Kategorie Klima- & Umweltschutz - 21. Juli 2022

Klima-Glossar: Wie Treibhauseffekt, Jetstream & Kippelemente die Erde prägen (werden)

Nach Südeuropa leidet nun auch Österreich wieder mal unter einer anhaltenden Hitzewelle und in weiten Teilen auch unter ausgeprägter Trockenheit. Ist das  – zugegeben, etwas salopp gefragt – nun lediglich etwas wärmeres Wetter oder sehen wir hier bereits konkrete Auswirkungen der Klimakrise?

Man muss nicht um den heißen Brei herumreden, um den Tenor der überwiegenden Mehrheit der Wissenschaftsgemeinde auf den Punkt zu bringen: Ja, in der Tat, es ist wissenschaftlicher Konsens, dass 1. wir Menschen die globale Erwärmung im großen Stil beschleunigen und 2. gehäufte Extremwetterereignisse – wie derzeit in Europa zu erleben – damit in direktem Zusammenhang stehen.

Ist das noch Wetter oder schon Klima?

Zu den Begrifflichkeiten vorab nur zwei grundsätzliche Anmerkungen: Man muss die beiden – in der Alltagssprache häufig nicht klar voneinander getrennten – Begriffe Klima und Wetter unterscheiden, um auch die Bedeutung des Klimawandels nachvollziehen zu können. Verkürzt gesagt verstehen wir unter Wetter einen kurzfristigen Zustand der Atmosphäre an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit, ergo, ob die Sonne scheint, es regnet, es warm oder kalt ist, woher der Wind weht.

Der Begriff Klima dagegen bezieht sich auf deutlich längere Zeiträume und wird von der modernen Klimaforschung in Perioden von mindestens 30 Jahren untersucht. So kann verhältnismäßig klar angegeben werden, wie das Wetter variiert und wie sich anhand von Abermillionen Wetterbeobachtungen typische Klimaverhältnisse ableiten lassen.

Die „Warming Stripes“ für Österreich (1901-2019) stehen nicht nur hierzulande neuerdings auf tiefrot. © showyourstripes.info

Dadurch lässt sich das Klima für einzelne Gebiete oder Regionen bestimmen, vom Klima einer Stadt, eines Kontinent bis hin zum Klima der ganzen Erde. Auf diese Weise lassen sich aber nicht nur die durchschnittlichen Wetterverhältnisse darstellen, sondern auch die Wahrscheinlichkeiten für Extremereignisse und für Abweichungen von den Mittelwerten. Während sich das Wetter auf die Atmosphäre bezieht, spielen für das Klima noch weitere Faktoren eine Rolle, wie etwa die Ozeane, Gletscher, Permafrostböden und Regenwälder. Klar ist, dass ein einzelnes Wetterereignis nicht auf den Klimawandel zurückgeführt, sondern nur im Kontext dieser langen Beobachtungszeiträume betrachtet werden kann.

Erst im vergangenen Jahr wurde eine neue 30-jährige Klimanormalperiode eingläutet: der Zeitraum 1991-2020. Sie stellt den neuen Standard für klimabezogene Analysen und Anwendungen dar, an denen sich weltweit viele Wissenschafts-Akademien und viele weitere wissenschaftliche Organisationen als Vergleichs-Basis orientieren, um den Klimawandel zu studieren.

Als größter Zusammenschluss von Forschenden gilt diesbezüglich das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) – häufig auch als Weltklimarat bezeichnet. 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet, tragen in seinem Auftrag Fachleute weltweit regelmäßig den aktuellen Kenntnisstand zum Klimawandel zusammen und bewerten ihn aus wissenschaftlicher Sicht. Die regelmäßigen Sachstandsberichte diesen Gremiums gelten als wichtigste Grundlage auch für politische Entscheidungsträger, dem menschengemachten Klimawandel entgegenzuwirken, so auch mit den verbindlichen Klimazielen zur Begrenzung der Erderhitzung. (FAQ Warum sprechen wir über 1,5 °C?)

Dass Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, extreme Niederschläge, Waldbrände, tropische Wirbelstürme und Dürren eindeutig auf den Einfluss eben jenes anthroposophen, ja, menschengemachten Klimawandels zurückgeführt werden können, ist ebenfalls ein Verdienst der jahrzehntelangen Arbeit des IPPC. Attributionsforschung nennt sich dieser Zweig der Klimawissenschaft, der zuletzt rapide Fortschritte gemacht hat. Die Erkenntnisse dadurch sind gewissermaßen „Preisschilder“ für die verschiedensten Auswirkungen des Klimawandels, die Konsequenzen für die notwendige Begrenzung der Erderwärmung und die Anpassung an das veränderte Klima hätten.

