Kategorie Klima- & Umweltschutz - 12. Juli 2023

Der Klimawandel könnte die Tage verlängern

Eine neue Studie zeigt: Die Erderwärmung könnte sich darauf auswirken, wie schnell sich der Planet dreht. Dies wiederum würde langfristig dazu führen, dass ein Tag in Zukunft mehr als 24 Stunden hat. Doch kein Grund zur Beunruhigung – es geht um Tausendstelsekunden pro Jahrhundert.

Die Länge einzelner Tage ergibt sich aus dem komplexen Zusammenspiel verschiedener Kräfte. Der Mond beeinflusst mit seiner Anziehungskraft den Rhythmus der Gezeiten. Die beiden Flutberge der Meere – einer immer auf der dem Mond zugewandten und der andere auf der gegenüberliegenden Seite der Erde – wirken wie Bremsbacken und verlangsamen die Rotation des Planeten. So gesehen müsste ein Tag inzwischen 60 Stunden lang sein, doch die Sonne wirkt dem entgegen.

Der Klimawandel, genauer gesagt die durch ihn verursachte globale Erwärmung, könnte sich auf diese Zusammenhänge auswirken und die Abbremsung der Erdrotation verstärken. Zu diesem Schluss kamen Forschende aus Kanada und Frankreich in einer  im Fachblatt „Science Advances“ veröffentlichten Analyse. Dabei beziehen sie sich auf geologische Untersuchungen von gezeitenabhängigen Ablagerungen und Klimamodelle.

Warum 24 Stunden?

Die junge Erde drehte sich vor 4,5 Milliarden Jahren erheblich schneller als heute. Ein Tag war damals deutlich kürzer als zehn Stunden. Zu jener Zeit umkreiste der frisch entstandene Mond die Erde noch auf einer wesentlich engeren Bahn, die Gezeiten waren viel stärker als heute. Da die Flutberge als Bremse wirken, verlangsamte sich die Erdrotation stetig – bis vor etwa zwei Milliarden Jahren. Wie die Untersuchungen von Norman Murray von der University of Toronto in Kanada und seinen Kollegen zeigen, kam dieser Prozess damals zum Stillstand – die Tageslänge blieb 1,4 Milliarden Jahre lang konstant bei etwa 19,5 Stunden. Erst danach nahm sie bis heute weiter zu.

Mithilfe von Klimamodellen, wie sie auch für die Vorhersage der derzeitigen globalen Erwärmung verwendet werden, kamen die Forschenden jetzt der Ursache für den Stillstand auf die Spur. „Die Strahlung der Sonne verursacht zusätzlich Gezeiten in der Lufthülle der Erde“, erläutert Murray. Diese atmosphärischen Gezeiten beschleunigen im Gegensatz zu den Mond-Gezeiten die Erddrehung, sind jedoch im Vergleich zu diesen erheblich geringer und daher zumeist ohne große Bedeutung – allerdings nicht immer.

Wie eine Kinderschaukel

Die Lufthülle der Erde kann ähnlich einer Glocke schwingen. Die Schwingung hängt dabei von der Temperatur der Atmosphäre ab. Vor zwei Milliarden Jahren war die Atmosphäre wärmer als heute – und es kam zu einer „Resonanz“: Die Schwingung der Lufthülle stimmte plötzlich mit der Rotationsdauer überein – und damit auch mit den von der Sonnenstrahlung verursachten Gezeiten. Durch die Resonanz schaukelten sich die Sonnen-Gezeiten auf und ihr Einfluss auf die Erddrehung wurde so stark, dass er die Abbremsung durch den Mond ausglich.

Murray vergleicht das Phänomen mit einer Kinderschaukel: „Gibt man dem Kind unabhängig von der Bewegung der Schaukel Anschub, so kommt die Schaukel nicht sehr hoch. Stößt man jedoch im gleichen Rhythmus wie die Schaukel, also in Resonanz, so bewegt sich die Schaukel höher und höher. Ganz ähnlich hat die atmosphärische Resonanz die Gezeiten der Sonne aufgeschaukelt.“

Kein Grund zur Beunruhigung

Die Studie zeigt aber nicht nur, warum der Tag auf der Erde heute 24 Stunden lang ist. Sie bietet auch einen Ausblick auf die Zukunft der Erde. Die Schwingung der Erdatmosphäre dauert heute 22,8 Stunden – sie ist also zwar nicht in Resonanz mit der Tageslänge, aber auch nicht allzu weit davon entfernt. „Wenn sich die Temperatur der Atmosphäre durch die globale Erwärmung weiter erhöht, wird dieser Unterschied jedoch größer“, sagt Murray. „Dadurch nimmt der Einfluss der Sonne auf die Erddrehung weiter ab – und die Tageslänge nimmt schneller zu als ohne die Erwärmung.“ Beunruhigend ist die Entwicklung allerdings nicht: Die Tageslänge nimmt derzeit um 1,7 Tausendstelsekunden pro Jahrhundert zu – selbst eine deutlich größere Zunahme wäre in menschlichen Zeiträumen betrachtet ohne Bedeutung.

Service

Die Studie im Fachblatt „Science Advances“

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