Kategorie Innovation & Technologie - 1. April 2021

Tunnelthermie: Die Verheißung des Tunnelwassers

Der Brenner-Basistunnel als Multitalent: Er wird den Transitverkehr zwischen Italien und Österreich neugestalten, liefert wertvolle Daten für den Hochwasserschutz und wird nebenbei auch noch Teile von Innsbruck mit Erdwärme versorgen.

Bergwässer stammen aus Niederschlägen, fließen von der Bergoberfläche auf weitverzweigten Wegen nach unten und werden auf diesen von geothermischer Energie erwärmt. An den Gebirgsmassiven rund um den Brenner ist das naturgemäß nicht anders. Im Gegenteil: Immerhin verläuft hier die Hauptwasserscheide zwischen Adria und dem Schwarzen Meer. Die Trasse des Brenner-Basistunnels (BBT) durchquert hier die Einzugsgebiete zahlreicher Wasserquellen.

Um den lokalen Wasserhaushalt zu schützen und zu untersuchen, werden seit 2001 Quellen, Brunnen, Grundwassermessstellen und Gewässer im gesamten Projektgebiet periodisch gemessen, derzeit an 1.350 Messorten. Alle vier Wochen wird im Zuge der wasserwirtschaftlichen Beweissicherung die Wassermenge, die Wassertemperatur und die Leitfähigkeit des Wassers untersucht, zudem umfangreiche chemische Analysen angestellt. Das gesamte Monitoring Programm über den Wasserhaushalt soll nicht nur über die gesamte Bauzeit andauern, sondern darüber hinaus auch noch fünf Jahre nach Fertigstellung des BBT fortgeführt werden.

Der geplante, mehr als 60 Kilometer lange Tunnel – zugleich längster Eisenbahntunnel weltweit – soll nach seiner Fertigstellung auch als Pilotstrecke für Konzepte zur Energiegewinnung werden die den Bahnbetrieb nicht behindern.

Im laufenden Betrieb fallen in den Tunneln große Mengen Drainagewasser an, das über den Erkundungsstollen abgeführt werden muss. Ab Tiefen von zwölf bis 15 Metern herrscht im Erdreich eine übers Jahr gleichmäßige Temperatur von um die zehn Grad. Je tiefer man ins Erdreich geht, desto wärmer wird es. “Erdwärme entsteht größtenteils durch den Zerfall langlebiger Nuklide im Erdinneren”, sagt Thomas Geisler vom Institut für Felsmechanik und Tunnelbau an der TU Graz.

“Als solches ist sie eine ganz natürliche Wärmequelle, die vom Erdinneren gespeist wird.“ Im Forschungsprojekt ThermoCluster untersucht er derzeit die Nutzung als Energiequelle für Innsbruck. Erdwärme ist eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle und die Nutzung zu Heizzwecken mittels Wärmepumpen wird seit mehreren Jahrzehnten erfolgreich angewendet. Die im Erdinnern gespeicherte Wärme kann sowohl direkt genutzt werden, etwa zum Heizen und Kühlen (Wärmepumpenheizung), als auch zur Erzeugung von elektrischem Strom oder in einer Kraft-Wärme-Kopplung.

Trotz einiger bereits erfolgreich umgesetzter Projekte bleibt die Herausforderung für die Ingenieure groß. Unterstützung finden die Grazer Forscher von Teams des AIT Austrian Institute of Technology GmbH und der Geologischen Bundesanstalt sowie von Forschenden der BOKU Wien. Die notwendigen Daten kommen von der BBT SE und den Innsbrucker Kommunalbetrieben. Das Projekt zur Wärmegewinnung aus Infrastrukturprojekten aus dem Programm Energie der Zukunft des Klimaschutzministerium (BMK) unterstützt das Projekt via FFG.

Drainagewasser als Energielieferant

Thomas Marcher, der das Institut für Felsmechanik und Tunnelbau an der TU Graz leitet: „Treffen Bergwässer auf ein Tunnelbauwerk, dann drainieren oder sickern sie in das Bauwerk ein. Deshalb wird das zugetretene Wasser entweder als offenes Gerinne oder als Leitung im Sohlbereich des Tunnels abgeführt.“ Bei bestehenden Tunnelbauwerken wird das abgeführte Wasser aus Gründen des Umweltschutzes meist in einem Auffangbecken abgekühlt. Erst wenn es eine ähnliche Temperatur wie der Vorfluter – beispielsweise ein Fluss – aufweist, darf es wieder in den natürlichen Kreislauf eingegliedert werden.

Die Forscher wollen das Tunnelwasser nun nicht einfach abkühlen lassen, sondern dessen Wärme als Energielieferant nutzen. Bei aller Zuversicht für eine nachhaltige Wärmenutzung gehe es in jedem Fall auch um ein besonnenes Vorgehen, so der Felsmechaniker: „Wir können nur so viel Wärme entziehen, wie der Berg selbst wieder reproduzieren kann, sonst wird die Energiegewinnung langfristig geschmälert.“ Vom Brenner Pass, dem höchsten Punkt des Tunnels, ergibt sich ein natürliches Gefälle Richtung Innsbruck, wo sich das Tunnelportal befindet. Das drainagierte Tunnelwasser wird der Stadt ganz automatisch zufließen und es wird kein zusätzlicher Pumpaufwand gebraucht. So sei die Idee entstanden, das von der Erde erwärmte Tunnelwasser als Energielieferant für die Stadt Innsbruck zu nutzen, so Marcher.

