Kategorie Innovation & Technologie - 6. Juli 2022
Jubiläum einer Weltraumnation: 35 Jahre österreichische ESA-Mitgliedschaft
Seit genau 35 Jahren ist Österreich Vollmitglied der Europäischen Weltraumorganisation (ESA). Dieses Jubiläum wurde gestern mit einer Festveranstaltung im Sinne des Mottos der österreichischen Weltraumstrategie 2030+ „Mensch, Klima, Wirtschaft: Weltraum ist für Alle da“ im Beisein von Weltraumministerin Leonore Gewessler und ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher gebührend gefeiert.
Aschbacher, der aus Österreich stammende und seit vergangenem Jahr amtierende Generaldirektor der ESA, würdigte Österreichs Weltraumaktivitäten: „Hier werden Innovation und Exzellenz großgeschrieben und die österreichischen Kapazitäten, gerade auch im Bereich Raumfahrt, gilt es im europäischen Kontext einzubinden.“
Aschbacher erwartet aber auch, dass Österreich seine Beiträge zur ESA signifikant erhöht. Andernfalls befürchtet er, dass die hierzulande vorhandenen Kapazitäten im Weltraumbereich „gefährdet sind und ins Ausland abwandern“, wie er Dienstagnachmittag bei einer Pressekonferenz anlässlich der 35-jährigen Mitgliedschaft Österreichs bei der ESA in Wien erklärte.
Österreich ist mit 1. Jänner 1987 als Vollmitglied bei der ESA angedockt. Deren Budget setzt sich zum größten Teil aus Beiträgen der Mitgliedsstaaten zusammen, dazu kommen noch Teilbeträge von der EU und anderen Organisationen. Für das laufende Jahr gibt die ESA ihr Gesamtbudget mit 7,15 Mrd. Euro an. Rund zwei Drittel davon kommen von den ESA-Mitgliedsstaaten (4,81 Mrd. Euro). Österreich ist mit einem Beitrag von 49,8 Mio. Euro an den von den Mitgliedsstaaten finanzierten Budgets für Aktivitäten und Programme mit an Bord.
Bereits vor dem ESA-Beitritt hat sich Österreich intensiv mit Weltraumfragen und Weltraumtechnik auseinandergesetzt. Schon 1970 wurde das Institut für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gegründet, die Austrian Space Agency 1972. Seit 1975 nimmt Österreich an Programmen der ESA teil. So waren schon vor der Aufnahme als Vollmitglied vor 35 Jahren österreichische Technologien bei diversen Weltraum-Missionen mit an Bord.
Inzwischen hat sich der heimische Beitrag zur internationalen Raumfahrt stetig weiterentwickelt und vergrößert. Die ESA bildet dahingehend das Herzstück der europäischen Raumfahrt und auch den Kern der österreichischen Weltraumaktivitäten.
Mittlerweile sind 38 Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher aus Österreich bei der ESA beschäftigt und arbeiten dort unter anderem als Materialtechniker, Satellitentechniker, Innovationsmanager oder wissenschaftliche Missionsleiter.
Das Klimaschutzministerium investiert pro Jahr rund 70 Millionen Euro in den Weltraumsektor, davon gehen rund zwei Drittel an die ESA. Davon wiederum fließen pro Jahr circa 10 Millionen Euro in ESA-Erdbeobachtungsaktivitäten. Dank dieser finanziellen Mittel kommt es zu einer Stärkung der Marktposition für Technologie aus Österreich und einer stärkeren Nutzung sowie einem Ausbau und der Anwendung von Weltraumtechnologien und Weltraumdienstleistungen, vor allem auch im Klima- und Umweltbereich.
In Österreich ist der Weltraumsektor in den letzten Jahrzehnten zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig gewachsen. Mehr als 200 heimische Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit weit über 1.500 Beschäftigten sind in der Weltraumbranche aktiv. Sie erwirtschaften einen jährlichen Umsatz von 140 Millionen Euro. Österreichische Technologie ist bei wichtigen Weltraumprogrammen nicht mehr wegzudenken, etwa bei Missionen zur Erforschung von Planeten, an Bord von Raketen und Satelliten oder bei der Verarbeitung von Erdbeobachtungsdaten.
Angesichts der vielen Möglichkeiten und der Tatsache, dass jeder in ein Weltraumprojekt investierte Euro drei bis fünf Euro zurück in die Wirtschaft bringe, „müsse es sich Östereich leisten, sich stärker im europäischen Kontext zu beteiligen“, meinte Aschbacher. Für ihn wären ein Anteil Österreichs zum ESA-Budget von 2,1 Prozent „ein Idealwert“, der nicht über Nacht zu erreichen sei, „aber was ich im Interesse Österreichs sehen will, ist ein guter Sprung in diese Richtung“.
