Kategorie Innovation & Technologie - 12. Mai 2015

Elektronische Ablenkung: Die Stimmen in meinem Auto

Wien – Während ein Autofahrer vor 30 Jahren manchmal das Tachometer ins Auge fasste oder die Tankuhr prüfte, prasseln heute eine Vielzahl an Informationen auf ihn ein. Was damals die Hutablage war, dient nun als erweiterter Schreibtisch. Lenker führen Geschäftsgespräche über die Freisprechanlage oder verwenden Social Media während der Fahrt. Der Fahrer kommuniziert aber nicht nur mit anderen Menschen – auch das Auto selbst meldet sich.

61 Funktionen konkurrieren in einem modernen Mittelklassewagen mit der Straße um die Aufmerksamkeit des Fahrers. Über visuelle und akustische Signale meldet das Auto den Abstand zum Vordermann, informiert über den Spritverbrauch oder navigiert durch fremde Straßen.

Führende Todesursache

Der Österreichische Verkehrssicherheitsfonds und das Verkehrsministerium starteten dazu letzte Woche bei einer Veranstaltung in Wien in Kooperation mit der Universität Salzburg, dem Austrian Institute of Technology (AIT) und dem Unternehmen Audio Mobil Elektronik GmbH die Workshopreihe „Car Safety Interaction“. Ziel ist es, dass Auto und Fahrer über ein Interface miteinander Informationen austauschen, ohne ein Sicherheitsrisiko einzugehen.

„Das Auto kann eine Waffe sein“, sagt Manfred Tscheligi, Leiter des Christian-Doppler-Labors Contextual Interfaces der Universität Salzburg und der Business Unit Technology Experience am AIT. 2013 identifizierte die World Health Organisation Autounfälle weltweit als führende Todesursache in der Altersgruppe zwischen 15 und 29 Jahren. Trotz der Gefahr bleibt der Fokus der Fahrer kaum auf der Straße. Gerade einmal die Hälfte der Zeit richtet der Lenker die Augen auf die Straße, wenn er einen Anruf tätigt oder das Navigationssystem bedient.

Mittels Eyetracking überprüfte eine Studie des Christian-Doppler-Labors und der Audio Mobil Elektronik GmbH den Fokus der Autofahrer bei verschiedenen Aufgaben. Obwohl die Messungen ihre Überforderung deutlich zeigten, hielten sich die befragten Lenker für aufmerksam. Die Probanden waren also nicht nur abgelenkt, sie überschätzten sich auch.

Weil der Mensch zu den fehleranfälligsten Elementen im Fahrzeug gehört, greifen Maschinen immer öfter in seine Fahrweise ein. Mit einem autonomen Notbremssystem oder Spurhalteassistenten korrigiert das Fahrzeug den Lenker – nicht umgekehrt. „Fahrassistenten können durchaus Sinn machen“, sagt Tscheligi, „aber sie dürfen nicht dazu führen, dass der Fahrer noch stärker von seiner eigentlichen Aufgabe, dem Fahren, abgelenkt wird“.

Wertvolle Reaktionszeit

Nicht nur Überlastung, sondern auch Langeweile birgt Risiken. „Im Verkehr sind wir einmal unterfordert, einmal plötzlich wieder überfordert“, sagt Verkehrspsychologe Georg Bartl.

Durch Fahrassistenten fühlt sich der Fahrer sicher und lässt den Fokus schweifen. Wenn die Situation gefährlich wird, fehlen wertvolle Sekunden bis zur Reaktion. Paradoxerweise macht Sicherheitstechnik das Autofahren also nicht zwangsläufig sicherer.

Eine mögliche Lösung heißt für Tscheligi „persuasive Interfaces“. Das Prinzip der Persuasion erzieht den Fahrer zum richtigen Verhalten. Technisch wäre hier schon einiges möglich. Mittels Eyetracking überwacht das System den Fahrer und gibt ihm Rückmeldungen, wenn er die Augen über längere Zeit von der Straße nimmt.

Sogar Herzschlagmessungen könnten zum Einsatz kommen. Wenn ein Telefongespräch im Auto den Lenker emotional aufrüttelt und so den Fokus entzieht, könnte das Auto dem Fahrer eine Pause vorschlagen.

Der Übergang vom selbstbestimmten zum automatischen Fahren ist für Autofahrer und Forscher Neuland. Flugpiloten trainieren jahrelang am Simulator, um sowohl mit Autopiloten als auch mit der manuellen Steuerung umgehen zu können. Dafür hat der Autolenker schlicht keine Zeit. Deshalb müsse das Design auch bei wenig Umgang mit der Maschine sicher sein, schließen die Teilnehmer des ersten Workshops für Car Safety Interaction.

Trotzdem steht die Frage im Raum, ob die Maschine ihren fehleranfälligen menschlichen Fahrer nicht irgendwann als Lenker ablöst. Das bringt neue Herausforderungen: „Ob sich der Mensch im selbstfahrenden Auto dann sicherer fühlt, wird die Forschung in Zukunft noch beschäftigen“, sagt Tscheligi. (Marlis Stubenvoll, DER STANDARD, 13.5.2015)