15. Mai 2015
Ein Brutplatz für Seeadler nach Baukastensystem
Wien – Der Himmel trägt grau, der Fluss ebenso. Man steht am Fuße eines Damms und blickt in die Landschaft. Still ist es an diesem regnerischen Frühlingsmorgen. Kleine Wellen kabbeln auf die Steine, irgendwo in der Ferne tuckert ein Kahn. Und dann ist da plötzlich noch etwas: ein seltsames, rhythmisches Rauschen. Der Blick geht sofort nach oben. Dort, in nur wenigen Metern Höhe, schwingt ein riesiger Vogel seine Flügel. Ein Seeadler. Das Tier ist aus den Bäumen hinter dem Damm aufgestiegen und nimmt nun Kurs auf das offene Wasser.
Der Seeadler (Haliaetus albicilla) ist mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,60 Metern einer der imposantesten Erscheinungen der mitteleuropäischen Fauna. Gnadenlose Verfolgung und Umweltgifte wie das berüchtigte DDT brachten die Art auf unserem Kontinent an den Rand des Aussterbens. Dank diverser Schutzmaßnahmen erholen sich die Bestände inzwischen langsam, aber in Österreich lässt sich der Seeadler leider noch immer nur selten beobachten. Die meisten trifft man im Osten, an der March zum Beispiel. In der Wachau dagegen schauen die Großgreife bisher nur als Wintergäste vorbei, sagt die Ökologin Ursula Scheiblechner. Doch das soll sich nun ändern.
Ökologische Aufwertung
Vor wenigen Wochen haben Fachleute an der Donau zwischen Rührsdorf und Rossatz einen künstlichen Seeadlerbrutplatz errichtet. Der Horst ist ähnlich wie die bekannten Storchennester gestaltet, wurde allerdings in einem hohen Baum befestigt. Diese Aktion kennzeichnete den Beginn eines umfassenden Renaturierungsprojekts mit dem Namen „Auenwildnis Wachau“. In seinem Rahmen werden während der nächsten sechs Jahre mehrere Kilometer der Donau stromaufwärts von Dürnstein ökologisch aufgewertet. Scheiblechner betreut als Beauftragte der Trägerfirma viadonau, deren Eigentümer das Verkehrsministerium ist, das Vorhaben auf wissenschaftlicher Seite. Nicht nur der Seeadler soll Nutznießer sein und sich in dem Gebiet wieder niederlassen, betont die Expertin, sondern auch Amphibien, heimische Pflanzenarten, Fische und allerlei andere Organismen. Ein großer Schritt zur Verbesserung der Artenvielfalt.
Die Wasserqualität der Donau mag während der vergangenen Jahrzehnte deutlich besser geworden sein, die umfassende Verbauung jedoch hat den Fluss nachhaltig geschädigt. Dämme und Steinpackungen haben seinem Ufer die natürliche Dynamik genommen, Kiesbänke plus Flachwasserzonen sind vielerorts komplett verschwunden. Gleiches gilt für stehende Altwasser und fließende Nebenarme. Die Folgen waren verheerend, vor allem für die Fischbestände. Vielen Spezies kamen Laichplätze, Kinderstuben oder gleich der ganze Lebensraum abhanden. Probebefischungen zufolge nahm die Fischbiomasse in der Wachauer Donau zwischen 1985 und 2003 um mehr als 70 Prozent ab.
Um diesen gewaltigen Aderlass zu stoppen, wurde ebenfalls im Jahr 2003 mit finanzieller Unterstützung der EU das erste von bisher zwei Life-Projekten zur Renaturierung der Donauufer und angrenzender Biotope gestartet. „Auenwildnis Wachau“ ist das dritte Vorhaben in dieser Serie. Derweil haben die bereits durchgeführten Maßnahmen erste Früchte getragen. Eine 2014 abgeschlossene Studie zeigt einige erfreuliche Verbesserungen in der Fischfauna des Flusses auf. Die Bestände von Barben und Nasen, zwei typischen Leitfischarten der Donau, haben deutlich zugenommen. Auch die laut FFH-Richtlinien besonders schützenswerten Spezies Schrätzer (Gymnocephalus schraetser), Streber (Zingel streber) und Frauennerfling (Rutilus pigus virgo) kommen wieder vermehrt vor.
Die Gesamtmenge an Fisch stieg allerdings nur wenig. Das ist nicht verwunderlich, meint Scheiblechner. „Biomasse und Populationen müssen sich erst langfristig wieder erholen.“ Das neu begonnene Projekt ist – ebenso wie die vorherigen – nach dem Prinzip eines Baukastensystems mit sich gegenseitig stützenden Teilen und ergänzenden Teilen geplant. Zwischen Rührsdorf und Rossatz befindet sich bereits ein renaturierter Nebenarm, der die Insel Pritzenau vom Festland abtrennt. Letztere ist Standort für den eingangs erwähnten Seeadlerbrutplatz und soll auf 36 Hektar zum Naturschutzgebiet erklärt werden.
Zur Verbesserung der Amphibienbestände ist die Einrichtung von 20 Teichen und Tümpeln vorgesehen. „Den Donau-Kammmolch wollen wir so gezielt fördern“, sagt Scheiblechner. Die zoologisch unter dem Namen Triturus dobrogicus bekannte Art kommt derzeit im Plangebiet noch nicht wieder vor. Mehrere Froschspezies sowie die Knoblauchkröte (Pelobates fuscus) konnten dagegen bereits nachgewiesen werden.
Eingeschleppte Arten
Der vorhandene Auwald ist stark mit eingeschleppten Baumarten durchsetzt. Vor allem die aus Nordamerika stammenden Robinien (Robinia pseudoacacia) und Eschenahorne (Acer negundo) beanspruchen viel Fläche. Diese Gehölze gilt es gezielt zurückzudrängen, sagt Scheiblechner. So lasse sich Platz schaffen für die mittlerweile seltene Schwarzpappel (Populus nigra) und andere heimische Baumspezies. Seeadler bauen ihre Horste bevorzugt in hochgewachsenen, alten Exemplaren dieser Arten.
Die Revitalisierung der heute weitgehend trockenen Rinnen auf einer Gesamtlänge von 1,4 Kilometern soll mit vielfältigen Uferstrukturen neue Lebensräume für Flussfische und deren Nachwuchs schaffen. Auch diese Maßnahme kann zur Erholung der Fischbiomasse in der Wachauer Donau beitragen – was wiederum die Attraktivität der Region für den Seeadler erhöht.
Schließlich ernähren sich die Raubvögel zu einem wesentlichen Teil von Fisch. Einen benachbarten, blind endenden Altarm wollen die Experten jedoch nicht wieder für die Durchströmung zugängig machen. Dieses Gewässer ist als Refugium für Fischarten wie den Bitterling (Rhodeus amarus) und das Moderlieschen (Leucaspius delineatus) vorgesehen. Sie meiden fließendes Wasser und ziehen sich lieber in ruhige Winkel zurück. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 15.5.2015)