Bei der kommenden Ministerkonferenz möchte Aschbacher für ein sehr ambitiöses Programm auflegen, „weil ich glaube, dass trotz aller Schwierigkeiten und Probleme, die wir alltäglich haben, der Weltraum essenziell für die Gesellschaft in Europa ist“, so der ESA-Chef. Er unterstrich auch die Notwendigkeit der Autonomie des europäischen Weltraumsektors: „Wir müssen uns unabhängiger machen.“
Grüne Wende durch Weltraumforschung
Zudem verwies er auf die sich rasant entfaltende Kommerzialisierung im Weltraumbereich. Das zeige das Beispiel Internationale Raumstation, die Ende dieser Dekade nicht mehr existieren und durch private Raumstationen bzw. Raumstationselemente ersetzt werde. „Private Firma werden anbieten, dass sich Europa dort ein Zimmer mieten kann, oder Europa muss sich eine eigene Kapazität aufbauen – diese Frage diskutieren wir und dieser Frage muss sich Europa stellen. Denn der Weltraum und auch der Mond werden der nächste Wirtschaftsraum werden, da muss man in größeren Dimensionen denken“, sagte Aschbacher.
I also got to meet a fantastic group of talented young recipients of the Österreichische Studienstiftung, a fund created by @oeaw to support youth in their personal and intellectual development, particularly in the path of STEM education and careers. This is so important. pic.twitter.com/PGJG7LBQKN
— Josef Aschbacher (@AschbacherJosef) July 5, 2022
Österreich ist heute dank engagierter Weltraum- und Satellitenforschung zu einem produktiven und auch einträglichen Standort im Bereich Weltraum-Tech geworden. Vom kleinen CubeSat bis hin zur Spezialausrüstung der großen ESA-Missionen reichen die Erfolge heimischer Firmen und Institutionen. Es gäbe vor allem in den Bereichen Nachhaltigkeit und Standortsicherung erfreuliche Entwicklungen, wie Weltraumministerin Gewessler festhält.
Auch die neue Weltraumstrategie stützt sich auf diese Faktoren und unterscheidet sich von den früheren auch insofern, als sie auf einer umfassenden „Vision für den österreichischen Weltraumsektor 2030+“ aufbaue. Demnach soll Österreich im kommenden Jahrzehnt zum Vorreiter in der Nutzung des Weltraums für umfassende Nachhaltigkeit, insbesondere im Klima- und Umweltschutz, im internationalen Maßstab werden.
Teil dieser Profilbildung Österreichs im Weltraumsektor sollen etwa Satelliten mit Technologie „Made in Austria“ sein. Daten aus dem All sollen die grüne und digitale Transformation der Gesellschaft unterstützen. Akteure aus verschiedenen Disziplinen und Branchen von Wirtschaft, Wissenschaft und des öffentlichen Sektors in Österreich sollen im Rahmen einer umfassenden Weltraumstrategie intensiv zusammenarbeiten.
Bis 2030 soll Österreich nach diesen Vorstellungen seinen Standortvorteil als neutraler Hub der internationalen Weltraumpolitik deutlich gestärkt haben und damit zum Treffpunkt des europäischen und internationalen Austausches werden. Österreich solle damit wesentlich zur Konsensbildung über Nachhaltigkeit im Weltraum und in der Weltraumwirtschaft beitragen.
„Weltraumtechnologie gehört zu den Schlüsseltechnologien, die einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Österreichs leisten“, so Gewessler über die aktuelle Weltraumstrategie Österreichs. Beiträge zur Nachhaltigkeit sowie der intensive Austausch zwischen dem Weltraum– und dem Nicht-Weltraumsektor sollen dabei zentrale Elemente der österreichischen Weltraumstrategie des nächsten Jahrzehnts sein.
Das Weltraumministerium
Im Klimaschutzministerium (BMK) sind die seit 2014 offiziell zum Technologieministerium gehörenden Agendes des Weltraums angesiedelt. Das BMK ist so also auch Weltraumministerium und fördert Forschung und Entwicklung bereits seit 2002 durch das Österreichische Weltraumprogramm „ASAP“. Für den Forschungsstandort bedeutet ASAP mit hunderten erfolgreichen Projekten die Basis für den Zugang zu internationalen Märkten, globalen Weltraumkooperationen und die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Das Programm unterstützt österreichische Unternehmen und Forschungsinstitute, die sich an der Forschung, Entwicklung und Anwendung von Weltraumtechnologien beteiligen.
