Kategorie Innovation & Technologie - 20. August 2018

Ewiger Sommer? Schwerpunkt Stadt: Bauwerksbegrünung gegen die Hitze

Es ist ein Rekordsommer. Ein nie enden wollender Sommer, der nicht nur wegen seiner Hitze, sondern ebenfalls durch seine langanhaltende Dürre auffällt. In einer dreiteiligen Serie versuchen wir hier dessen Folgen und dem Umgang mit ihnen nachzugehen.

Manche können den Sommer ihres Lebens genießen, andere wiederum leiden unter Hitze und Trockenheit, ganz besonders in der Stadt. Für viele war der Klimawandel bisher nur eine abstrakte Theorie, doch nun ist er durch Extremwetter und dessen Auswirkungen ganz konkret erlebbar. Extremer werdende Hitzewellen sind aktuellen Klimamodellen zufolge sehr wahrscheinlich.

Wie ist es möglich, Städtebau und Infrastruktur an diese neuen Bedingungen anzupassen und gibt es bereits Konzepte, um auf das veränderte Stadtklima und sogenannte Hitzeinseln reagieren zu können?

Als Hippo lässt es sich in Wien auch im Sommer gut aushalten. Wie aber können die anderen Stadtbewohner effizient vor Hitze geschützt werden? © Tiergarten Schönbrunn/Daniel Zupanc

Hitze der Stadt

18 Tropennächte in Folge: vom 24. Juli bis 10. August 2018 wartete Wien mit dieser Serie auf. Der Österreich-Rekord der längsten ununterbrochenen Reihe der Nächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad gesunken ist, wurde damit eingestellt. Der bisherige alleinige Rekord in der Hauptstadt – gleichzeitig auch der Österreich-Rekord – stammte aus dem Sommer 1994.

Die Klimaerwärmung und die zunehmende Verbauung sorgen für ein immer heißeres Klima in den Städten. Extreme Wetterereignisse haben besonders hier große Auswirkungen, da zum einen sehr viele Menschen und zum anderen eine komplexe Infrastruktur betroffen sind. Können wir mit gezielten Maßnahmen, wie Begrünung, reflektierende Dachfarben, geeigneter Art der Bebauung und Wasserflächen der extremen Hitzebelastung in den Städten künftig etwas Abhilfe verschaffen?

 

Der Mailänder Bosco Verticale (bedeutet „senkrechter Wald) von Stefano Boeri ist von oben bis unten bepflanzt. © AP/Luca Bruno

Bauwerksbegrünung

Wer schonmal über aufgeheizten Asphalt gelaufen ist, weiß, wie sich Baumaterial durch die Sonne aufheizen kann. Ein Schritt ins Gras ist dagegen eine Wohltat. Dieser Effekt kann auch vertikal eingesetzt werden: Eine grüne Wand mit 850 Quadratmeter Fläche kühlt laut der Wiener Umweltschutzabteilung MA 22 so gut wie 75 Klimageräte, die mit 3.000 Watt acht Stunden laufen.

Grüne Fassaden sind neben Gründächern und städtischen Grünanlagen eine Variante, die Auswirkungen des Klimawandels und die Wüstentage (über 35 Grad) im urbanen Raum erträglicher zu machen. Computerprogramme simulieren, was solche Maßnahmen bringen: Laut einer in der Urban-Heat-Island-Strategie der Stadt Wien veröffentlichten Studie ist die gefühlte Temperatur bis zu 14 Grad kühler, wenn alle Straßenfassaden (ohne Innenhöfe) begrünt werden.

Vera Enzi, des vom BMVIT geförderten Innovationslabor Bauwerksbegrünung Grünstattgrau, erklärt den simplen Effekt: „Die Pflanze betreibt mit der Sonnenenergie Photosynthese, gibt dabei Feuchtigkeit ab und kühlt sich und ihre Umgebung, während sie auch noch das Haus beschattet.“ Damit reagiert sie ganz anders als die nackte Fassade, die die Strahlung nicht nur aufnimmt, sondern auch reflektiert und damit die Energie auch noch an die Straße weitergibt.

Infocontainer MUGLI

Wie sinnvolle Begrünung funktioniert, können Passanten an einem Showcontainer namens MUGLI auf dem Wiener Hauptbahnhof sehen. Das vom Innovationslabor Bauwerksbegrünung präsentierte Projekt zeigt, welche Arten von Begrünung möglich sind, und sammelt Messdaten. Anfang August wurde MUGLI der Öffentlichkeit am Haupbahnhof vorgestellt und wird demnächst österreichweit auf Tour gehen.

