Kategorie Klima- & Umweltschutz - 5. April 2024

Gletscherbericht des Alpenvereins: Österreich in 40 bis 45 Jahren eisfrei

Gletscherbericht des Alpenvereins – Pasterze verlor in nur einem Jahr über 200 Meter an Länge – 2022/23 im Schnitt drittstärkster Gletscherschwund in 133 Jahren

Die inzwischen schon fast zur Gewohnheit werdenden laufenden Wärmerekorde spiegeln sich auch in den heimischen Gletschern wider: Von 93 beobachteten Gletschern haben von 2022 auf 2023 bis auf einen alle an Länge verloren. Und das Ende des „Ewigen Eises“ ist absehbar: „In 40 bis 45 Jahren wird Österreich weitgehend eisfrei sein“ sagte Andreas Kellerer-Pirklbauer vom Institut für Geografie und Raumforschung an der Universität Graz am Freitag bei einem Mediengespräch.

Die Pasterze (im Hintergrund) © Anna Praxmarer

Den traurigen Rekord gab es im Vorjahr bei der vermutlich bekanntesten Eiszunge des Landes, der Pasterze am Fuß des Großglockners: Hier wurde ein Schwund von 203,5 Metern gemessen, wie aus dem aktuellen Gletscherbericht des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV) hervorgeht. Die 203 Meter bedeuten einen Verlust von 14,03 Millionen Kubikmeter Eis, das wäre ein Würfel mit einer Kantenlänge von 241 Metern – fast die Höhe des Donauturms in Wien (252 Meter). Seit 1850 hat die Pasterze bereits eine Länge von rund drei Kilometern verloren. Und noch in diesem Jahrzehnt werde die Zunge abreißen, sagte Kellerer-Pirklbauer voraus.

 

Im Durchschnitt haben sich die 93 Gletscher im vergangenen Beobachtungsjahr um 23,9 Meter zurückgezogen, das ist der dritthöchste Wert in der 133-jährigen Geschichte der Messungen des Alpenvereins. Noch stärker war der Rückzug 2021/22 mit 28,7 Metern und 2016/17 mit 25,2 Metern, das heißt, alle drei Höchstwerte wurden in nur sieben Jahren registriert. Der österreichweite Verlust an Eismasse betrug 2022/23 rund 600 Millionen Kubikmeter, das wäre ein Würfel mit einer Kantenlänge von 843 Metern, sagte Kellerer-Pirklbauer, der gemeinsam mit Gerhard Karl Lieb den ÖAV-Gletschermessdienst leitet.

Auch wenn der durchschnittliche Schwund vor einem Jahr höher war als im aktuellen Bericht, gab es damals keinen einzigen Gletscher, der 100 Meter oder mehr schrumpfte, 2022/23 waren es hingegen zwei: neben der Pasterze in Kärnten mit ihrem Rekordrückzug von über 200 Metern auch der Rettenbachferner in den Ötztaler Alpen in Tirol mit 127 Metern. Unter den traurigen Top Ten befinden sich gleich neun Gletscher auf Tiroler Gebiet, und vier davon in den Ötztaler Alpen.

Statistik: Der Gletscherrückgang in Zahlen (Messperiode 2022/2023)

10 größte Rückgänge – Längenverluste in Metern:

1.    Pasterze (Kärnten, Glocknergruppe)                -203,5

2.    Rettenbachferner (Tirol, Ötztaler Alpen)            -127,0

3.    Sexergertenferner (Tirol, Ötztaler Alpen)            -93,7

4.    Schlatenkees (Tirol, Venedigergruppe)                -92,8

5.    Fernauferner (Tirol, Stubaier Alpen)                 -68,0

6.    Gepatschferner (Tirol, Ötztaler Alpen)                -67,0

7.    Freiwandkees (Tirol, Glocknergruppe)                -65,8

8.    Marzellferner (Tirol, Ötztaler Alpen)                -49,9

9.    Frosnitzkees (Tirol, Venedigergruppe)                -46,0

10.    Alpeinerferner (Tirol, Stubaier Alpen)                -43,4

Das Ende der Gletscher in Österreich ist nach Angaben der beiden Experten nicht mehr zu verhindern. „Das System ist zu träge. Es müsste schon seit Jahren wieder erste positive Massebilanzen geben. Hier geht nichts mehr“, sagte Lieb. Tatsächlich gab es seit Mitte der 1980er-Jahre keine Gletschervorstöße mehr. Auch restriktive Klimaschutzmaßnahmen kämen bereits zu spät. Auf globaler Ebene hingegen sei noch etwas zu erreichen.

Alpenvereins-Vizepräsidentin Nicole Slupetzky forderte heute dennoch einen Schutz der Gletscher „ohne Wenn und Aber“ ein. „Der alpine Raum steht permanent unter Druck, etwa durch neue Skilifte oder Zusammenschlüsse von Skigebieten. In Österreich sind nur mehr sieben Prozent der Landschaft unberührt, und die müssen wir uneingeschränkt schützen.“ Lieb ergänzte:“ Es geht darum, die Biodiversität zu erhalten, da gehören die Gletscher dazu.“ Neben der Artenvielfalt nannte er auch noch den Aspekt der Sicherheit, denn Gletscher würden das steile Gelände teilweise abstützen.

