Kategorie Klima- & Umweltschutz - 13. Dezember 2021
Studie: Pflanzenvielfalt nimmt ab, Monotonie macht sich breit
Sowohl im Hochgebirge als auch in Wäldern und Wiesen gehen immer mehr Pflanzenarten verloren. Dafür breiten sich einige wenige Arten großräumig aus. Das zeigt ein internationales Forscherteam mit österreichischer Beteiligung in einer im Fachjournal „Ecology Letters“ veröffentlichten Studie. Hauptgrund für die Artenverschiebung ist den Forschenden zufolge die Landwirtschaft, durch die immer mehr Stickstoff in die Böden eingebracht wird.
Die Wissenschaftler:innen um Ingmar Staude vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung haben erstmals in drei sehr unterschiedlichen Lebensräumen untersucht, wie die von Menschen verursachte Landschaftsänderung und der Klimawandel den weltweiten Biodiversitätsverlust beschleunigen. Sie haben dazu die Entwicklung von 1.827 Pflanzenarten über Zeiträume von bis zu 78 Jahren an 141 Standorten in alpinen Gipfelzonen, in der Krautschicht von Wäldern sowie in artenreichen Wiesen und Weiden im Tiefland in 19 europäischen Ländern analysiert. Für die alpinen Daten waren maßgeblich Forscher des Monitoring-Programms „Gloria“ (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments) beteiligt, das an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien koordiniert wird.
Die Forscher kommen zu einem „besorgniserregenden“ Befund: Pflanzenarten mit großräumiger Verbreitung haben in den vergangenen Jahrzehnten an Häufigkeit zugenommen. Arten mit kleinen Verbreitungsgebieten gingen gleichzeitig zurück. In den alpinen Gipfelzonen gibt es zwar derzeit noch mehr Arten – vor allem aufgrund des Vordringens von weiter verbreiteten Arten der tieferen Lagen nach oben. Durch die in Zukunft erwarteten weitaus stärkeren Klimaänderungen seien Hochgebirgsarten zunehmend gefährdet. „Weil größere und konkurrenzfähigere Arten durch die Erwärmung im Hochgebirge ankommen und dort existierende Arten nirgendwo mehr hingehen können, um der Konkurrenz zu entkommen, werden diese wahrscheinlich verdrängt“, schreiben die Forschenden in ihrer Arbeit.
Weit verbreitetes Phänomen
„Sehr beunruhigend ist, dass der Artenwandel in markant unterschiedlichen Ökosystemen ganz ähnlich abläuft, weshalb wir davon ausgehen müssen, dass wir es mit einem sehr weit verbreiteten Phänomen zu tun haben“, so Co-Studienautor Harald Pauli vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW. Als wesentlichen Treiber dieses Prozesses nennt er die „erhöhten Nährstoffmengen in den Böden, etwa infolge von Stickstoffeinträgen vor allem aus der Landwirtschaft, aber auch aus Verbrennungsprozessen in Verkehr und Industrie, sowie durch die Erwärmung der Böden, speziell im Hochgebirge“.
Der viele Stickstoff wirkt sich zweifach ungünstig aus: Er fördert einerseits das Wachstum der weitverbreiteten stickstoffliebenden Arten. Als Beispiele dafür nennt Pauli gegenüber der APA etwa die Brennnessel, die Knoblauchsrauke oder die beiden eingeschleppten Arten Drüsiges Springkraut und Riesen-Goldrute, die nicht nur in die Auwälder sondern vermehrt auch in Wälder an Hängen gehen. Im Wiesenbereich breite sich der Gemeine Löwenzahn und der Stumpfblättrige Ampfer aus, in den alpinen Lagen der Alpen-Ampfer.
Andererseits führen solche Arten zu erhöhter Beschattung, wodurch kleinwüchsige, seltenere Spezialisten für nährstoffarme Standorte verdrängt werden. „Jede Art, die verloren geht, ist ein unwiederbringlicher Verlust und hat Auswirkungen auf das Ökosystem. Denn: Die verschiedenen Pflanzenarten stehen in Interaktionen mit Insekten, aber auch mit anderen Lebewesen, etwa mit Bodenorganismen“, erklärte Pauli.
Auch Rückzugsgebiete der Biosphäre bedroht
Co-Autorin Manuela Winkler vom Institut für Botanik der Boku verweist darauf, dass sich alle Untersuchungsflächen in naturnahen Ökosystemen befinden, also fernab der intensiven Agrar- und Siedlungsräume. „Selbst diese Rückzugsgebiete der Biosphäre sind also unmittelbar von Artenverlusten und einer zunehmenden Angleichung der Artengemeinschaften bedroht.“
Hintergrund der Entwicklung ist ein Kreislauf, der in den vergangenen Jahrzehnten eingesetzt hat. Dabei wurden naturnahe Ökosysteme zunehmend in Ackerland und intensiv bewirtschaftetes Grünland umgewandelt, die großteils für den Anbau von Futtermitteln für die industrielle Tiermast benötigt werden. „Die massenhafte Tierproduktion führt wiederum zu massenhafter Gülle, die auf den Böden ausgebracht werden muss – das sind Stickstoffverbindungen, die nicht nur am Acker selbst, sondern auch in der Landschaft in Europa ihren Niederschlag finden“, so Pauli.
Pauli erinnert an die mehrfach sehr negativen Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft, nicht nur auf das Artensterben, sondern auch auf das Klima. Er hält daher eine effektive Transformation in Richtung einer nachhaltigen Bewirtschaftung innerhalb der nächsten Jahre für unumgänglich. Als einen der ersten Schritte kann er sich etwa „einen rigorosen Nachhaltigkeitscheck der EU-Agrarsubventionen“ vorstellen. Reduzierter Fleischkonsum mit Biofleisch und weitere Beiträge Einzelner seien sinnvoll, „werden aber nicht den nötigen Erfolg haben, ohne eine sehr starke transformative Politik mit einer entsprechenden Adaptierung der Rechtssituation, von der lokalen bis zur internationalen Ebene“, so Pauli.