Mit rund 70 Millionen Euro jährlich fördert das BMK Forschung und Entwicklung in den Bereichen Erdbeobachtung, Kommunikationsnetze im All, neue Technologien wie Flugelektronik, wissenschaftliche Instrumente und Exploration, sowie Trägersysteme und Navigation für Satelliten.
Ein kurzer Überblick über die wichtigsten österreichischen Weltraumaktivitäten:
- 1950er Erste Weltraumforschungen im Bereich Plasmaphysik und ionosphärische Physik
- 1961-1964: Beteiligung Österreichs an der Schaffung einer Europäischen Raumfahrtagentur (Comite Preparatoire des Recherches Spatiales – COPERS).
- 1962: Gründung der European Space Research Organisation (ESRO), Österreich wird aber kein Vollmitglied.
- 1969: In Norwegen startet eine Forschungsrakete mit einem österreichischen Messinstrument ins All.
- 1970: Gründung des Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Graz, das künftig auch eng mit der ESA kooperiert.
- 1972: Gründung der Austrian Space Agency (ASA), u.a. zur Vorbereitung der Mitarbeit im europäischen Weltraumprogramm.
- 1975: ESRO fusioniert mit der European Launcher Development Organisation (ELDO) zur heutigen European Space Agency (ESA).
- 1981: Österreich wird assoziiertes Mitglied der ESA.
- 1982: Erfolg der VEGA-Missionen: VEGA 1 & 2 fliegen am Halleyschen Kometen vorbei, mit an Bord der Raumsonden sind zwei österreichisch-sowjetische Magnometer.
- 1983: Erster Flug des europäischen Weltraumlabors „Spacelab“ mit dem in Österreich entwickelten „Weltraumfenster“ und drei österreichischen Experimenten.
- 1986: Ein „Beratendes Komitee für Weltraumforschung und -technologie der Bundesregierung“ wird eingesetzt
- 1987: Mit 1. Jänner wird Österreich Vollmitglied bei der ESA.
- 1991: Der österreichische Kosmonaut Franz Viehböck führt im Rahmen des Projekts AUSTROMIR auf der russischen Raumstation MIR 15 wissenschaftliche Experimente durch – ein Meilenstein für die österreichische Weltraumforschung.
- 1993: Die UN-Weltraumbehörde zieht nach Wien, Österreich wird EUMETSAT-Mitglied.
- 1998: Premiere der Ariane-5: Österreichischer Technologie kommt beim Bau der Rakete zum Einsatz.
- 2002: Start des Österreichischen Weltraumprogramms (ASAP), einer Initiative des damaligen Infrastrukturministeriums (bmvit). Programmträger ist die Austrian Space Agency (ASA).
- 2003: Gründung des European Space Policy Institute (ESPI) in Wien.
- 2004: Gründung der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG und Umwandlung der ASA in die Agentur für Luft- und Raumfahrt (ALR).
- 2013: Die ersten beiden österreichischen Satelliten, TUGSAT-1 und UniBrite, treten ihre Missionen im Orbit an
- 2014: Das Erdbeobachtungsprogramm Copernicus startet. ALR-Chef Harald Posch wird Vorsitzender des ESA-Rates.
- 2016: Der Österreicher Josef Aschbacher wird ESA-Direktor für Erdbeobachtung.
- 2017: Der dritte österreichische Satellit, PEGASUS, wird gelauncht.
- 2018: BepiColombo startet seine Reise gen Merkur, mehrere österreichische Institutionen und Unternehmen liefern für diese Mission wichtige Ausrüstung und Know-how.
- 2019: Mit OPS-Sat startet der vierte Satellit aus Österreich in den Orbit. Zum 1. Mal finden das World Space Forum in Wien statt.
- 2021: Josef Aschbacher löst Jan Wörner als ESA-Generaldirektor ab.
- 2022: Gründung des European Centre for Space Economy and Commerce (ECSECO) in Wien.
Nach dem Beitritt Österreichs zur ESA ist die Zahl der Beteiligungen an Raumfahrt-Missionen geradezu explodiert. An zahlreichen ESA-Missionen und -Satelliten waren und sind österreichische Instrumente mit an Bord, haben österreichische Unternehmen Hard- und Software geliefert bzw. waren heimische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Auswertung von Daten beteiligt. So leitete der Österreicher Rudolf Schmidt die mit starker österreichischer Beteiligung durchgeführte ESA-Mission „Mars Express“, die Kometen-Mission „Rosetta“ flog mit Instrumenten und Technologie „Made in Austria“, die Saturn-Sonde Cassini-Huygens hatte österreichische Instrumente an Bord.