26. Dezember 2015
Optimal rodeln: „Gesmootht“ aus der Kurve fahren
Wien – Wenn Miriam Kastlunger oder das Doppel Peter Penz und Georg Fischler die Rodelbahn hinabschießen, sind Geschwindigkeiten bis 130 km/h keine Seltenheit. „Gleichzeitig reden wir im Rodeln von Tausendstelsekunden“, erklärt Anton Sabo von der FH Technikum Wien. Über Sieg oder Nichtsieg entscheidet dabei auch die Technologie, so der Leiter des Instituts für Biomedical, Health and Sportsengineering: Fährt ein Sportler nach der Steilkurve zu hart in die Bahn ein, driftet er. „Fährt er hingegen gesmoothter ein, spart das Zeit.“
In Zusammenarbeit mit dem österreichischen Rodelverband wird daher an der FH Technikum Wien an der optimalen Rodel geforscht: Wie scharf darf die Metallkufe sei, wie weich das Holz, wie dehnbar Kufen oder Aufhängung der Sitzschale? Beantwortet werden kann dies jedoch nur individuell: „Das perfekte Sportgerät gibt es nicht – nur das perfekt auf den Sportler und seine sportliche Technik abgestimmte“, sagt Sabo. Ein Beispiel dafür sind die Rodelkufen, die im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotschi 2014 entwickelt wurden. Dabei wurde die bisherige Holz-Metall-Kufe mit Dehnungsmessstreifen verkabelt und vermessen.
Entwicklungsergebnis: eine Kunststoffkufe mit Laminatteilen, die in unterschiedlichen Winkeln angeordnet werden, wodurch die Kufe mehr oder weniger Steifigkeit aufweist. Diese Winkel werden dann wiederum auf die sportliche Technik jedes Fahrers abgestimmt. Ebenso muss die Aufhängung der Sitzschale abgestimmt werden, an der man derzeit arbeitet.
Das verwendete Elastomermaterial wird zuerst per Computersimulation berechnet, danach wird die Sitzschale am Messstand und in der Praxis getestet. Ob Miriam Kastlunger „gesmootht“ aus der Kurve fährt oder nicht, hängt aber auch maßgeblich von ihrer Fahrtechnik ab. „Da geht es um Koordination“ – und die misst Sabo mittels Posturografie, einer Messtechnik aus der Neuropathologie, die beispielsweise bei Parkinson- und Schlaganfallpatienten angewandt wird.
Dem Kleinhirn zuschauen
„Mit der Posturografie schauen wir sozusagen dem Kleinhirn bei der Arbeit zu“, sagt Sabo. An der FH Technikum Wien wird diese Messtechnik in einem Rehabilitationsforschungsprojekt angewandt, „genauso kann man das aber auch im Spitzensport einsetzen“. Mit einigen Sportlern, unter anderem mit dem Golfer Bernd Wiesberger, werde bereits so gearbeitet, im Vorfeld der Olympischen Spiele 2018 wird auch das Rodelteam posturografiert. Publikationen sind dazu jedoch nicht zu erwarten: „Das ist logischerweise gerade im Spitzensport heikel“, schmunzelt der Elektrobiologe und Biomechaniker.
Um solche Messdaten deuten zu können, braucht es nicht nur einen interdisziplinären, sondern einen „multidisziplinären Ansatz“, glaubt Sabo, der an der TU und Universität Wien Elektrobiologische Technik und Sportmedizin, Physik und Leibeserziehungen studiert hat und mehrere Sporttrainerausbildungen absolvierte. Seit 2002 leitet er den Studiengang Sports Equipment Technology & Healthcare and Rehabilitation Technology an der FH Technikum Wien. „Mit diesem Curriculum sind wir weltweit einzigartig!“, sagt er stolz.
Potenzial nicht ausgeschöpft
Eigentlich könnte auch Österreich stolz sein, so Sabo, doch hierzulande werde das Potenzial in der Sportgeräteentwicklung noch lange nicht ausgeschöpft. Es komme jeweils auf die Sportverbände an, ob sie Forschungsförderungen aus dem Technologietopf des Sportministeriums beantragen. „Einzelne wie Markus Prock vom Rodelverband sagen: Na klar, das brauchen wir unbedingt!“, so Sabo, aber es sei noch viel zu wenig. Zum Vergleich: Am Sports-Technology-Institut an der Universität Loughborough würden bis zu 30 Dissertationen und 300 Diplomarbeiten pro Jahr parallel laufen, die vom englischen Sportministerium bezahlt und eingesetzt werden. „Bei uns ist das leider nicht der Fall.“
Immerhin, auch an der FH Technikum laufen derzeit drei Dissertationen und rund hundert Diplomarbeiten; das Institut arbeitet mit Golfern, Ruder-, Tischtennis- und Radverbänden, mit den Schützen und dem ÖSV – um nur einige zu nennen. Damit es noch mehr werden, brauche es „mehr Trainer, die sich mit Technologie auskennen“, ist Sabo überzeugt. Ein Schritt auf dem Weg dorthin ist für ihn der neue Lehrgang zum Akademischen Sporttechnologen. In drei Semestern wird in geblockter Form Know-how vermittelt, um „das technologische Manko, das hierzulande im Sport noch herrscht, auf vielen Ebenen anzugehen“. (Heidemarie Weinhäupl, 26.12.2015)