Nirgends lässt sich der Zusammenhang demnach so eindeutig nachweisen wie bei Hitzewellen. Deren Zunahme lässt sich laut aktuellen Studien zufolge weltweit eindeutig und klar auf den Klimawandel zurückführen. So sei etwa die beispiellose Hitzewelle in Sibirien vor zwei Jahren ohne den menschengemachten Klimawandel unmöglich gewesen. Hitzewellen sind häufiger und intensiver geworden und direkt für zehntausende Todesfälle weltweit verantwortlich. Forschende gehen davon aus, dass der Einfluss des Klimawandels auf diese Extreme aufgrund von nach wie vor existierenden Mängeln in der Datenlage bisher sogar noch unterschätzt wird.

Was gehäufte Extremwetter mit Phänomenen wie dem Treibhauseffekt, dem Jetstream & gefährlichen Kipp-Punkten zu tun haben, soll im Folgenden kurz erklärt werden:

Treibhauseffekt

Was hoch oben am Himmel geschieht, hat Folgen für uns Menschen hier am Boden. Wie die Temperatur unseres Heimatplaneten zustande kommt, ist als Frage für die Klimaforschung ganz elementar: Sie beschäftigte schon den französischen Physiker Joseph Fourier, der bereits am Anfang des 19. Jahrhunderts beschrieb, wie sich Wärme in der Atmosphäre staut. Als Erster äußerte er öffentlich die Idee, dass die Erdatmosphäre für die Speicherung reflektierter Sonneneinstrahlung verantwortlich sein könnte – ein Phänomen, das wir heute gemeinhin als Treibhauseffekt bezeichnen.

 

Dieser Effekt bewirkt demnach, dass nur ein Teil der langwelligen Wärmestrahlung die Atmosphäre wieder verlassen kann. Der Großteil der Strahlung wird absorbiert und zum Teil zur Erde zurückgestrahlt. Dadurch erwärmen sich die Erdoberfläche und die tieferen Schichten der Atmosphäre.

Seither hat sich in der Forschung nochmal einiges getan und man kann über ein globales Netzwerk an Institutionen die Temperaturen der Erde nicht nur präzise messen, sondern über komplexe Modelle kombiniert mit einer Unmenge an Daten aus der Erdbeobachtung via Satelliten aus dem All auch kleinste Veränderungen in der Atmosphäre detektieren und daraus die Temperaturentwicklung des Planeten ableiten.

Vergleichbar ist das Phänomen des natürlichen Treibhauseffekts mit einem Gewächshaus: Sein Glasdach ist durchlässig für die kurzwellige (sichtbare) Sonnenstrahlung, wodurch sich das Innere des Treibhauses erwärmt. Diese Wärme bleibt im Treibhaus, da sie zunächst nicht als Wärmestrahlung durch das Glas nach außen gelangen kann. In der Atmosphäre übernehmen sogenannte Treibhausgase die Rolle des Glasdachs. Wasserdampf und Kohlendioxid (CO2) sind die wichtigsten Treibhausgase. Daneben haben aber auch Methan (CH 4), Stickoxide (NOx), Ozon (O3) und weitere Gase der Atmosphäre eine Treibhausgaswirkung.

Insgesamt machen die Treibhausgase jedoch nur einen sehr geringen Teil unserer Atmosphäre aus. Circa 99 Prozent der Atmosphäre bestehen aus Stickstoff und Sauerstoff, die keine Treibhausgaswirkung haben. Verändert man die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre, hat das einen Einfluss auf den Treibhausgaseffekt. Es verändern sich dadurch die Temperaturen und das gesamte Klimasystem der Erde.

Menschengemacht oder natürlich?

Während der natürliche Treibhauseffekt erst für eine durchschnittliche Temperatur von +15 Grad Celsius auf der Erde sorgt und so das Leben für uns Menschen überhaupt möglich macht, bewirkt eine fortlaufende Erhöhung der Treibhausgase in der Atmosphäre durch uns Menschen dazu, dass immer mehr Wärme nicht zurück in den Weltraum entweichen kann, sondern wie unter einer Kuppel gefangen bleibt und unseren Planeten weiter anheizt.