MUGLI steht für mobil, urban, grün, lebendig, innovativ und ist ein umgebauter, begrünter und mit Mess- und Steuerungstechnik ausgestatteter Schiffscontainer, der in den nächsten Jahren quer durch Österreich touren wird. MUGLI bietet Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünung zum Angreifen. Er wird auch als Innovations- und Experimentierraum und als Kommunikationsplattform für Bauwerksbegrünung, Biodiversität, erneuerbare Energie- und Mobilitätsthemen genutzt. Wir waren bei der Präsentation vor Ort und konnten einen ersten Eindruck von dem Projekt gewinnen, sowie mit Experten und Expertinnen reden.

Der Infocontainer wird bis zum Ende des Jahres in Wien zu sehen sein, bevor er auf Tour in die Synergiegebiete St. Pölten, Linz, Graz, Salzburg und Feldkirch geht. Dadurch sollen österreichweite Impulse für die Umsetzung von Bauwerksbegrünungsprojekten gesetzt werden. Auf und im Container werden unterschiedliche Systeme von Dach- und Fassadenbegrünungen, sowie auch Innenbegrünungen ausgestellt. So kann man sich ein Bild davon machen wie verschiedene Begrünungstechnologien funktionieren, welche unterschiedlichen Systeme es gibt und welche Technik dahintersteckt. Außerdem werden die Flächen überwacht und dadurch Messdaten zu den einzelnen Begrünungssystemen generiert.

Bewußtseinsbildung

Parallel laufen in Wien gleich mehrere Projekte, die eine Begrünung von Bauwerken sowohl in das Bewußtsein der Menschen als auch an Fassaden bringen will. Die Stadt Wien führte vergangenes Jahr rund 400 telefonische Beratungen zum Thema durch. „Das soll mehr werden“, sagt Christian Härtel von der MA 22. Die Stadt fördert Fassadenbegrünungen mit 2.200 Euro pro Projekt, neuerdings sowohl straßenseitig als auch in Innenhöfen.

„Wir arbeiten auch an einem One-Stop-Shop, um bürokratische Abläufe möglichst kleinzuhalten“, so Härtel. Auch ein neuer Leitfaden für Fassadenbegrünung soll bald kommen. Geldfrage Mit dem Geld wolle man viele einfache Begrünungen fördern, etwa solche, wo mit Pflanzungen im Boden oder Trögen gearbeitet wird.

 

Die Spanne der Errichtungskosten reicht meist von 400 Euro bis rund 1500 Euro oder mehr. „Es ist klar, dass die Stadt nicht alles aus eigener Hand finanzieren kann“, so Enzi, die Investoren, Eigentümer und Mieter in den Begrünungsprozess einbinden will. Sie ist überzeugt, dass sie mitmachen: „Es gibt kostengünstige Lösungen im kleinstelligen Bereich, mit denen man viel zum Mikroklima und zur Lebensqualität am Wohnort beitragen kann.“ Wie unmittelbar die Wirkung ist, erläutert Härtel:

„Mit einer Wärmebildkamera lassen sich bis zu zehn Grad Unterschied in der Oberflächentemperatur eines berankten Fassadenteils im Vergleich zu einem nicht begrünten nachweisen.“ Das kann Energie und Kosten sparen, weil im Inneren weniger gekühlt werden muss.

Urbane Vorzeigeprojekte

Den Kühleffekt bedenken auch gemeinnützige Bauträger: „Wir kämpfen mit den hohen Baukosten, versuchen aber bei der Begrünung das Maximum herauszuholen“, so Ewald Kirschner, Generaldirektor der Gesiba, die beim Vorzeigeprojekt Biotope City vier Bauplätze bebaut. Es müsse nicht immer fassadengebundene Begrünung mit aufwendigen Systemen sein, beim Harry-Glück-Haus in der Sagedergasse lasse man kostengünstig Veitschi und Efeu ranken.

Welche Artenvielfalt auf Fassaden möglich ist, zeigen Häuser der Stadt: die MA 48, das Bezirksamt Margareten oder die MA 31. An der Fassade von Wiener Wasser wachsen auf 990 m² sechs verschiedene Winden und acht Stauden- und Gräserarten. BOKU und TU überwachen Vegetation, Wärmeströme, Oberflächentemperatur, Wind und Wasserverbrauch.

Grüne Schule

Auch auf dem Dach und an der Fassade einer Wiener Schule im 7. Bezirk wurde das passende Versuchsobjekt gefunden. Die TU Wien untersucht hier unterschiedliche Gebäudebegrünungssysteme und verschiedenste Pflanzenarten, die mit Photovoltaikmodulen kombiniert werden. Besonders positiv: Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerende und auch Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner sind ins Projekt eingebunden.

