Kategorie Innovation & Technologie - 10. Mai 2016
Routinejobs für Roboter in der vernetzten Fabrik
Wien – Der kleine Roboter bleibt stehen, als sich ihm plötzlich ein Hindernis in den Weg stellt. Nach kurzem Zögern umrundet er den menschlichen Kollegen aber und setzt seine Arbeit fort: Selbstständig holt er sich Teile von einer Werkbank und transportiert sie zu einer anderen. „Werden die Roboter so programmiert, dass sie den Weg finden, ist das Industrie 3.0. Wenn sie den Weg ganz von allein finden, ist es Industrie 4.0“, sagt Corinna Engelhardt-Nowitzki vom Institut für Advanced Engineering Technologies der Fachhochschule Technikum Wien. Dort wurde kürzlich eine digitale Fabrik eröffnet, in der die theoretischen Möglichkeiten von Industrie 4.0 in die Forschungs- und Lehrpraxis übertragen werden sollen. Dabei werden Produktionsabläufe digital vernetzt, Maschinen kommunizieren selbstständig miteinander.
Ob menschliche Mitarbeiter in Zukunft nur noch eine Randerscheinung oder gar ein Hindernis sind, wird derzeit heftig diskutiert: Werden durch weitreichende Automatisierung Jobs wegfallen, ersetzt oder gar neue geschaffen? Bei der Eröffnung der digitalen Fabrik im Erdgeschoß eines Wohnturms auf dem Höchstädtplatz übte man sich in Zweckoptimismus. So betonte Lother Roitner, Geschäftsführer des Fachverbands der Elektro- und Elektronikindustrie und Obmann der FH Technikum, dass die neuen Möglichkeiten in Österreich 40.000 neue Jobs schaffen könnten. Es wird sich weisen, ob im Gegenzug nicht viele andere wegfallen.
Unumstritten ist, dass der Trend vor Österreich nicht haltmacht und entsprechend ausgebildete Fachkräfte mehr Chancen haben. In der neuen Minifabrik in Wien ist menschliches Zutun noch unverzichtbar, denn die Arbeit der Roboter leidet bisweilen an Kinderkrankheiten. Sind diese aber überwunden, sollen Roboter Routineaufgaben weitgehend selbstständig meistern. „Der Mensch bleibt allerdings dort unverzichtbar, wo Kreativität gefragt ist“, sagt Engelhardt-Nowitzki.
Praxisnahe Ausbildung
Dieses Zusammenspiel von Mensch, Maschine und Software soll in der neuen Lehr- und Forschungsfabrik auf dem Höchstädtplatz erprobt werden. Unternehmen haben für deren Ausstattung insgesamt rund eine Million Euro ausgegeben; Firmen wie Siemens, ABB und Festo sind an einer Zusammenarbeit bei Ausbildung und Forschung interessiert. Die Verzahnung zwischen FH und Wirtschaft ist auch personeller Natur: Kurt Hofstädter ist Vorstandsmitglied von Siemens Österreich und sitzt sowohl im Vorstand der FH Technikum als auch in jenem der Plattform Industrie 4.0, bei der Verkehrsministerium, Industrieverbände und Arbeitnehmervertreter einen gemeinsamen Weg finden wollen. Für Hofstädter ist es wichtig, Studierenden gute Infrastruktur zu bieten, auch um Absolventen den raschen Einstieg ins Unternehmen zu ermöglichen.
Vergangenen Sommer wurde in der Seestadt Aspern eine Pilotfabrik für Industrie 4.0 eröffnet. Die Technische Uni Wien werkt dort in Kooperation mit Firmen wie Bosch, SAP und Siemens an entsprechenden Forschungsprojekten. Zwar sollen keine kommerziellen Produkte erzeugt werden, doch die rund 15 Wissenschafter untersuchen unter anderem, wie die Serienfertigung der Zukunft aussehen könnte – etwa maßgeschneiderte Prothesen. Die Kosten der Pilotfabrik von vier Millionen Euro werden zur Hälfte vom Verkehrsministerium getragen.
Erich Markl, dem Leiter des Instituts für Advanced Engineering Technologies der FH Technikum Wien, zufolge kommt man sich gegenseitig nicht ins Gehege: „Unsere digitale Fabrik ist industriefinanziert und daher stehen reine Industrieanwendungen im Vordergrund.“ Zudem würde man auch für Klein- und Mittelbetriebe passende Anwendungen probieren.
Eine Spezialität der digitalen Fabrik der FH Technikum Wien ist die Verbindung realer Produktionsabläufe mit deren digitaler Simulation. Dadurch sollen die einzelnen Produktionsschritte variabel bleiben: Wenn ein Fertigungsschritt wegen hoher Auslastung nicht möglich ist, könnte ein anderer vorgezogen werden.
Neue Sicherheitsstandards
Durch die Vernetzung der Maschinen über das Internet soll eine „technologische Austauschbarkeit“ erreicht werden: Unternehmen können sich gegenseitig aushelfen, indem sie dringende Aufträge rasch übernehmen und beispielsweise bei Produktionsproblemen oder steigender Nachfrage Teile der Fertigung anderen übertragen. Bei dieser Vernetzung der Maschinen und in weiterer Folge der Endprodukte spielt die Sicherheit eine große Rolle – theoretisch könnte versucht werden, auf Teile der Produktion von außen zuzugreifen.
Laut TÜV Austria gibt es in dieser Hinsicht Aufholbedarf, nicht nur was die IT-Sicherheit betrifft: Auch die Sicherheit der Menschen in der Fabrik der Zukunft erfordert Forschungsarbeit. Die entsprechenden Normen und Standards müssen nach und nach adaptiert werden. In der digitalen Fabrik der FH Technikum soll auch das erprobt werden. Dass die Roboter den Menschen derzeit noch ausweichen, scheint ein gutes Zeichen zu sein. (rp, 7.5.2016)