Grundsätzlich unterlag das Klima der Erde zwar schon immer Schwankungen, die einen Wechsel von Kalt – und Warmzeiten nach sich zogen, allerdings ist die Geschwindigkeit, der seit Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert zu beobachtenden Erwärmung deutlich höher als jemals zuvor. Die Ursachen liegen in der fortschreitenden industriellen Entwicklung und in einer rasant steigenden Weltbevölkerung. Beides zusammen verursachte in den letzten Jahrzehnten einen dramatischen Anstieg der in die Erdatmosphäre emittierten Treibhausgase. Diese Zunahme der Treibhausgase in der Atmosphäre verursacht den anthropogenen, den menschengemachten Treibhauseffekt, was soviel heißt, als das der natürliche Treibhauseffekt aus dem Gleichgewicht gebracht wird, was wiederum zu einer Erwärmung der Erdoberfläche führt.

Seit der Industrialisierung hat sich die Erde bereits um etwa ein Grad Celsius erwärmt – mit schwerwiegenden Folgen für Mensch und Umwelt, wie auch die zahlreichen Berichte des Weltklimarats (IPCC) zeigen. Wie stark sich das Klima weiter verändern wird, ist davon abhängig, wie viel weitere Treibhausgase durch den Menschen freigesetzt werden. Ein rasches Handeln ist daher von  enormer Wichtigkeit, um schwerwiegende Folgen für Mensch und Umwelt abzuwenden. Treibhausgase aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe absorbieren zusätzliche Energie aus der Sonnenstrahlung. Das beeinflusst zahlreiche wichtige Prozesse in der Atmosphäre und im Wettergeschehen – von Hitze und Dürren bis hin zu Regen und Überschwemmungen. Wetterextreme nehmen zu. Unser Klima verändert sich; ein Klima, das während Jahrtausenden menschlicher Zivilisation bemerkenswert stabil war.

Klimagase CO2 & Methan

Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre wird seit 1958 gemessen, um herauszufinden, welchen Einfluss der Mensch auf die Zusammensetzung der Atmosphäre hat und wie stark die Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid sind. Damals hatte der US-Forscher Charles David Keeling ein Messgerät auf dem Gipfel des Mauna Loa auf Hawaii auf knapp 3.400m Höhe installiert und als Ergebnis der Messung 316 ppm (parts per million) erhalten.

Die Station eignet sich auch deshalb besonders gut zur Messung von atmosphärischem Kohlendioxid, da dort eine gute Durchmischung der Luft vorliegt und aufgrund der isolierten Lage die Messungen kaum von menschlichem Einfluss gestört werden. Heute, 64 Jahre später, liegt die CO2-Konzentration dort bereits bei 420 ppm, also 420 Teilchen pro Million Teilchen, und Keelings Kurve gilt als wichtigster Umweltdatensatz des 20. Jahrhunderts – sozusagen die Fieberkurve der Klimakrise.

Aus der Analyse von Eisbohrkernen weiß die Wissenschaft zudem, dass die CO2-Konzentration in den letzten 800.000 Jahren nie über 300 ppm lag. Am 13. Februar 2021 wurde mit 421,29 der bisher höchste jemals gemessene Tageswert verzeichnet. Bis zum Sommer werden die Messwerte weiter steigen, denn die Keeling-Kurve unterliegt aufgrund des Vegetationszyklus der Erde einer saisonalen Schwankung und erreicht im Mai die jährlichen Höchstwerte. Sorgen macht Klimaforschern der Anstieg von Jahr zu Jahr. 2020 lag die CO2-Konzentration im Februar bei rund 414 und stieg bis Mai auf 418. 2021 wurde der Wert von 418 bereits im März überschritten und stieg bis Mai auf knapp 420 ppm.

420 ppm bedeuten, dass die Luft zu 0,042 Prozent aus Kohlenstoffdioxid (CO2) besteht. Beim Atmen ist der kleine Anteil CO2 in der Luft, die zu 78,08 Prozent aus Stickstoff (N2) und zu 20,95 Prozent aus Sauerstoff (O2) besteht, ziemlich egal. In geschlossenen Räumen mit vielen Menschen, etwa in Schulklassen, ist der Anteil nämlich deutlich höher. Erst ab ungefähr 2.000 ppm führt CO2 zu Konzentrationsschwächen, einer erhöhten Atemfrequenz oder – Stichwort Corona – zu einem erhöhten Ansteckungsrisiko.

