Kategorie Energie - 19. Januar 2021

Nach Frequenzabfall im europäischen Netz: »Österreichs Stromversorgung ist gesichert«

UPDATE 27. JAN 2021

17 Tage nach dem Zwischenfall im europäischen Stromnetz liegt der Abschlussbericht des Verbands Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) vor. Demnach war nicht wie ursprünglich vermutet ein Gebrechen in Rumänien dafür verantwortlich. „Ursache war eine überlastete Kupplung im Umspannwerk Ernestinovo in Kroatien“, so Gerhard Christiner, technischer Vorstandsdirektor der Austrian Power Grid (APG).

Lesen Sie hier die ganze Analyse und die Kette der Ereignisse im Detail.


 

„Die Stromversorgung in Österreich wird erneuerbar und sie ist sicher. Deswegen entwickeln wir die Energiewende als Teil des Klimaschutzes mit Blick auf das Gesamtsystem.“ Dass Klimaschutzministerin Leonore Gewessler gerade jetzt Gesprächsbedarf zur Sicherung der Österreichischen Stromversorgung und die Bedeutung der Netzreserve sah, liegt an einem Vorfall im europäischen Stromnetz, der am 8. Jänner des neuen Jahres auch zu einem Frequenzeinbruch in Österreich geführt hat.

Ein sogenannter Split im Netz, der sich quasi wie ein Riss duch das Netzgebiet von Kontinental-Europa zog und dieses in zwei Gebiete trennte, war nach einer ersten Auswertung der Austrian Power Grid (APG) und des Übertragungsnetzbetreiber-Dachorganisation (ENTSO-E) die Ursache für aufeinanderfolgende Ausfälle im Stromnetz in Südosteuropa. Die Stromversorgung in Österreich war demnach durch den Beinahe-Blackout vor eineinhalb Wochen zu keinem Zeitpunkt in Gefahr, wird aber weitere Analysen der Netzbetreiber nach sich ziehen.

Die Europäische Kooperation hat sich auch in diesem Fall voll bewährt: Bei einer derartigen Störung setzen automatisierte und europaweit abgestimmte „procedures“ ein. Innerhalb nur einer Stunde hat das europäische Netz wieder wie vorgesehen funktioniert. © APG

Die Trennlinie führte am 8. Jänner laut ENTSO-E durch die Länder Kroatien, Serbien und Rumänien. Das Gebiet südlich davon habe zu diesem Zeitpunkt Erzeugungsüberschüsse gehabt, welche aufgrund der ausgefallenen Leitungsverbindungen nicht mehr in den Zentralraum Europas transportiert werden konnten. Ein Frequenzanstieg gegen etwa 14:05 Uhr in Südosteuropa auf bis zu 50,6 Hz (Abweichung um 600 mHz) mit anschließender Reduktion der lokalen Erzeugungsleistung war die Folge, so die Analyse der Übertragungsnetzbetreiber-Dachorganisation.

Im nördlichen Gebiet, zu welchem auch Österreich, fehlten nach dem Netzsplit die Erzeugungsmengen aus Südosteuropa. Dieses Leistungsdefizit ließ laut Analyse die Frequenz auf 49,74 Hz (Abweichung um 260 mHz) absinken, ehe man mit zusätzlicher lokaler Erzeugung beziehungsweise mit Verbrauchsreduktion sowie Importen aus Großbritannien und Skandinavien die Frequenz wieder stabilisieren konnte.

 

Anlässlich dieses Zwischenfalls lud Klimaschutzministerin Leonore Gewessler zu einem Pressegespräch mit den Vorständen von APG und E-Control, Gerhard Christiner und Wolfgang Urbantschitsch. Auch hier wurde nochmals klar, dass am 8. Jänner alle Sicherheitsprozesse in Österreich wie vorgesehen funktioniert haben.

„Alle geplanten und regelmäßig geübten Sicherheitsmaßnahmen haben dem Frequenzabfall im Stromnetz am 8. Jänner rasch entgegengewirkt. Innerhalb nur einer Stunde hat das europäische Netz wieder wie vorgesehen funktioniert. In Österreich haben dafür wie standardmäßig vorgesehen Kraftwerksreserven, wie zum Beispiel Wasserkraftwerke, die Ausnahmesituation kompensiert“, so Gewessler im Anschluss an das Gespräch.

