3. September 2016

Ideen für die digitale Alphabetisierung

Alpbach – Die Arbeitsmarktsituation verschärft sich zwar zunehmend, doch zumindest einen Vorteil hat die europäische Jugend auf dem Arbeitsmarkt: Als Digital Natives sprechen die meisten von ihnen die Sprache der künftigen Arbeitswelt, die weitestgehend auf Digitalisierung und Internettechnologien beruhen wird. Was aber passiert mit den vielen Flüchtlingen, die hier wollen und sollen, oft jedoch über keinerlei „Digital Skills“ verfügen?

Michael Boltz, Lehrer an der HTL Spengergasse in Wien, hat ein Jahr lang 16 Schüler aus Syrien, dem Irak, Afghanistan und Somalia mit höchst unterschiedlichen Bildungsniveaus in Mathematik unterrichtet. In Alpbach hat er bei den Technologiegesprächen über dieses schwierige Unterfangen berichtet: „Etliche meiner Schüler trauten sich am Anfang nicht einmal den Computer einzuschalten, weil sie fürchteten, ihn kaputtzumachen“, sagte Boltz. Was also tun? „Immerhin besaßen alle ein Smartphone – und so nutzten wir eben dieses für die Mathematiklernplattform, mit der wir arbeiteten.“

Die Strategie ging auf, die Burschen entwickelten sogar eine gewisse Begeisterung für diese Form des Lernens. „Vor allem das digitale Belohnungssystem für richtig gelöste Rechenbeispiele hat sie sehr motiviert“, so Boltz. Das große Plus des privaten Smartphones als Lernwerkzeug: Die Schüler konnten jederzeit und wo immer sie waren auf eine vertraute Technologie zurückgreifen, und gegen Ende des Jahres hatten auch die Berührungsängste mit PC & Co stark abgenommen.

E-Learning auf Farsi

Wie man die „Digital Literacy“ der jungen Flüchtlinge verbessern könnte, zeigte Carsten Johnson von der Cisco Networking Academy Deutschland auf. Ausgangspunkt des kostenlosen Cisco-Angebots zur Integrationsförderung ist eine Lernplattform zur Vermittlung von IT-Kompetenzen, die schon vor Jahren aus einem der von der Firma geförderten Sozialprojekte hervorgegangen ist und mittlerweile in 165 Ländern angewendet wird. „Wir haben diese Lernplattform nun an die Bedürfnisse der Flüchtlinge angepasst“, so Johnson in Alpbach. Zum einen bietet sie auf den jeweiligen Kenntnisstand zugeschnittene kostenlose E-Learning-Angebote auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi an.

Zum anderen ermöglicht dieses auch für Smartphones geeignete Tool die Selbst- und Fremdüberprüfung der IT-Kenntnisse von Flüchtlingen in nur einer halben Stunde, was die Arbeit des AMS in Hinblick auf die Ermittlung sinnvoller Weiterbildungskurse beziehungsweise die Jobvermittlung erleichtert.

Immerhin spiegeln Zeugnisse nicht immer den tatsächlichen Kenntnisstand wider, und mit Selbsteinschätzungen kann man ziemlich danebenliegen. Noch im September soll die neue IT-Kompetenz-Einschätzungs-App von der Arbeitsagentur in Deutschland eingesetzt werden. „Mit der Lernplattform bieten wir den Flüchtlingen in der Folge auch ihren Kompetenzen entsprechende IT-Kurse an, die von IT-Basiswissen bis zum Industriezertifikat reichen“, sagte Johnson. „Auf diese Weise kann man fachliche Kompetenzen vermitteln, auch wenn die Sprachkenntnisse noch nicht ausreichen und das Asylverfahren noch läuft.“

Bislang verzögert das in Österreich gängige Stufenmodell – zuerst das Anerkennungsverfahren, dann Deutschkurse, Praktika und die Vermittlung in einen Job – die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt massiv. Mit der neuen App könnten Asylwerber die Zeit des Wartens nutzen, und auch die volkswirtschaftlichen Kosten infolge der stark verzögerten Arbeitsmarktintegration würden sinken. „Natürlich brauchen wir Kooperationspartner vor Ort wie Vereine, Sozialeinrichtungen oder Weiterbildungsanbieter“, sagte Johnson. (grido, 3.9.2016)


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