Für das Klima der Erde sind 420 ppm umso dramatischer. Schon der bisherige Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre reichte aus, um den Planeten im Mittel um mehr als ein Grad Celsius zu erhitzen. Selbst für das 1,5-Grad-Ziel dürfte es bereits zu spät sein. Ohne Gegensteuern könnte sich die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um mehr als drei Grad Celsius erhitzen, wodurch Teile der Erde unbewohnbar werden und Dürren und Extremwetter die Nahrungsmittelversorgung auf globaler Ebene gefährden.

Heutzutage wird die CO2-Konzentration nicht nur auf Hawaii, sondern an vielen anderen Orten der Welt gemessen. Die Wissenschaftler:innen der Scripps Institution of Oceanography an der University of California San Diego, die die Messungen des 2005 verstorbenen Keelings fortführen, sind Teil eines Netzwerks, dass an vielen Stellen der Erde die CO2-Konzentration misst und Keelings Erkenntnisse bestätigt haben.

Sorgenvoller Blick auf Methan-Reservoirs

Neben CO2 gibt es auch noch andere gefährliche Treibhausgase, etwa Lachgas und Methan. Lachgas, auch Distickstoffoxid (N2O) genannt, ist rund 300-mal so klimaschädlich wie CO2, und es entsteht vor allem durch stickstoffhaltige Düngemittel in der Landwirtschaft und in der Tierhaltung. Auch Methan (CH4) ist deutlich klimaschädlicher als CO2. Es gilt allein ob der großen Mengen beim globalen Ausstoß als eines der schädlichsten Klimagase der Welt und ist maßgeblich für die Erderhitzung mitverantwortlich.

Methan ist farb- und geruchslos und als Treibhausgas 25 bis 30 Mal so schädlich wie CO2. Methan ist beispielsweise der Hauptbestandteil von Erdgas und besteht aus einem Atom Kohlenstoff und vier Wasserstoffatomen (CH4). Freigesetzt wird Methan unter anderem in der Landwirtschaft beim Verdauungsprozess von Rindern sowie in der Erdgas-, Erdöl- und Kohleindustrie oder auf Abfalldeponien.

Aktuell gibt es den stärksten Methananstieg seit Beginn der Messungen im Jahr 1983. Die Konzentration von Methan erhöhte sich im Jahr 2021 um 16,5 ppb (Teilchen pro Milliarden Luftteilchen), was einen deutlich größeren Anstieg bedeutet als in den Vorjahren, wie aus dem Jahresbericht des EU-Klimawandeldienstes Copernicus hervorgeht. Dabei wurde schon 2020 von einem Rekord-Anstieg berichtet. Methan bleibt zwar generell kürzer in der Atmosphäre als CO2, ist dafür aber dutzendfach schädlicher.

Forscher warnten kürzlich im Fachblatt „Nature Climate Change“ davor, dass Europas Permafrost-Moorgebiete bald an einen Kipppunkt geraten könnten und dann wegen der fortschreitenden Erderhitzung große Mengen an Kohlendioxid und Methan freisetzen könnten. Wenn Methan dann unkontrolliert aus Permafrostböden entweicht, würde das die Klimakrise weiter anheizen – ein Teufelskreis.

Kippelemente

Leider ist das fragile System unserer Atmosphäre nicht das einzige von einem solchen Kipp-Punkt bedrohte: Die 2008 publizierten „Tipping Points“ des deutschen Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber reichen einmal um die ganze Erde, vom Abschmelzen der Arktis bis hin zum Korallensterben, und sind inzwischen fester Bestandteil der Klimaforschung. Sie stehen im Gegensatz zum Konzept des langsamen, stetigen Klimawandels und gehen von einem abrupten, unumkehrbaren Wechsel ab einer bestimmten Temperatur aus. Klimawissenschaftler:innen sprechen dann von Kipppunkten, wenn großteils nicht mehr umkehrbare Veränderungen in einem Bestandteil des Klimasystems schlagartig und in einem erheblichen Ausmaß eintreten.