Erneuerbare Regelreserven 

In Österreich wurde bereits im Dezember ein Allparteienbeschluss für die Neugestaltung der Netzreserve gefällt. Diese wird nun vielfältiger und erneuerbarer organisiert. Oberste Priorität bleibt weiterhin die Sicherheit der Stromversorgung. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass die dringend notwendige Energiewende respektive erneuerbare Energieträger laut Expertenmeinung mit dem Vorfall in keinem Zusammenhang stehen. Im Gegenteil: Die vorgesehenen Regelreserven hätten zum größten Teil, nämlich zu 82 Prozent, auf Wasserkraftwerke zurückgegriffen.

„Die Europäischen Schutzmechanismen sowie die von der APG gesetzten Maßnahmen zur Stabilisierung haben bei der Behebung der europaweiten Störung im Stromnetz voll gegriffen. Die für einen derartigen Fall vorgesehenen Regelreserven in Österreich wurden seitens der APG ganzheitlich abgerufen“, bestätigt auch der Technische Vorstand der APG Gerhard Christiner. „Für eine sichere Stromversorgung sowie die Integration der Erneuerbaren Energien in den kommenden Jahren brauchen wir ausreichend Reserven in allen Bereichen des Stromsystems. Der Um- und Ausbau der Stromnetze, die Schaffung zusätzlicher Speicherkapazitäten sowie die Nutzung weiterer Flexibilitätsoptionen ist das Gebot der Stunde. Die APG wird einerseits die digitale Transformation des Systems vorantreiben sowie 357 Millionen Euro allein in diesem Jahr für den Um- und Ausbau des Übertragungsnetzes investierten.“

„Der Vorfall vom 8. Jänner hat gezeigt, wie wichtig gut funktionierende Kooperationen sowie laufende nationale und internationale Abstimmungen sind. Die E-Control ist im Rahmen der europäischen Regulierungsagentur ACER und der nationalen Energieregulatoren in allen Gremien vertreten und arbeitet maßgeblich mit, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten“, hob der Vorstand der E-Control, Wolfgang Urbantschitsch, die Bedeutung der internationale Zusammenarbeit hervor. „Das österreichische Stromnetz befindet sich in einem Verbundsystem, das sowohl für die Gewährleistung der Versorgungssicherheit als auch für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energieträger eine zentrale Rolle spielt.“, so Urbantschitsch. Und betont: „Die Transformation des Energiesystems erfordert eine höhere Flexibilität und einen stärkeren grenzüberschreitenden Austausch von Energie. Die E-Control schafft mit ihren Regulierungssystemen Planungssicherheit für die Netzbetreiber, sodass notwendige Investitionen erfolgen können. In den nächsten zehn Jahren rechnen wir hier mit einem Investitionsvolumen von zehn bis 15 Milliarden Euro.“

Nach Branchenangaben war es der bisher zweitschwerste Vorfall im europäischen Stromnetz, nach einer Großstörung am 4. November 2006, als zehn Millionen Haushalte in Westeuropa vom Stromnetz getrennt werden mussten. Bis zu einem wirklichen Blackout, also einem völligen Zusammenbruch der Stromversorgung, gibt es noch weitere Sicherheitsstufen.

Das europäische Stromversorgungssystem Nicht immer erzeugen Länder in Europa so viel Strom, wie sie gerade benötigen. Ein Verbundsystem sorgt aber dafür, dass ein auftretender Bedarf stets mit Überschüssen aus anderen Ländern abgedeckt werden kann, eigene Kapazitäten werden wiederum ins kontinentale Netz abgegeben. Ein komplexes System aus über- sowie untergeordneten Leitungen und Schaltstellen stellt die Verteilung sicher, auf Basis von Wechselstrom gilt es, Erzeugung und Verbrauch permanent in Balance zu halten. Wird weniger Strom verbraucht als produziert, so steigt die Frequenz über das für die europäische Systemstabilität notwendige Niveau von 50 Hertz. Wird hingegen mehr verbraucht als produziert, so sinkt sie darunter. Schon bei geringsten Abweichungen sind die Netzbetreiber gefordert: Sie müssen entweder die Leistung von Kraftwerken hoch- oder herunterfahren, einzelne Kraftwerke überhaupt vom Netz nehmen, oder schlimmstenfalls gezielt in bestimmten Gebieten vorübergehend den Strom abschalten.