Kategorie Innovation & Technologie - 18. Juli 2016

Kunststoffe, die sich bei Bestrahlung selbst heilen

Ein Kunststoffprodukt fällt zu Boden und zerspringt. Wie ärgerlich; schließlich ist das Ganze doch mehr als die Summe seiner Teile. Diese uralte Weisheit hinterfragt das Polymer Competence Center Leoben (PCCL): „Wir erforschen Klebestoffe“, erzählt PCCL-Geschäftsführer Martin Payer der „Presse“, „die auf Abruf ihre Klebeeigenschaft zeigen oder verlieren.“ Der Kleber kann „on command“ seine Eigenschaft verändern: „Denken Sie an eine Klebefolie, die man im Produktionsprozess braucht, danach aber nicht mehr. Bei einer Bestrahlung mit Licht einer gewissen Wellenlänge lässt sich ihre Klebefunktion einfach aufheben.“

Es sind innovative Forschungsprojekte wie dieses, die dem 2002 gegründeten Unternehmen nun weiterhin die Unterstützung von Wissenschafts- und Technologieministerium einbringen: Das PCCL wurde Ende Juni als K1-Forschungszentrum in das heimische COMET-Programm aufgenommen, das unternehmensnahe Forschung fördert – in diesem Fall mit rund 23 Millionen Euro für die kommenden vier Jahre.

Die Bandbreite von Kunststoffanwendungen ist enorm; entsprechend vielfältig sind die Forschungsfelder des PCCL. In der Luftfahrt- und Automobilindustrie spielt etwa der Leichtbau mittels Karbon-Verbundwerkstoffen – in der Fachsprache: carbonfaserverstärkte Kunststoffe (CFK) – eine große Rolle. „CFK-Bauteile werden zum Beispiel in Elektroautos, wie dem BMW i3, oder Flugzeugen eingesetzt. Da stellt sich die Frage: Wie kann ich sie nach einer Beschädigung reparieren?“ Das PCCL forscht an verschiedenen Konzepten, um sie wieder einsatzfähig zu machen – „wie ein Spengler, der die Stoßstange wieder ausbeult“.

Mülltrennung beim Auto

„Wir machen Langzeitforschungen zu geklebten Reparaturen und zu den beschriebenen lichtsensiblen Klebestoffen.“ Diese könnten auch beim Recycling eine Rolle spielen: „Im fertigen Auto hat alles seinen Platz: Kunststoff, Metall, Aluminium. Findet man für die Entsorgung einen Weg, den eingesetzten Klebstoff wieder zu lösen, wären die Werkstoffe einfach voneinander zu trennen.“ Solch reversible Verbindungen seien aber „Zukunftsmusik“: „Man muss ja auch aufpassen, dass das Auto nicht schon auseinanderfällt, solange man noch drinnen sitzt“, scherzt Payer.

Das Thema Nachhaltigkeit beschäftigt PCCL auch an anderer Front: „Wir arbeiten daran, Kunststoffrezyklate für Abwasserrohre einzusetzen“ – eine Herausforderung, denn Ziel der Rohrhersteller ist, dass ihre Produkte die Abwässer mindestens 100 Jahre lang zuverlässig ableiten. „Ein Rohrbruch bedeutet schließlich einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden“, so Payer. Sein Unternehmen arbeitet mit Uni- und Unternehmenspartnern aus aller Welt zusammen. „Da steckt viel Vertrauensarbeit dahinter, denn Forschung ist immer risikobehaftet: Man kann den Output nicht garantieren.“

Ein solcher Output wären demnächst Kunststoffe mit „selbstheilenden“ Eigenschaften, die sich bei Lichteinwirkung entfalten: „Wird etwa ein systemkritischer Kunststoffteil in einem entlegenen Windkraftwerk rissig, müsste jemand dort hinfahren, hinaufkraxeln, herunterkraxeln usw.“ Durch Bestrahlung aber könnten die Polymerketten ihre innere Struktur von allein wieder herstellen. (Von Patricia Käfer, Die Presse)

IN ZAHLEN:18wissenschaftliche Partner arbeiten mit dem PCCL zusammen, darunter die Montanuniversität Leoben, TU Graz, TU Wien, TU München, Politecnico di Milano, Politecnico di Torino, Tschechische Akademie der Wissenschaften und die Texas A&M Universität. 48Unternehmenspartner sind ebenfalls in gemeinsamen Projekten des PCCL engagiert, darunter der Leiterplattenerzeuger AT&S, Airbus, BMW, Continental, der Chemiekonzern Lanxess, Magna oder Semperit.