Neben dem Abschmelzen des Meereises in der Arktis gehört auch jenes des Grönländischen Eisschildes und das Auftauen von Permafrostböden dazu. Des Weiteren zählen die zunehmenden Waldbrände in den gemäßigten Klimazonen, die steigende Trockenheit im tropischen Regenwald sowie die sich verlangsamende Atlantische Umwälzströmung zu den Kipp-Punkten, die sich wiederum auf den Monsunregen negativ auswirkt, denn eine den Kippelementen zugeschriebene Eigenschaft ist ihre meist voneinander bestehende Abhängigkeit.

2019 wiesen Schellnhuber und weitere Klimaforschende darauf hin, dass die Kipppunkte wohlmöglich noch schneller erreicht werden und die globale Erwärmung so noch drastischer ausfallen könnte. Das Risiko solcher unumkehrbaren Veränderungen sei bisher womöglich unterschätzt worden, hieß es in einem Kommentar der Experten im Fachblatt „Nature“: „Es mehren sich jedoch die Anzeichen dafür, dass diese Ereignisse wahrscheinlicher sind als angenommen sind und große Auswirkungen haben, die über verschiedene biophysikalische Systeme hinweg miteinander verbunden sind, wodurch die Welt möglicherweise langfristigen, unumkehrbaren Veränderungen ausgesetzt ist“, lauteten die warnenden Worte.

Eine längere Auflistung an Kippelementen als Achillesferse des Sytems Erde hat das Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) hier zusammengetragen.

Obwohl aus Sicht der Wissenschaft mehrere Kipppunkte in der Kryosphäre als gefährlich nahe eingestuft wurden, könnte eine Verringerung der Treibhausgasemissionen die unvermeidliche Häufung der Auswirkungen immer noch verlangsamen und so bei der Anpassung an die Klimaveränderungen helfen, hieß es Ende 2019. Während die Existenz der Kipppunkte als nahezu als gesichert gilt, ist es der Zeitpunkt des Eintretens nicht. Ausnahme ist der westantarktische Eisschild – er sei das erste Kippelement im Klimasystem, das die Menschheit gerade kippen sehe, berichtete das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ebenfalls vor drei Jahren.

Neuer Bericht des Weltklimarats IPCC: »In welcher Welt wir leben, entscheiden wir hier & heute«

2020 warnte Schellnhuber anlässlich eines Interviews zu seinem 70 Geburtstag, dass der Zeitraum für geeignete Maßnahmen auf etwa zehn Jahre begrenzt sei. „Dann ist der Zug wahrscheinlich abgefahren“, die Erderwärmung würde bis Ende dieses Jahrhunderts vier bis fünf Grad betragen, „erdgeschichtlich gesehen wäre das eine Zeitreise von 30 Millionen Jahren zurück, mit verheerenden Wetter-Extremen und Meeresspiegel-Anstieg.“

Inzwischen werden in der Wissenschaft an die 15 bedeutende Kipppunkte im Klimasystem der Erde genannt. Zu den klimarelevanten Systemen, die am anfälligsten für die Erderwärmung sind und einem „Point of no return“ am nächsten sind, zählen neben dem bereits genannten Eisschild der Westantarktis jenes von Grönland, die Alpengletscher, das arktische Meereseis im Sommer, der Regenwald im Amazonas sowie die tropische Korallenriffe.

Zuletzt gab es wenig Positives aus der Wissenschaft, so hieß es im März 2022, dass die Permafrostgebiete ihren Kipp-Punkt früher als gedacht erreichen könnten. Nachdem bisher die Berechnungen davon ausgingen, dass diese Gebiete bis in die 2070er Jahre stabil bleiben könnten, deutet eine neue Analyse im britischen Fachmagazin „New Scientist“ etwa darauf hin, dass bereits in den 2040er-Jahren das große Auftauen beginnen könnte. Ein weitere Studie zum Regenwald im Amazonasgebiet besagt, dass dieser seit Anfang der 2000er-Jahre kontinuierlich an Widerstandsfähigkeit eingebüßt habe. Bei mehr als drei Vierteln des Waldes habe die Fähigkeit nachgelassen, sich von Störungen wie Dürren oder Bränden zu erholen, stand in der Studie eines britisch-deutschen Forscherteams in der Fachzeitschrift „Nature Climate Change“ zu lesen.

