Kategorie Innovation & Technologie - 17. April 2015

Ein Tastsinn für Roboter

Wien – Die meisten Roboter, die bis jetzt Autos, Elektronik oder pharmazeutische Präparate herstellen, haben eines gemeinsam: Sie bleiben unter sich. Sie arbeiten in den Produktionsstraßen mit flinken, vorgegebenen Bewegungen zusammen. Von Mitarbeitern aus Fleisch und Blut sind sie durch Käfige oder Plexiglas abgeschirmt. Neuere Generationen der selbsttätig agierenden Maschinen sollen dieses Muster aber durchbrechen. Mensch und Maschine sollen enger zusammenarbeiten und gemeinsam „Hand“ anlegen, um ein Produkt zu fertigen.

Damit die neue Kollaboration nicht ins Auge geht, müssen die Roboter lernen, auf die Menschen aufzupassen. Sie müssen für ihre Sicherheit sorgen. Der Maschinenarm muss sofort richtig reagieren, wenn er auf den Körper eines Menschen trifft. Bisher wird für so einen Zweck die aufgewendete Kraft in den Robotergelenken gemessen. Walter Wohlkinger und Michael Zillich, Gründer des Wiener Start-ups Blue Danube Robotics, arbeiten an einer weiteren Methode, die das Hin- und Herreichen von Werkzeugen und -stücken zwischen Mensch und Maschine sicherer machen soll.

„Wir überziehen den Roboterarm mit einer weichen Schaumstoffhaut, die gleichzeitig ein taktiler Sicherheitssensor ist“, erklärt Wohlkinger das Produkt, das die Unternehmer „Airskin Safety“ nennen. „Sobald ein menschlicher Mitarbeiter an der weichen Roboterhaut ankommt und sie nur um zwei, drei Millimeter verformt, hält die Maschine an.“ So werden komplex geformte Nothalt-Einrichtungen für die selbsttätigen Maschinen möglich. „Je näher die Roboter an den Menschen herankommen, desto mehr solcher intelligenter Sensoren müssen eingesetzt werden.“

Das Prinzip hinter den leichten, weichen und frei formbaren Sensoren ist simpel, erklärt Wohlkinger. In der Schaumstoffhaut ist Luft eingeschlossen. Wenn man von außen auf den Luftpolster drückt und sich die Form verändert, verändert sich der Luftdruck im Inneren. Die Luftdruckveränderungen im Sensor werden gemessen und die Daten von einer eigenen Elektronik verarbeitet. Schlägt der Sensor an, wird etwa sofort ein Stoppsignal übermittelt.

„Der wirtschaftliche Vorteil besteht darin, dass man mit wenigen Sensoren, deren 3-D-Form frei gestaltbar ist, auskommt“, erklärt der Forscher. „Bei den meisten Anwendungen reichen wenige großflächige Einheiten aus, die zeigen, aus welcher Richtung der Druck kommt. Hohe Ortsauflösungen würde man dagegen etwa an Roboterfingern benötigen.“

Mit dem Wetter rechnen

Für verschiedene Anwendungen werden jeweils unterschiedliche Algorithmen für die Sensoren erstellt, die auf die jeweiligen Chips übertragen werden. Die Systeme kalibrieren sich selbst und können beispielsweise wetterbedingte Luftdruckveränderungen ausgleichen, erklärt der Entwickler. „Neben der Programmierung sind wir vor allem dabei, möglichst viele Anwendungsfälle genau zu testen.“

Wohlkinger und Zillich – der eine ist Elektrotechniker, der andere Mechatroniker – arbeiten bereits jahrelang an der TU Wien zusammen. Ursprung ihrer Entwicklung ist ihr Engagement im EU-Projekt „Hobbit – The Mutal Care Robot“, bei dem die beiden nach wie vor an der Entwicklung eines Pflegeroboters für Senioren tüfteln. Weiche, taktile Sensoren sind hier für die Interaktion zwischen Mensch und Maschine sehr wichtig.

In ihrem jungen Unternehmen, das unter anderem durch die Förderagentur AWS unterstützt wird, bringen die beiden auch ein Sensorsystem für den Heimbereich zur Marktreife. „Airskin Sense“ soll Heimroboter empfindlich für Berührungen machen. Damit könne man einen Roboterarm stoppen, ihn wegdrücken oder zu einem bestimmten Ort hinführen, um ihn dort eine Arbeit erledigen zu lassen.

Aber nicht nur Roboter, die ganze Wohnung – Bett, Couch, Stühle – könnte man mit den Sensorpölstern ausstatten, um die Aktivität einer pflegebedürftigen Person zu überwachen und beispielsweise Epilepsieanfälle zu melden, erklärt Wohlkinger. Sie könnten aber auch als Eingabefläche am Fernsehsessel oder im Badezimmer dienen, auf die man in einem bestimmten Rhythmus klopft, um so Assistenzroboter herbeizuholen oder einen Notruf abzusetzen.

Mehr Privatsphäre

Die Sensoren würden damit Videokameras ersetzen und so die Privatsphäre der Menschen schützen. „Selbst für Staubsaugerroboter kann man eine minimalistische Version einsetzen, damit sie an einer Wand kehrtmachen, ohne hart anzustoßen und Spuren zu hinterlassen.“

Bei Blue Danube Robotics arbeiten mittlerweile fünf Teilzeitmitarbeiter. Acht Studierende beschäftigen sich im Rahmen ihrer Diplomarbeiten mit den Entwicklungen. In wenigen Wochen soll ein erster taktiler Sensor im Kleinformat für die Robotik-Baukästen von Lego Mindstorms herauskommen. Bis zum Sommer wollen die Gründer ihre Sensorhäute für Industrie- und Heimsysteme auf den Markt bringen. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 15.4.2015)


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Blue Danube Robotics