Kategorie Energie - 19. August 2022
Schwimmendes Kunstblatt erzeugt erneuerbare Kraftstoffe am Meer
Den Prototyp eines künstlichen Blatts, das – wie bei der Photosynthese – mit Sonnenlicht aus CO2 und Wasser direkt Energieträger produziert, hat der österreichische Chemiker Erwin Reisner mit seinem Team vor drei Jahren vorgestellt. Nun präsentiert der Forscher eine neue Version: Er konnte die nötigen Materialien auf flexible Folien aufbringen und gegen Nässe abschirmen. Das Kunstblatt schwimmt und könnte so auf dem Meer sauber Kraftstoff erzeugen.
Reisner hat 2012 an der Universität Cambridge das Christian-Doppler-Labor für Erneuerbare Synthesegas-Chemie eröffnet und gemeinsam mit dem Unternehmenspartner OMV sieben Jahre lang daran gearbeitet, nach dem Vorbild von Pflanzen die Energie des Sonnenlichts zur Produktion eines Energieträgers zu nutzen. Statt wie die Pflanzen Zucker herzustellen, strebten die Forscher:innen an, direkt aus Kohlendioxid (CO2) und Wasser bei Raumtemperatur sogenanntes „Synthesegas“ nachhaltig zu erzeugen.
Dieses Gasgemisch („Syngas“) besteht aus Wasserstoff (H2) und Kohlenmonoxid (CO) und wird derzeit weltweit im Megatonnen-Maßstab vor allem aus fossilen Brennstoffen hergestellt. Es wird für die Erzeugung von Produkten wie Brenn- und Kunststoffe oder Düngemittel genutzt.
Synthesegas aus Sonnenlicht
Als Ergebnis der Arbeit im 2019 ausgelaufenen CD-Labor stellte Reisner damals in „Nature Materials“ ein wenige Millimeter dickes, mehrere Quadratzentimeter großes künstliches Blatt vor, das aus zahlreichen Schichten aufgebaut war und sich vollständig in Wasser befand. Durch die Kombination von zwei Lichtabsorbern (Bismutvanadat und Perowskit) mit geeigneten Katalysatoren konnte Synthesegas mit Hilfe von Sonnenlicht produziert werden.
Allerdings war die Effizienz noch bescheiden – gemessen an der Energie des einfallenden Sonnenlichts und der im Syngas gespeicherten Energie lag diese bei deutlich unter einem Prozent. Auch die Haltbarkeit war vor allem aufgrund der empfindlichen Perowskite eingeschränkt. Zudem war das „Blatt“ durch dicke Glassubstrate und notwendige Feuchtigkeitsschutzschichten aus einer schweren Legierung unhandlich und hätte sich so nur schwer in großem Maßstab herstellen und transportieren lassen.
Leicht genug, um zu schwimmen
Inspiriert von den Miniaturisierungstendenzen in der Elektronik hat Reisner mit seinem Team in den vergangenen Jahren versucht, die notwendigen Materialien so weit wie möglich zu reduzieren, ohne die Leistung zu beeinträchtigen. So ist es gelungen, die Lichtabsorber und Katalysatoren in Dünnschichttechnik auf flexible Kunststoff- und Metallfolien aufzubringen. Zudem wird der sehr feuchtigkeitsempfindliche Lichtabsorber Perowskit mit mikrometerdünnen, wasserabweisenden Schichten auf Kohlenstoffbasis vom Wasser abgeschirmt.
So stellten die Forscher:innen künstliche Blätter mit einer rund 100 Quadratzentimeter großen aktiven Fläche her, die leicht genug sind, um zu schwimmen. Bei Tests auf dem durch Cambridge fließenden Fluss Cam konnten die Forscher zeigen, dass ihr System Sonnenlicht mit ähnlicher Effizienz wie Pflanzenblätter in einen Energieträger umwandeln kann. „Auch die natürliche Photosynthese hat nur eine niedrige Energieeffizienz“, betonte Reisner. Für eine kommerzielle Anwendung des Systems müsste diese noch deutlich gesteigert werden.
Das künstliche Blatt funktioniert auch noch nicht mit der in der Atmosphäre vorhandenen Konzentration von CO2. „Man müsste dieses entweder konzentrieren oder das System direkt an eine CO2-Emissionsquelle etwa in der Industrie koppeln“, erklärte Reisner gegenüber der APA. Um das Syngas als Brennstoff zu nutzen, müsste es noch aufbereitet werden. „Die dazu notwendigen Technologien existieren aber schon und man müsste nur noch alles koppeln“, so der Forscher. Als attraktive Variante nennt er die Umwandlung in flüssige Kohlenwasserstoffe mittels der Fischer-Tropsch-Synthese, womit sich grünes Benzin bzw. Kerosin herstellen ließe.
Geringer Ressourcenverbrauch
Auch wenn bis zur Marktreife noch weitere Verbesserungen notwendig seien, sehen die Wissenschafter die Vorteile ihrer schwimmenden künstlichen Blätter. Wie die aktuelle Arbeit zeige, würden sie sich mit modernen Herstellungstechniken produzieren lassen, was einen ersten Schritt in Richtung Automatisierung und Skalierung der Solartreibstoffproduktion darstelle. Zudem würden solche Systeme keinen Platz an Land beanspruchen. Reisner verweist auch auf den geringeren Ressourcenverbrauch, da viel weniger Material zur Herstellung der Blätter notwendig ist.
Ähnlich wie in Solarfarmen Strom erzeugt wird, können sich die Forscher ähnliche Farmen für die Kraftstoffsynthese vorstellen, etwa auch in Kombination mit Off-Shore-Windparks. Damit ließen sich Küstensiedlungen und abgelegene Inseln mit Kraftstoff versorgen. Aber auch Industrieteiche könnten damit abgedeckt oder die Verdunstung von Wasser aus Bewässerungskanälen verhindert und dabei gleichzeitig Kraftstoff produziert werden. Beim Einsatz auf hoher See könnten sie dazu beitragen, die Abhängigkeit der Schifffahrt von fossilen Brennstoffen zu verringern.
Service: Beitrag im im Fachjournal „Nature“