Kategorie Klima- & Umweltschutz - 19. März 2024

Frühlingsboten außer Takt: Wie der Klimawandel der Vogelwelt zusetzt

Alle Arten im Tierreich sind von der Klimakrise betroffen – ausnahmslos. Dass der Klimawandel das Artensterben beschleunigt, gilt in der Wissenschaft weitgehend als Konsens und nimmt natürlich auch die Vogelwelt nicht aus. Besonders dicht auf den „Schwingen“ ist der Klimawandel den Zugvögeln, da sie auf intakte ökologische Verhältnisse gleich an mehreren Orten unseres Planeten angewiesen sind: 1. an ihren Brutplätzen, 2. im Überwinterungsgebiet und 3. an den Rastplätzen entlang ihrer Zugrouten. Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass der vom Menschen befeuerte Klimawandel Veränderungen in verschiedenen Bereichen für die Vögel mit sich bringt: bei Zugzeiten und Brutbeginn, beim Zugverhalten, bei der geografischen Verbreitung und der Populationsentwicklung.

So kehren unzwischen viele Zugvögel im Frühjahr etwa drei Wochen früher aus ihren Winterquartieren zurück als noch vor 40 Jahren, manche ändern ihre Abflugszeiten im Herbst, wodurch sich entsprechend die Aufenthaltsdauer im Brutgebiet im Schnitt verlängert. Auch die Brut der Vögel beginnt immer früher. Zum einen liegt die frühe Heimkehr an den steigenden Temperaturen in Afrika, zum anderen am abnehmenden Regen an den wichtigen Rastplätzen an der Mittelmeerküste. Die Vögel rasten nur kurz und fliegen schnell nordwärts weiter.

© Hans-Ulrich Rösner, WWF

Die Biodiversitätsforschung geht inzwischen davon aus, dass rund die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten in den weltweit bedeutendsten Naturregionen mittelfristig dem Klimawandel zum Opfer fallen werden. Auch für Vögel erzeugt der Klimawandel einen ungeheuren Druck. So zeigt eine Studie von BirdLife International, dass 24 Prozent der 570 weltweit untersuchten Vogelarten negativ und nur 13 Prozent positiv vom Klimawandel beeinflusst werden und so eine immer schnellere und immer fortwährende Anpassung der Arten zum Überleben erfordert wird. Was sonst in vielen Jahrhunderten schleichend geschah, passiere jetzt innerhalb von 70 bis 80 Jahren, konstatieren die Studienautorinnen.

Nehmen die Temperaturen weiter zu, werden über 2.300 Arten aufgrund ihrer Verhaltensweisen oder ihrer Verbreitung besonders stark zu kämpfen haben, weil sie sich nicht schnell genug anpassen können. Das entspricht fast einem Viertel aller Vogelarten. Weitere etwa 1.500 Arten können sich vermutlich besser anpassen, haben aber ebenfalls ein Risiko, nicht mit dem Klimawandel klarzukommen.

Wie dieser die Lebensräume mancher Zugvögel bedroht, zeigt sich etwa im Wattenmeer Nordwesteuropas. Dort werde der steigende Meeresspiegel bereits zu den Hauptbelastungen gezählt, wie das Gemeinsame Wattenmeersekretariat in Wilhelmshaven in einem Untersuchungsberichts festhielt. Das Wattenmeer vor den Küsten Dänemarks, Deutschlands und der Niederlande gilt als Drehscheibe des ostatlantischen Vogelzuges.

Druck durch die Klimakrise

Im von der UNESCO ausgezeichneten Feuchtgebiet fressen sich Millionen Vögel Nahrungsreserven für ihren Weiterflug zwischen Afrika und der Arktis an. Nun würden im Wattenmeer neben dem Meeresspiegelanstieg zunehmend extreme Wetterereignisse wie Starkregen und Stürme den Vögeln bei der Rast und Brut zusetzen. Auch im Hauptüberwinterungsgebiet vor Westafrika seien die Folgen des Klimawandels, etwa durch Erosion an den Küsten, für Zugvögel bereits zu spüren, auch wenn andere Faktoren wie Überfischung, Schiffsverkehr und Holzeinschlag des Berichts zufolge dort aber wohl noch größeren Einfluss haben.

Der weltweite Klimawandel hat auf die meisten Küstengebiete Einfluss, so Kristine Meise, Programmleiterin Zugweg und Biodiversität des Wattenmeersekretariats. In regelmäßigen, länderübergreifenden Zählungen wird daher versucht, Veränderungen in den Populationen frühzeitig zu erkennen, wobei die Schwierigkeit darin besteht, dass Zugvögel in der Regel eben nicht an einem Ort bleiben und manchmal sogar ihre Flugroute ändern. So kann es sein, dass die Anzahl der Vögel einer bestimmten Art im Wattenmeer sinkt, global gesehen der Bestand aber stabil bleibt oder sogar steigt.“ Um den globalen Bestand zu messen, müssten daher alle Orte, an denen die Vögel vorkommen können, gleichzeitig erfasst werden.