Die Schülerinnen und Schüler suchen zum Beispiel nach den am besten geeigneten Pflanzen, werten Messdaten aus oder erfassen die Energiegewinne aus Photovoltaik.Um die Lebensqualität dort zu erhalten braucht man multifunktionale Systemlösungen. Wie zum Beispiel jene von TU-Professorin Azra Korjenic. Gemeinsam mit dem Realgymnasium Kandlgasse setzt sie derzeit das Projekt „GrünPlusSchule@Ballungszentrum“ um: die Fassade, das Dach und Innenräume der Schule werden begrünt und teilweise mit Photovoltaikanlagen ausgestattet.

Fertige Toolkits Fixfertige Lösungen sollen Fassadenbegrünung laut der MA 22 demnächst noch schmackhafter machen: In dem von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG geförderten Projekt 50 grüne Häuser werden ab Herbst Tröge mit Kletterpflanzen und Rankhilfen zu Toolkits geschnürt – gestützt von einem digitalen Beantragungsprozess, der Verwaltung, Eigentümer und Bewohner einbindet. In den nächsten Jahren sollen so 20 Prozent der Potenzialflächen im Bestand von Innerfavoriten grün werden.

Forschungen beschäftigen sich mit der einfacheren Pflege des Grüns, auch für Private. Rosemarie Stangl vom Institut für Ingenieurbiologie und Landschaftsbau an der BOKU entkräftet die Sorgen mancher: „Der Aufwand des Zurückschneidens und Laubwegräumens ist in etwa vergleichbar mit der Pflege einer Glasfassade.“ Die Kosten bewegten sich jährlich zwischen fünf und 70 Euro, je nach Begrünungssystem.

Potenzialerfassung Welches Potenzial Wien an Flächen für Fassaden- und Dachbegrünung hat, ermittelt ein Sondierungsprojekt des BOKU-Instituts. Allein im Pilotgebiet Neulerchenfelder Straße (Gürtel bis Johann-Nepomuk-Berger-Platz) konnten fünf Hektar an Fassadenpotenzialfläche errechnet werden. „Dabei helfen uns Open-Source-Datenbanken der Stadt Wien und Google Maps, da die Zugänglichkeit vor Ort oft nicht gegeben ist“, so Stangl. Damit seien genauere Schätzungen möglich als mit dem Gründachpotenzialkataster.

GREEN.RESILIENT.CITY

Ein Projekt gegen den Hitzestau der Stadt ist GREEN.RESILIENT.CITY – grüne und resiliente Stadt. Dessen Ziel ist es, Instrumente zu entwickeln, mit denen die Steuerung, Optimierung und Evaluierung einer klimasensiblen Planung von Stadtteilen und Städten möglich ist. Ein Schwerpunkt ist dabei die Verminderung von Hitzestress. Hitzewellen haben in Städten eine große Auswirkung auf die Gesundheit der Bevölkerung, da es in den Nächten weniger abkühlt als auf dem Land und daher zum Beispiel die Belastung für das Herz-Kreislaufsystem sehr hoch ist.

Im Projekt wird unter anderem untersucht, welche Instrumente der Klimaforschung einen direkten Nutzen für die Stadtplanung haben bzw. welche neuen Methoden dafür entwickelt werden können. Anhand zweier Stadtteile in Wien, dem Stadterneuerungsgebiet Innerfavoriten/Kretaviertel im 10. Bezirk und dem Stadterweiterungsgebiet Aspern Seestadt, wird die Umsetzbarkeit und Wirksamkeit der Methoden zur Entwicklung geprüft.

Am Projekt sind unter anderem die Universität für Bodenkultur Wien (Projektleitung), Green4Cities GmbH, die Stadt Wien, das AIT Austrian Institute of Technology und die Zentralanstalt für
Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) beteiligt. Finanziert wird GREEN.RESILIENT.CITY durch das Programm Stadt der Zukunft des Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT).

Urbane Hitzeinseln in Klagenfurt, Salzburg und Mödling

Das Projekt ADAPT-UHI Urban Climate Change Adaptation for Austrian Cities: Urban Heat Islands nimmt sich den Städten Klagenfurt, Salzburg und Mödling an und untersucht anhand dieser, wie effektiv Maßnahmen zur Senkung der Hitzebelastung in kleineren Großstädten sein können. Für sehr große Städte wie Wien ist der Nutzen einer klimasensiblen Stadtplanung schon sehr gut untersucht und bestätigt.

Das Projekt ADAPT-UHI ermittelt unter anderem mehrere Szenarien für das mögliche Klima der Zukunft in den drei untersuchten Städten und berechnet den Nutzen unterschiedlicher Maßnahmen im Städtebau, um die Auswirkungen eines immer heißeren Klimas auf die Bevölkerung zu reduzieren.

Das Projekt ADAPT-UHI wird vom International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) geleitet und unter anderem mit der Stadt Klagenfurt, dem Umweltbundesamt und der ZAMG durchgeführt. Finanziert wird ADAPT-UHI unter anderem durch den Klima- und Energiefonds.

Artikel enthält Material von Marietta Adenberger, derstandard.