Der Gletschermessdienst des ÖAV beobachtet seit 133 Jahren das – doch nicht – „Ewige Eis“ in Österreich und misst die Längenänderungen. An einigen Gletschern werden zusätzlich Messungen der Fließgeschwindigkeiten und der Oberflächenhöhenveränderung durchgeführt, die ebenfalls eine massive Abnahme der Höhe des Eises und der Bewegungsgeschwindigkeiten zeigen. Den beiden Leitern Gerhard Karl Lieb und Andreas Kellerer-Pirklbauer wurden für den Gletscherbericht 2022/23 von 24 „Gletschermessern“ 19 Berichte aus 17 Teilgebieten in 12 Gebirgsgruppen vorgelegt. Die Messungen fanden von 14. August bis 12. Oktober 2023 statt.

Klima-Glossar: Gletscherschmelze

Durch die Klimakrise ziehen sich die Gletscher weltweit und immer schneller zurück. In den vergangenen Jahren schwand das Eis bis zu drei Mal rascher als noch im 20. Jahrhundert. Die rund 5.000 Gletscher in den Alpen verloren in nur 15 Jahren ein Sechstel ihres Eisvolumens. Berechnungen zufolge dürfte sich ihre Anzahl in den nächsten Jahren halbieren. Forscher prophezeien: Das Schmelzen lässt sich nicht mehr aufhalten. Das hat dramatische Konsequenzen.

Seit mehr als 120 Jahren sammelt der World Glacier Monitoring Service (Welt-Gletscher-Überwachungsdienst, kurz: WGMS) Daten über die Veränderung der Gletscher weltweit. Die Experten beobachten Referenzgletscher – Gletscher die stellvertretend für die vielen Gletscher stehen sollen – in rund zwanzig Bergregionen der Welt. Darunter sind auch 13 österreichische Gletscher.

Die Pasterze ist der größte Gletscher Österreichs. Die Aufnahmen stammen aus dem Jahren 1920 und 2012 (links: Alpenverein/Laternbildsammlung, rechts: Alpenverein / N. Freudenthaler).  

Die Pasterze ist mit rund acht Kilometern der längste Gletscher der Ostalpen und der größte in Österreich. Sie befindet sich am Fuße des Großglockners im Nationalpark Hohe Tauern. Nach Angaben der österreichischen Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) verlor der Gletscher zwischen 1969 und 2012 über die gesamte Fläche 37 Meter an Eisdicke. Inzwischen geht der Pasterzengletscher jährlich um etwa fünfzig Meter zurück.

Reaktion mit Verzögerung

Experten sind sich einig: Die Gletscher werden weiterhin Eis verlieren, selbst wenn die Erderhitzung nicht weiter fortschreitet: Denn sie reagieren mit Verzögerung auf den Temperaturanstieg. Die Gletscherschmelze hat direkte Auswirkungen auf uns Menschen und unsere Umwelt. Mit den Gletschern verschwindet die Artenvielfalt. Ehemalige Gletschertäler verwandeln sich in öde Gesteinswüsten, in denen sich nur wenige Lebewesen wohlfühlen.

Die Aufnahmen zeigen den Brandner Gletscher in den Jahren 2003 und 2015 (links: Alpenverein/Kaufmann, rechts: Alpenverein/Gross).

Höhere Temperaturen führen außerdem dazu, dass der sogenannte Permafrostboden auftaut. Rund ein Sechstel der gesamten Erdoberfläche gilt als Permafrostgebiet. Es zeichnet sich dadurch aus, dass der Boden dort mindestens zwei Jahre lang dauerhaft gefroren ist. Taut er auf, kann sich lockeres Gestein lösen und ins Tal stürzen. Forscher der ETH Zürich haben am Schweizer Aletschgletscher seit 2011 zahlreiche Felsstürze beobachtet – allein 2016 brachen 2,5 Millionen Kubikmeter Fels ab.

Wachsende & neu entstehende Gletscherseen

Ein unübersehbares Zeichen dafür, dass die Gletscher schmelzen, sind zudem wachsende oder neu entstehende Gletscherseen. Forscher entdeckten in den Schweizer Alpen 180 Gletscherseen, die allein im vergangenen Jahrzehnt entstanden waren. Tiefer liegende Gletscherseen können für ihre Umgebung eine Gefahr darstellen – der Druck kann dazu führen, dass Wände aus Geröll einstürzen und sich das Wasser ins Tal ergießt. Der Gletschersee Cachet in Patagonien löste bereits mehrere Fluten aus.

Fließt das Gletscherwasser ins Meer, trägt es dazu bei, dass der Meeresspiegel steigt. Forscher der ETH Zürich belegten im April 2019, dass die Gletscherschmelze den Meeresspiegel in den letzten Jahren im Schnitt um einen Millimeter ansteigen ließ. Dazu trugen besonders die Gletscher in Alaska, Patagonien und in den arktischen Regionen rund um den Nordpol bei. Jährlich verloren die 19.000 untersuchten Gletscher 335 Milliarden Tonnen Eis.

Gletscherschmelze kann aber auch zu Trockenheit führen. In manchen Gegenden – etwa in den Anden und dem Himalaya – sind Gletscher zeitweise die wichtigste Quelle für Trinkwasser.

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