Kategorie Innovation & Technologie - 7. Oktober 2017
Digitaler Zwilling lässt Maschine länger leben
Wien – Maschinen haben eine ziemlich lästige Angewohnheit. Trotz aller Wartungen müssen ihre Bauteile irgendwann einmal ausgetauscht werden. Das führt zu ungeplanten Stillstandszeiten. Dann leuchten zwar rote Lämpchen auf, die Anzeige „Ausfall“ kommt aber zu spät. Produktionsleiter und Maschinenführer haben dann in Feuerwehraktionen schnellstmöglichst für Ersatz zu sorgen, was aber in der Regel Geld, Zeit und Nerven kostet.
In Industrie-4.0-Projekten versuchen Ingenieure und Instandhaltungsmanager nun eine andere Form der Wartung zu etablieren. „Predictive Maintenance“ ist dabei der Ansatz, mit dem sich Maschinen und Bauteile schon vor dem finalen Aus mit Warnungen melden und so ungeplante Stillstandszeiten verringert werden könnten.
Zwar gab es auch in analogen Zeiten schon Angaben der Hersteller, nach wie vielen Betriebsstunden eine Wartung unbedingt erforderlich wäre. Die Angaben beruhten dabei aber oft auf „Daumen mal Pi“-Schätzungen. Wurde die Lebensdauer von Maschinen exakter ermittelt, brauchte es langwierige Experimente, in denen Bauteile oder Schmierstoffe künstlichen Alterungsprozessen ausgesetzt wurden. Das kostete viel Zeit und Geld. In Zeiten der Digitalisierung können diese Vorgänge nun beschleunigt werden. Ingenieure setzen dazu auf „digitale Zwillinge“ und Computersimulationen, in denen Bauteile virtuell altern und verschiedene Einsatzszenarien getestet werden können.
Am AC2T, dem Österreichischen Kompetenzzentrum für Tribologie in Wiener Neustadt, konzentriert man sich auf Ideen für Industrie 4.0 und hat die Entwicklungszeit von besonders langlebigen Zinken einer für die Lockerung des Bodens in der Landwirtschaft produzierten Kreiselegge deutlich verkürzen können. „Im Modell können wir sowohl die Parameter der Werkstoffe als auch die Belastung im Einsatz simulieren“, sagt Ewald Badisch, wissenschaftlicher Leiter vom AC2T.
Langlebig im Dauereinsatz
Im digitalen Modell konnte wesentlich schneller festgestellt werden, an welchen Stellen Zinken welche Menge von einer aufgeschweißten Härteschicht aus Wolfram, Nickel und Kobalt benötigen, um im Dauereinsatz langlebiger zu werden. „Hätten wir diese Tests analog am Acker durchführen müssen, hätte die Entwicklung Jahre gedauert“, sagt Badisch.
In ähnlichen Simulationsversuchen entwickeln die AC2T-Experten auch Gleitlager, die etwa bei PC-Lüftern oder Scheibenwischern eingesetzt werden. Um diese verschleißanfälligen Teile langlebiger zu gestalten, setzen die Schmiermittelexperten auf selbstschmierende Bauteile.
Dabei werden poröse Werkstoffe in Gleitlagerformen „gebacken“, was in der Fachsprache „sintern“ heißt, und danach in Schmiermitteln getränkt. „Diese Bauteile können sich so ihr Leben lang selbst schmieren“, sagt Franz Pirker vom AC2T. Auch in diesem Fall halfen Computersimulationen die richtigen Material-, Schmier- und Geometrieeigenschaften schneller zu finden.
Offenbar gar nicht so leicht: Denn der Alterungsprozess von Bauteilen, Motoren und Maschinen hängt oft in entscheidendem Maße davon ab, ob nicht die Schmiermittel selbst bereits gealtert sind.
Am Zentrum AC2T, das über das Comet-Programm von Wirtschafts- und Verkehrsministerium gefördert wurde und 120 Mitarbeiter hat, entwickelt man dafür neue Sensortechnologie und Auswertungsalgorithmen. „Hydrauliköl meldet dann etwa selbstständig, wann es zu wechseln ist“, sagt Badisch.
Noch schwieriger wird die Frage der vorausblickenden Wartung freilich, wenn man komplexe Maschinen in ihrem Gesamtprozess untersucht. Das haben Institute der TU Wien und der Montanuniversität Leoben mit weiteren Projektpartnern in einem von der Forschungsförderungsgesellschaft unterstützten Projekt (Maintenance 4.0) unter Federführung von Wilfried Sihn, Leiter des Instituts für Managementwissenschaften der TU Wien und Geschäftsführer von Fraunhofer Austria, untersucht. In Kooperation mit Opel entwickelte man einen Wartungsleitstand für eine Werkzeugmaschine, bei dem Daten über Maschinenzustand und auch die Qualität der erzeugten Bauteile in Echtzeit verarbeitet wurden.
Belastung vorhersagen
„Wir konnten“, sagt Sihn, „ein System entwickeln, das die Verwertung großer Datenmengen und reale Bedürfnisse in der Industrie in Einklang bringt.“ Um die Belastungen an bestimmten Maschinenkomponenten vorhersagen zu können, wurden etwa physische Produktionsprozesse anhand eines „digitalen Zwillings“ der Werkzeugmaschine (CHECKitB4) umfangreich simuliert.
Die gewonnenen Daten wurden anschließend analysiert und dienten als Basis für die Entwicklung des Instandhaltungsmodells. Das Ergebnis dieser Big-Data-Auswertung: Durch die permanente Beobachtung unterschiedlichster Systemparameter konnten ungeplante Stillstandszeiten um immerhin 25 Prozent reduziert werden. (Norbert Regitnig-Tillian, 7.10.2017)