5. September 2018
Kabelfreiheit über den Wolken
Der Fluggast kann die Stewardess per Klick rufen, er kann mit Knopfdruck Sitzhöhe und Lehne verstellen, verfügt über einen TV-Schirm, kann Licht und Belüftung nach Bedarf einschalten, dazu kommen Rauch- und Feuermelder sowie Messgeräte für Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Sauerstoffsättigung und noch einiges mehr.
Jeder einzelne der mehreren Hundert Passagiere in einem Großraumjet beansprucht über die auf ihn abgestimmten Sensoren jede Menge Kabelleitungen, die sich innerhalb der Kabine zu vielen Kilometern summieren. In einem Airbus A380 mit einer Kapazität von maximal 509 Fluggästen sind es insgesamt 530 Kilometer.
Oder auf das Gewicht berechnet: Bei dem A380 mit einem Startgewicht von 560 Tonnen würden die Kabelleitungen etwa 25 Tonnen ausmachen, sagt Daniel Neuhold vom Institut für Vernetzte und Eingebettete Systeme der Alpen-Adria-Uni Klagenfurt (AAU). Der Informationstechniker aus Villach gehört einem Team an, das den Kabelsalat minimieren bzw. beseitigen soll.
Leiter der Forschungsgruppe ist AAU-Institutsvorstand Christian Bettstetter, Kooperationspartner sind die Forschungseinrichtung Lakeside Labs in Klagenfurt sowie Airbus Hamburg und Airbus München, gefördert wird das Projekt vom Kärntner Wirtschaftsförderungsfonds.
Für jeden von uns ist das kabellose Telefonieren per Mobiltelefon eine Selbstverständlichkeit, aber wie kann die kabellose Kommunikation in der Luftfahrt bei den vorgegebenen höchsten Sicherheitsstandards umgesetzt werden?
Bettstetters Gruppe erhielt 2015 den Forschungsauftrag, nach einer Verlängerung werden die Arbeiten an der Eignung eines drahtlosen Sensornetzwerks anstelle der Kabelstränge in diesem Monat – September 2018 – abgeschlossen. Neuhold war zudem sechs Monate bei Andreas F. Molisch an der University of Southern California in Los Angeles. „Professor Molisch zählt zu den bekanntesten Experten für den Einsatz von Ultra-Breitband für Kommunikation sowie Lokalisierungsaufgaben“, sagt Neuhold.
Gestresste Leitungen
Kabelleitungen sind infolge der Temperaturschwankungen einem Stress ausgesetzt und können porös werden. Die Breitbandtechnologie soll Sicherheit und Zuverlässigkeit steigern. Daniel Neuhold erklärt dies mit einem Bild aus dem Straßenverkehr. „Bei einer schmalen Straße ist ein Vorbeikommen an einem anderen Auto kaum möglich, bei einer breiteren mehrspurigen Autobahn kein Problem.“
Das Ultra-Breitband (engl. Ultra Wide Band, UWB) verfügt über einen ausreichend breiten Frequenzbereich, der Störungen – auch im Flugzeugraum absichtlich herbeigeführte – unbeeinträchtigt verkraften kann. Im Vergleich zu Bluetooth ist UWB 500-mal breiter ausgelegt.
Auch Sensoren benötigen eine Stromzufuhr. „Wir wollen Energie aus der Umgebung nehmen“, sagt Neuhold, so etwa aus der Vibration des Flugzeugs oder aus der Differenz aus Außen- zur Innentemperatur. Auf einen Erfolg kann das Forschungsteam schon verweisen: Bei der internationalen Konferenz über „Modeling, Analysis and Simulation of Wireless and Mobile Systems“ in Miami wurde das österreichische Projekt mit dem Best Paper Award ausgezeichnet.
Ob und wann Airbus die kabellose Technologie umsetzt, liegt nicht im Ermessen der AAU-Wissenschaftler. Weiterführend beginnt eine Kooperation mit der Industrie („UWB for Industry“) und Ariane in Bremen, um den Einsatz von Ultra-Breitband in einer Trägerrakete zu evaluieren.
Von ERICH WITZMANN