Kategorie Innovation & Technologie - 28. September 2016

Mission Rosetta: Letzte Landung auf dem Kometen

Wien – Als Swetlana Gerassimenko in der Nacht auf den 12. September 1969 in Kasachstan Fotoplatten belichtete, konnte sie nicht ahnen, wie bedeutsam das einmal für die europäische Raumfahrt sein würde. Mit den Aufnahmen, die den seit 1926 bekannten Kometen Comas Solà zeigen sollten, stimmte etwas nicht.

Nähere Untersuchungen durch den ukrainischen Astronomen Klym Tschurjumow zeigten: Auf den Bildern war tatsächlich ein schwaches Abbild von Comas Solà zu sehen, aber viel deutlicher noch ein anderer, unbekannter Komet. Er trägt seither die offizielle Bezeichnung 67P/Tschurjumow-Gerassimenko.

Fast genau 47 Jahre nach dieser Entdeckung herrscht bei der Europäischen Weltraumorganisation Hochbetrieb: Am 30. September 2016 soll die Raumsonde Rosetta ihre zwölfeinhalbjährige Reise mit einem allerletzten Manöver beschließen. Mithilfe des verbliebenen Treibstoffs soll sich Rosetta ebenjenem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko bis auf wenige Kilometer nähern und dann auf dessen Oberfläche stürzen. „Die Gravitation ist sehr gering, letzte Berechnungen zeigen, dass sie mit etwa 90 Zentimetern pro Sekunde auf der Oberfläche auftreffen wird“, sagt Stephan Ulamec.

Abprall erwartet

Der gebürtige Salzburger, der seit 1994 am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln arbeitet, ist Projektmanager für den Kometenlander Philae und war von Anfang an in die Mission Rosetta involviert. Seinem Team war am 12. November 2014 die erste Kometenlandung in der Geschichte der Raumfahrt gelungen – genau genommen die ersten drei Landungen: Da der Verankerungsmechanismus fehlschlug, vollführte Philae nach dem ersten Auftreffen noch zwei Hüpfer und blieb erst dann am Boden – allerdings nicht am vorgesehen Ort.

Die Sonde, die erst gar nicht über irgendwelche Landemechanismen verfügt, dürfte ebenfalls abprallen, wird aber ziemlich sicher unbeschädigt bleiben, sagt Ulamec. Wirklich wissen wird man das allerdings nie, denn schon beim ersten Aufprall wird die Verbindung zu Rosetta abbrechen, und zwar endgültig. Ulamec: „Rosetta ist so weit von uns weg, dass wir nur über ihre Parabolantenne kommunizieren können, die dafür sehr genau auf die Erde ausgerichtet sein muss – und das ist nach dem Auftreffen mit Sicherheit nicht mehr gegeben.“

Heiße Messphase

So bedauerlich sie auch sein mag, aus wissenschaftlicher Perspektive birgt die Bruchlandung eine einmalige Chance. Schon in den vergangenen Monaten kam die Raumsonde in Vorbereitung auf das Manöver dem Kometen näher als je zuvor und konnte Messungen in bislang unerforschten Bereichen durchführen. In den letzten Stunden der Mission, in denen Rosetta auf den Kometen niedersinkt, werden ihre Instrumente noch einmal auf Hochtouren Daten sammeln und senden.

„Das betrifft einen besonders interessanten Bereich – jene Zone, in der Staub vom Gas des aktiven Kometen beschleunigt wird“, sagt Hermann Böhnhardt vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen. Der wissenschaftliche Leiter des Philae-Teams hofft, dadurch ein noch detailreicheres Bild vom Kometen zu erhalten – auch wortwörtlich. Das Kamerasystem Osiris soll bis zuletzt Fotos in bislang unerreichter Auflösung liefern.

Rauhe Datenmengen

Erst kürzlich wurde auf Osiris-Bildern endlich Philae entdeckt, dessen Aufenthaltsort seit der turbulenten Landung nur erahnt werden konnte. Er liegt seitlich in einer dunklen Felsspalte, was nun endgültig erklärt, warum die Kommunikation nach der Landung so schwierig war. Trotz der misslichen Lage gelang es, mehr als 60 Stunden mit Philae zu forschen, ehe er in einen Ruhemodus fiel. „Wir haben durch den Lander und die Sonde wunderbare Daten bekommen, die uns noch Jahre, vielleicht Jahrzehnte beschäftigen werden“, sagt Ulamec. Für die Teams der jeweiligen Instrumente geht die Auswertungsarbeit jetzt erst richtig los. Spannende Ergebnisse gibt es freilich schon.

So wurden etwa zahlreiche organische Moleküle und sogar Aminosäuren gefunden, die wahrscheinlich einst durch Einschläge von Kometen wie Tschurjumow-Gerassimenko auch auf die Erde gelangten, wo sie zu den Bausteinen des Lebens wurden. Der Edelgasanteil in der Erdatmosphäre könnte ebenfalls von solchen Kometen stammen. Die gängige Theorie, dass auch das Wasser der Ozeane durch die Einschläge vieler kleiner Kometen auf die frühe Erde kam, müsse hingegen überdacht werden, sagt Böhnhardt: „Das Isotopenverhältnis zeigt: Ein Komet wie Tschurjumow-Gerassimenko kann kaum einen Beitrag zum terrestrischen Wasser liefern.“ Denkbar wäre nur, dass ein sehr großer Komet mit der richtigen Zusammensetzung dabei war.

Auch zur Entstehung des Kometen selbst gibt es einige unerwartete Ergebnisse: Die auffällige Körperform, die entfernt an eine Badeente erinnert, dürfte durch die Kollision zweier verschiedener Objekte entstanden sein. Scans von Sonde und Lander zeigten wiederum, dass der Komet in seinem Inneren sehr homogen und porös ist – wie ein Schwamm. Mit der bisherigen Vorstellung, dass sich Kometenkerne aus einer Vielzahl kleinerer Körper zusammensetzen, passt das nicht zusammen.

Bittersüßer Abschied

Auch ein Team um Mark Bentley vom Grazer Institut für Weltraumforschung hat schon erste Rosetta-Resultate in „Nature“ veröffentlicht. Die Forscher sammeln seit der Ankunft der Sonde beim Kometen mit dem in Graz entwickelten Instrument Midas Staubteilchen, um deren Struktur mithilfe eines Rasterkraftmikroskops zu analysieren. Dabei zeigte sich: Egal, wie klein die Partikel sind, sie sind stets aus noch kleineren Teilchen geformt.

Wie geht es den Beteiligten nun mit dem Ende der Mission? „Wir werden sicher Tränen in den Augen haben“, sagt Bentley. „Es ist aber auch eine Erleichterung, jetzt bleibt endlich Zeit für die Datenanalyse.“ Auch Ulamec sieht der letzten Landung etwas sentimental entgegen. „Aber die Mission war so erfolgreich, dass ich immer mit Freude zurückblicken werde.“ (David Rennert, 28.9.2016)