Die letzte Zählung ergab, dass 2020 im Vergleich zu Beobachtungsdaten, die mehrere Jahrzehnte zurückliegen, bei der Hälfte der insgesamt 83 beobachteten Zugvogelpopulationen die Bestände zunahmen. 16 Prozent der Populationen waren stabil, bei 30 Prozent verzeichneten die Forschenden eine Abnahme – etwa bei Watvögeln, die in der sibirischen Arktiks brüten.

Eine mögliche Erklärung dafür seien die sich ändernden klimatischen Bedingungen, sagt Meise. „Die Zugvögel haben sich über Jahrtausende an bestimmte Zeiten angepasst.“ Durch den Klimawandel beginne der Frühling und damit die Schneeschmelze und der Schlupf von Insekten in der Arktis aber früher. Für die Brut und Aufzucht von Jungvögeln ergäben sich dadurch schlechtere Bedingungen, erklärte Meise. Dies könne einen Rückgang beim Bruterfolg erklären.

Im weltweiten Durchschnitt haben Vögel nämlich immer weniger Nachkommen. Zwar sei der jährliche Rückgang der Nachkommen relativ gering, könne aber über Jahrzehnte zu einem starken Rückgang der Jungvögel führen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, an der über 100 Forscherinnen aus der ganzen Welt beteiligt waren und dafür Daten von 104 Vogelarten zwischen 1970 und 2019 untersuchten.Sie stellten dabei große Unterschiede zwischen den verschiedenen Vogelarten fest. Während rund 57 Prozent der Arten in den vergangenen 50 Jahren stetig weniger Nachkommen produzierten, stieg die Anzahl Nachkommen bei rund 43 Prozent der Arten sogar an.

Besonders anfällig auf den Klimawandel zeigten sich dabei große Vogelarten. Dies hängt laut den Forschenden damit zusammen, dass große Vogelarten tendenziell weniger Nachwuchs haben und dieser länger braucht, um die Geschlechtsreife zu erreichen. Dadurch können sie sich langsamer an veränderte Bedingungen anpassen.

Aber auch hier zeigte sich, dass Zugvögel von der Klimaerwärmung viel stärker betroffen waren als sesshafte Vogelarten. Die Wissenschaftlerinnen erklärten dies damit, dass sich die Brut- und Überwinterungsgebiete der Vögel ungleichmäßig erwärmen. Das kann dazu führen, dass die Vögel nicht mehr rechtzeitig in ihren Brutgebieten eintreffen. Kommen sie zu spät, können sie ihre Brutsaison nicht voll ausnutzen. Sind sie zu früh, finden sie nicht genügend Nahrung für die Aufzucht ihrer Jungen.

Hierzulande betrifft das etwa auch den Kuckuck, in einer Art Spezialfall der Zeitverschiebung. Jedes Frühjahr erschallt sein markanter Ruf aufs Neue. Die Kuckucke sind aus Afrika zurück, nachdem sie in Gegenden südlich des Äquators überwintert haben und rund 15.000 Kilometer auf der Reise ins Winterquartier und retour hinter sich gebracht haben.

Kuckuck © Heinz Kolland

Nach der Ankunft sind sie als Klimakrisenfolge jedoch immer öfter von einem sogenannten „mismatch“ betroffen, einer nicht mehr funktionierenden zeitlichen Abstimmung zwischen dem Kuckuck und seinen Wirtsvogelart. Diese Vogelarten, denen der Kuckuck sein Ei „unterjubelt“, sind meist Kurzstreckenzieher, die in ihrer Rückkehr ins Brutgebiet flexibler sidn und tendenziell bei wärmeren Witterungsverhältnissen früher im Brutgebiet ankommen können. Beim Kuckuck als Langstreckenzieher wird der Zeitpunkt der Rückkehr hingegen durch angeborene innere Instinkte bestimmt. Und hier macht der Klimawandel dem Kuckuck zunehmend einen Strich durch die Rechnung: Er kommt quasi pünktlich zu uns zurück ins Brutgebiet und gleichzeitig zu spät, weil alle anderen Vögel längst da sind und die subversive Eiablage dann schlicht nicht mehr funktioniert.

So wird der namensgebende Ruf immer seltener, der Bestand des Kuckucks ist europaweit rückläufig: in Drittel weniger Kuckucke in den letzten 40 Jahren, in Großbritannien sogar um die Hälfte weniger. BirdLife Österreich schätzt die Anzahl der Kuckucke in Österreich auf rund ein Viertel weniger in den letzten 25 Jahren, wobei nach einer Abnahme rund um den Jahrtausendwechsel der Bestand zurzeit stabil bei rund 100.000 bis 150.000 Kuckucken liegen dürfte.