Kategorie Mobilität - 18. September 2023

Transitstreit: Gewessler trotz Klagsdrohungen aus Italien gelassen

Er ist der meistbefahrene Pass der Alpen: der Brenner. Nicht nur müssen unzählige Urlauber auf dem Weg gen Süden diese Route passieren, auch zigtausende Lkw rollen tagtäglich über diese Strecke. Gerade dieser Schwerverkehr sorgt bei Anwohnerinnen und Anwohnern seit Jahren für Unmut, für Lärm und wortwörtlich für ziemlich schlechte Luft.

Die Tiroler Landespolitik hat auf die vorherrschenden Zustände reagiert und dämmt den Verkehr beispielsweise durch eine sogenannte Blockabfertigung für Lkw ein. Das heißt: Nur eine gewisse Anzahl an Lastkraftwagen darf die Autobahn passieren.

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Trotz einer im April diesen Jahres vermeldeten Möglichkeit per Slotsystem eine Einigung der drei Anrainerregionen Bayern, Tirol und Südtirol in der Beilegung des Dauerstreits über die völlig überlastete Brennerroute zu finden, verschärfte der italienische Verkehrsminister Matteo Salvini jüngst den Ton und sorgte somit für eine weitere Eskalationsstufe im Transit-Streit zwischen Österreich und Italien.

Trotz der Drohungen ihres italienischen Amtskollegen, wegen der transiteinschränkenden Tiroler Maßnahmen zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu gehen, zeigte sich Österreichs Klimaschutz- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler „sehr gelassen“. Gleichzeitig übte sie auch Kritik an Salvini: „Die Gesundheit und die Lebensumstände der Menschen in Tirol seien diesem weniger Wert als die Profite der italienischen Frächterlobby“, erklärte sie gegenüber der APA.

Ähnlich gelassen reagierte Tirols Landeshauptmann Anton Mattle. „Mittlerweile verhallen diese Klagsdrohungen in Tirol, weil für uns der Schutz der Gesundheit, der Umwelt und der Infrastruktur schwerer wiegen, als die fossile Verkehrspolitik in Italien“, so Mattle gegenüber der APA. Auch Salvini solle sich im Sinne der Menschen entlang des Brennerkorridors mehr auf die Reduktion des Verkehrs konzentrieren, anstatt immer mehr Lkw-Fahrten zu fordern.

Gewessler sprach von einem „Klagsversuch“ Salvinis. „Die Tiroler Notmaßnahmen gibt es nur, weil die Menschen dort unter unerträglichen Zuständen leiden. Stau, Lärm und schlechte Luft – das ist für die Tirolerinnen und Tiroler entlang der Brennerstrecke bittere Realität. Sie sind gut argumentiert und auch EU-rechtlich notwendig. Denn es ist unsere Verpflichtung, dass wir die Menschen vor ungesunder Luft schützen“, betonte die Ministerin einmal mehr. Österreich werde jedenfalls „dagegen halten“: „Solange es die Notmaßnahmen braucht, bleiben sie.“

Salvini hatte vergangene Woche vor Journalisten in Rom angekündigt, dass man für einen möglichen Gang vor den EuGH ein Dossier erarbeite. Dies müsse „vom juristischen Standpunkt solide sein und wir arbeiten daran. Wenn die EU-Kommission nicht handelt, werden wir es laut Artikel 259 tun“, meinte der Lega-Politiker und polterte: „Die österreichische Regierung bricht jede Regel und sie hilft der Umwelt nicht. Wir können nicht akzeptieren, dass Österreich einseitig einen Alpenpass schließt, ohne dass jemand etwas unternimmt. Das ist eine Verletzung der EU-Regeln, ein offenkundiger Missbrauch, der gelöst werden muss.“

Laut Artikel 259 könne jeder EU-Mitgliedstaat den EuGH anrufen, wenn er der Auffassung ist, dass ein anderes Mitglied gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen verstoßen hat. Bevor ein Mitgliedstaat wegen einer angeblichen Verletzung der Verpflichtungen aus den Verträgen gegen einen anderen Staat Klage erhebt, muss allerdings die EU-Kommission damit befasst werden.

In Sachen Transit „müssen Deutschland, Italien und Österreich zusammenarbeiten, um Lösungen zu finden“, antwortete der Sprecher der Europäischen Kommission, Adalbert Jahnz, am Donnerstag auf eine Frage zu den Initiativen der EU-Kommission hinsichtlich der Beilegung des Transitstreits. „Wir sind uns der Situation des Straßenverkehrs durch den Brenner-Korridor bewusst. Wir haben Initiativen ergriffen, um Gespräche zwischen den für Verkehr zuständigen Ministern der betroffenen Mitgliedstaaten zu erleichtern, und wir haben diese Länder erneut aufgefordert, einen Vorschlag von EU-Verkehrskommissarin Adina Valean zu prüfen“, sagte Jahnz laut Medienangaben.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte zuletzt versucht, in dem Dauerkonflikt „ein letztes Vermittlungsgespräch“ anzubieten. Das zugrunde liegende Problem könne nur „gemeinsam“ mit den drei beteiligten Ländern Österreich, Deutschland und Italien gelöst werden, sagte die Kommissionspräsidentin. Die Transit-Konflikt nahm in den vergangenen Monaten stetig an Schärfe zu. Vor allem Salvini agitiert beständig mit Drohgebärden und heftiger Kritik gegen die Tiroler Anti-Transit-Maßnahmen wie Sektorales Fahrverbot, Nachtfahrverbot und ähnlichem. Der italienische Verkehrsminister forderte die EU-Kommission sogar offiziell auf, deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich einzuleiten. Seinen deutschen Amtskollegen Volker Wissing (FDP) hatte er mit im Boot, was die Kritik an Fahrverboten und transiteinschränkenden Maßnahmen betrifft.

Auf regionaler Ebene hatte es dagegen an der Transit-Front eine Einigung gegeben. Die Landeschefs von Bayern, Tirol und Südtirol hatten erst im April in Kufstein öffentlichkeitswirksam ein „Slot-System“ präsentiert. Für ein solches digitales, grenzüberschreitendes Verkehrsmanagement müsste aber ein Staatsvertrag zwischen Österreich, Deutschland und Italien abgeschlossen werden. Ein solcher ist noch in weiter Ferne – auch weil Salvini sich dazu bisher strikt ablehnend zeigte.

apa/red