Mehr Hitzewellen wegen verändertem Jetstreams

Schauen wir nochmal in die Atmosphäre, wo große Windbänder die nördliche Hemisphäre der Erde in etwa fünf bis zehn Kilometer Höhe umwehen. Der sogenannte Jetstream, der die Luftmassen von West nach Ost umwälzt, ist nämlich ebenfalls im Wandel begriffen. Und dieser Wandel begünstigt Zustände, in denen sich der Jetstream in zwei Äste aufspaltet und damit Doppeljetlagen bildet – und maßgeblich die Klimabedingungen des europäischen Kontinents beeinflusst.

Dieses Phänomen eines gespaltenen, doppelten Jetstreams steigt dabei zahlenmäßig pro Jahr laut einer aktuellen Studie gar nicht mal an, hält sich dafür aber deutlich länger, wodurch sich fast ausnahmslos die Zunahme von Hitzewellen in Westeuropa sowie auch deren Zunahme um etwa 30 Prozent im gesamten europäischen Raum erklären lassen.

Dabei teilt sich der Jetstream in zwei Zweige mit erhöhtem Wind, einer über Süd- und einer über Nordeurasien“, wie Studien-Mitautor Kai Kornhuber, Wissenschaftler an der Columbia University in New York und am Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) erklärt. Die Veränderung hin zu längeren und anhaltenderen Doppel-Jet-Ereignissen wirkt dann zusätzlich zum Temperaturanstieg durch die vom Menschen verursachte Erderwärmung und führt zu intensiveren Hitzewellen.

Wenn der Jetstream sich aufspaltet: Der Doppeljet-Zustand, © PIK

Die zunehmende Verweildauer von Doppel-Jet-Strömen ist besonders für Westeuropa relevant, so die Forschenden. „Unsere Studie zeigt, dass die zunehmende Verweildauer von Doppeljets etwa 30 Prozent der Hitzewellentrends für ganz Europa erklärt. Wenn wir jedoch nur die kleinere westeuropäische Region betrachten, erklärt sie fast 100 Prozent“, sagt Efi Rousi, ebenfalls vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und eine der Hauptautorinnen der Studie.

„In dieser Region, die mit dem Ausgang der vom Nordatlantik nach Europa ziehenden Sturmbahn zusammenfällt, kommen die Wettersysteme normalerweise vom Atlantik und haben daher eine abkühlende Wirkung. Wenn es aber zum Doppeljet kommt, werden die Wettersysteme nach Norden abgelenkt und es können sich über Westeuropa anhaltende Hitzewellen entwickeln.“ Dies steht im Gegensatz zu anderen europäischen Regionen wie dem Mittelmeerraum und Osteuropa, wo Hitzewellen wahrscheinlich eher mit trockenen Böden zusammenhängen.

Seit zwei Wochen sei laut Rousi wieder so ein gespaltener Jetstream über Europa zu beobachten, mit einer meteorologischen Lage als Folge, der ein kühlender Zustrom aus dem Westen fehlte, bei gleichzeitig ungewöhnlich lang anhaltendem Zustrom warmer Luft aus dem nördlichen Afrika.

Diese Doppeljets können durch eine Vielzahl von Faktoren ausgelöst werden, unter anderem durch chaotische Schwankungen in der Atmosphäre. Eine mögliche weitere Erklärung für deren Hartnäckigkeit ist laut Studie wohl auch die verstärkte Erwärmung der hohen Breiten, insbesondere über Landregionen wie Sibirien, Nordkanada und Alaska. Im Sommer haben sich diese Regionen viel schneller erwärmt als der arktische Ozean, da die überschüssige Energie über dem Ozean das Schmelzen des Meereises beschleunigt. Das Land rund um den arktischen Ozean hat sich im Sommer sehr schnell erwärmt, was mit einem schnellen Rückgang der Schneedecke im späten Frühjahr einherging. Dieser zunehmende Temperaturunterschied zwischen Land und Ozean begünstigt das Fortbestehen von Doppel-Jet-Zuständen im Sommer.

Eine wenig optimistsche Prognose gibt es abschließend von Kornhuber: „Klimamodelle neigen dazu, extreme Wetterrisiken zu unterschätzen. Daher müssen künftige Forschungen prüfen, inwieweit die ermittelten Zusammenhänge von den Modellen erfasst werden. Die Prognosen für extreme Hitze im Falle fortdauernder Emissionen könnten andernfalls zu konservativ sein und es ist möglich, dass wir extreme Hitzewellen in Wirklichkeit noch öfter und stärkerer Intensität erleben werden, als es Modelle in diesen Szenarien ohnehin schon prognostizieren.“

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