Kategorie Klima- & Umweltschutz - 26. April 2023

Negativrekorde en masse: Kein Kontinent erhitzt sich so wie Europa

Europa jetzt schon mit 2,2° C erhöhter Temperatur im Vergleich zur vorindustriellen Zeit – Alpen verloren laut Copernicus 2022 so viel Gletschereis wie nie zuvor – Auch Treibhausgase in Atmosphäre nahmen weiter zu – Enorme Dürre betraf mehr als ein Drittel Europas

Kein Kontinent erwärmt sich so schnell wie Europa, wie ein neuer Bericht zum Klimawandel zeigt. 2022 war dabei ein Jahr voller negativer Klimawandelrekorde in Europa. Noch nie waren die Sommermonate auf dem europäischen Kontinent so heiß, die Gewässer so warm und der Gletscherschwund so groß, wie ein Klimabericht des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus zeigt. Die Daten belegen auch einmal mehr: Auf keinem anderen Kontinent steigen die Temperaturen so schnell wie in Europa.

 

Der Klimawandel hat die Durchschnittstemperaturen in Europa bereits um 2,2 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit ansteigen lassen, was fast doppelt so viel wie der globale Anstieg von 1,15 Grad ist. Wie aus dem am Donnerstag veröffentlichten jährlichen Bericht des Klimawandel-Dienstes des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus (C3S) hervorgeht, war der Sommer 2022 der heißeste in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen.

Das gesamte vergangene Jahr war demnach das zweitwärmste seit Beginn der Aufzeichnungen. In dem von weit verbreiteter Dürre und Hitze geprägten Vorjahr hätten zudem zwei Drittel der europäischen Flüsse unterdurchschnittliche Pegelstände aufgewiesen und die Alpengletscher fünf Kubikkilometer Eis verloren.

Für 2023 deutet sich nach Angaben von C3S-Vizedirektorin Samantha Burgess zumindest für Teile des Kontinents erneut eine schwierige Lage ab. Die Böden in Südeuropa seien weiterhin „unglaublich“ trocken. Dies werde Folgen haben, falls es im Frühjahr nicht „bedeutenden Niederschlag“ gebe. Die anhaltende Trockenheit wirke sich bereits jetzt in der Vegetationsperiode aus. Sinkende Ernteerträge seien daher „wahrscheinlich“.

Besonders frühe Hitzewellen

In den europäischen Alpen ist im vergangenen Jahr dem EU-Klimawandeldienst zufolge zudem so viel Gletschereis geschmolzen wie nie zuvor. Die Gletscher der Alpen verloren mehr als fünf Kubikkilometer Eis, wie der Dienst mit Sitz im britischen Reading am Donnerstag mitteilte. Würde man diese Eismasse in Würfelform pressen, wären die Kanten des Würfels rund fünfeinhalbmal so hoch wie der Eiffelturm. Europa erlebte zudem den wärmsten jemals gemessenen Sommer.

Die Längenausdehnung der Pasterze, des größten Gletschers Österreichs, ging im Vorjahr um 87,4 Meter zurück. © apa

Die Temperaturen im Sommer lagen im Durchschnitt 1,4 Grad über dem Referenzzeitraum 1991 bis 2020 Das Gletscher-Eis ist somit nicht der einzige Rekord, den der Dienst für das Jahr 2022 feststellte. „Das Klima, das uns erwartet, wird sehr, sehr anders sein als das Klima, in dem wir aufgewachsen sind“, sagte Copernicus-Direktor Carlo Buontempo zu Journalisten. Umso wichtiger sei es, Daten und Wissen darüber zu sammeln und die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Der Sommer 2022 war geprägt von einer enormen Dürre, die Copernicus zufolge mehr als ein Drittel Europas betraf und Landwirtschaft, Transporte und die Energieversorgung beeinträchtigte. Dies lag unter anderem daran, dass im vorherigen Winter weniger Schnee fiel als üblich und enorme Hitzewellen im Sommer die Situation verschärften.

Im Süden Europas nahm zudem die Anzahl der Tage deutlich zu, die als Tage mit extremem Hitzestress gelten, der als gesundheitlich gefährlich gilt – der Copernicus-Dienst misst diese Tage in unterschiedlichen Temperaturstufen. Außerdem war die Sonneneinstrahlung in Europa so intensiv wie zu keinem anderen Zeitpunkt in den vergangenen 40 Jahren. Dies führte in vielen Teilen des Kontinents zu einem überdurchschnittlichen Potenzial zur Produktion von Solarstrom. Die Fachleute gehen hier von einem anhaltenden Trend aus.

Davon besonders betroffen ist Spanien. Bereits vor dem Frühlingsbeginn war die iberische Halbinsel von einer ungewöhnlichen Winterhitze betroffen. Millionen Menschen leideten früh im Jahr unter Temperaturen von teils über 30 Grad und ersten Tropennächten. Generell wird das Klima in Spanien wie auch in anderen Teilen Europas seit Jahren heißer und trockener, was auf den menschengemachten Klimawandel zurückgeführt wird. Hitze und mangelnder Regen hatten Teilen des Kontinents schon im vergangenen Jahr schwer zugesetzt. Mit Spitzentemperaturen von teils mehr als 40 Grad war es eines der heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnung in Spanien.

Aktuell ist dieser Teil Europas erneut von einer ungewöhnlich frühen Hitzewelle betroffen. Die Temperaturen liegen teils 15-20° C über dem langjährigen Schnitt, Werte über 35° C im südlichen Spanien sind sonst eher im Juli zu erwarten und sorgen vielerorts für weitere Negativrekorde. Erwartet werden vereinzelt sogar Temperaturen über 40 Grad, was für Europa um diese Zeit ein absolutes Novum darstellen würde.

Da in Teilen Spaniens auch im Herbst und Winter die Niederschläge viel zu niedrig ausgefallen sind, spitzt sich der Wassermangel weiter zu. Die Stauseen sind zurzeit durchschnittlich nur zu etwas mehr als 40 Prozent gefüllt. Im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre waren es zu dieser Jahreszeit noch 58 Prozent. Auch die Gefahr heftiger Waldbrände bleibt hoch.

Dramatisch ist die Lage in Andalusien und Katalonien. Dort sind die Stauseen nur noch zu rund einem Viertel gefüllt. In Katalonien im Nordosten des Landes mit der Metropole Barcelona ist deshalb bereits der Wasserverbrauch in der Landwirtschaft und der Industrie eingeschränkt. In Parks und Gärten dürfen nur noch Bäume gegossen werden. Sollte der Regen weiter ausbleiben, rechnen die Regionalhörden ab Herbst mit Einschränkungen des privaten Trinkwasserverbrauchs.

Neben der deutlichen Erhitzung zeigen Copernicus-Daten zudem, dass die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre auch im vergangenen Jahr nicht abgenommen hat – im Gegenteil. Sowohl die Konzentration von Kohlendioxid als auch die des extrem potenten Klimagases Methan stieg an. „Den Ausstoß von Treibhausgasen zu verringern ist zwingend notwendig, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern“, sagte Copernicus-Vize-Direktorin Samantha Burgess.

Die Copernicus-Aufzeichnungen gehen bis 1979 zurück. Der Klimawandeldienst nutzt zudem Daten von Bodenstationen, Ballons, Flugzeugen und Satelliten, die bis 1950 zurückreichen. Monatlich werden mit Hilfe von Computeranalysen Daten zu Temperaturen, der Meereisdecke und anderen Aspekten veröffentlicht.

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