecken eine wichtige Vogelbeute darstellen, wurden ihre Vorkommen in den ausgewählten Wiesen eigens erhoben, um die Pflegemaßnahmen noch zielgerichteter durchführen zu können. „Ein prompter Erfolg hat sich auf dem Blauen Berg in Oberschoderlee eingestellt, wo sich auf einer der nun gepflegten Trockenwiesen die seltene Heidelerche angesiedelt hat“, freut sich Remo Probst, Projektleiter bei BirdLife Österreich.

Um das Thema Insektensterben und den Rückgang an Vögeln verständlich zu machen, wurde eine Sonderschau im NHM Wien mit dem Titel „Das große Fressen … ist vorbei?“ in den Vogel-Schausälen eingerichtet. Insektenfressende Vogelarten und ihre Lebensräume werden in neues Licht gerückt und die fatalen Wechselwirkungen beim Schwinden ihrer Nahrungstiere thematisiert. „Das Aussterben mancher Insektenfresser, wie Rötelfalke und Rotkopfwürger, in Österreich ist ein trauriger Beleg für die Folgen intensiver Landbewirtschaftung und dem damit verknüpften Insektenschwund vor unserer Haustür“, so Swen Renner, Leiter der Vogelsammlung des NHM Wien.

Als Besonderheit finden sich in der Ausstellung für die unterschiedlichen Vogelgruppen originelle Speisekarten ihrer jeweiligen Insektenmenüs, die heutzutage oft auch mit dem Hinweis „Leider aus“ versehen werden müssen. Dem Verlust an Insekten- und Vogelvielfalt wird sich auch akustisch angenähert: In einer Audio-/Videoinstallation werden naturnahe, artenreiche Lebensräume sowie als Gegenstück dazu vom Menschen „eintönig“ gemachte Orte gezeigt. In der Ausstellung sind die gegensätzlichen Klangkulissen dieser Orte zu hören. „Verschwinden zirpende und summende Insekten und die Vogelgesänge, wird unsere unmittelbare Umgebung auch akustisch ‚monotoner“, so Melanie Pilat, die die Sonderschau wesentlich gestaltet hat.

Wie dieses Projekt zeigt, muss nicht tatenlos zugesehen werden, wie die Natur verarmt. Letztlich können Menschen in Gärten, auf öffentlichen Grünflächen, in der Land- und Forstwirtschaft kleine und große Beiträge leisten, damit Insekten weiterhin summen und die Vielfalt der Vogelstimmen nicht verklingt, wie das NHM Wien und Birdlife Österreich mit dieser Initiative zeigen.

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