BMK und Klima- und Energiefonds starten Dialogprozess für eine Roadmap Geothermie in Österreich: Unternehmen, Forschung und Wissenschaft sowie Verbände können in einem mehrstufigen Prozess Anregungen und Beiträge zur Ausrichtung der Forschungs- und Innovationsagenda in der Geothermie einbringen. Damit sollen Wege aufgezeigt und beschritten werden, wie Technologien und vor allem heimische Unternehmen in diesem Bereich weiter vorangebracht werden können.

Ein wichtiger Aspekt sei die Übertragbarkeit des Konzepts auf andere, auch bestehende Tunnelbauten, so die Grazer Forscher. Das Team wird daher auch untersuchen, mit welchen Technologien aktuelle Tunnelprojekte adaptiert und bestehende Anlagen nachgerüstet werden können.

Eine erste geothermische Nutzung von Tunnelwasser wurde 1979 am Südportal des Gotthard Basistunnel in der Schweiz aufgenommen. Aber bisher gibt es noch kein vergleichbares Projekt dieser Größe. Deshalb sei die Herausforderung groß, so die Forscher. Schließlich dürfe man dem Bergmassiv nicht beliebig viel Erdwärme entziehen. Eine langfristige Abkühlung ist zu vermeiden. Darüberhinaus müsse das System möglichst effizient gestaltet werden.

Von Vorteil ist weiter, dass sich das Tunnelbauwerk sehr tief unter der Erdoberfläche befindet. „Die höchste Überlagerung liegt bei etwa 1.800 Metern. In diesen tiefen Lagen erreicht die Erdtemperatur circa 20 bis 35 Grad Celsius und das Wasser nimmt diese Temperatur an,“ erklärt Marcher.

Dazu kommt eine bauliche Besonderheit des Brenner Basistunnels, der drei Röhren hat und nicht – wie üblich – nur zwei Richtungsröhren. Die dritte, sogenannte Erkundungsröhre, wurde vor den beiden Hauptröhren errichtet um die tatsächlichen geologischen Verhältnisse im Berg besser zu erkennen. Diese Röhre eignet sich nicht nur für das Abführen des Wassers. „Durch diese dritte Röhre können wir jederzeit in den Tunnel hinein – und auch nachträglich Maßnahmen zur Wärmegewinnung setzen, ohne den Bahnbetrieb, welcher als prioritär zu erachten ist, zu beeinflussen,“ so Marcher weiter.

Damit die Erdwärme aus dem Drainagewasser Energielieferant von Haushalten und ganzen Stadtvierteln werden kann, muss sie erst verteilt werden. Dazu wird die im Tunnelwasser befindliche Wärme mittels eines Wärmeübertragers an das bestehende Wärmenetz  übergeben. Anschließend wird es mittels Wärmepumpen auf das nötige Temperaturniveau gebracht. Die ideale Planung beziehungsweise Adaptierung von Wärmeübertrager und Wärmepumpe ist Gegenstand der Forschung – ebenso  wie die ökonomische Verteilung der Energie.

Daten sollen vor Hochwasser warnen

Wasser kann freilich auch eine ganz andere, zerstörerische Wirkung haben. Hochwasser sind in Österreich keine Seltenheit. Die großen Wasserscheiden der Gebirge sind dabei besonders von Hochwasserereignissen betroffen. Ein interdisziplinäres Pilotprojekt soll in Zukunft eine genauere Vorhersage von Hochwassern im Großraum Innsbruck ermöglichen. Es ist ein Nebeneffekt der Arbeiten am Brennerbasistunnel: Die für den Tunnelbau notwendigen Untersuchungen über unterirdische Wasserabflüsse sollen bei großen Niederschlagsmengen die Auswirkungen auf die Pegelstände von Inn und Sill frühzeitig erkennbar machen.

Das Projekt ist eine Kooperation zwischen dem Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) und der BBT SE. „Die Abflussprozesse alpiner Einzugsgebiete sind komplex. Aus diesem Grund ist eine interdisziplinare Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachbereiche notwendig, um Verständnis über den Wasserhaushalt und mögliche Modellierungsansätze zu erarbeiten“, beschreibt Hydrologe Klaus Klebinder vom BFW die Vorteile der Zusammenarbeit.

Zusätzlich wird auch auf den Datenschatz vom Land Tirol Sachgebiet Hydrographie und Hydrologie und der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) zurückgegriffen. In der weiteren Projektphase wird eine Erweiterung dieser Gruppe mit verschiedenen universitären Einrichtungen angestrebt.

Hydrogeologisches Fachwissen bündeln

Die Verbesserungen bei den Hochwasserprognosen basieren auf einer fächerübergreifenden Zusammenarbeit sowie der Bündelung von hydrogeologischem Fachwissen. Die dafür notwendigen Daten zum Wasserhaushalt gehen auf Untersuchungen zurück, welche in den vergangenen Jahrzehnten für den Brennerbasistunnel gemacht wurden. Der Schwerpunkt lag dabei auf der Quantifizierung unterirdischer Abflüsse. Dadurch wird unter anderem erfasst, wie viel Wasser bei großen Niederschlägen dem Grund- und Bergwasser in der Tiefe und wie viel den eher für Hochwasser verantwortlichen Fließgewässern an der Oberfläche zufließt.

„Damit ergibt sich ein Detailwissen, welches ohne das Brennerbasistunnel-Projekt nicht vorhanden wäre und letztlich den Schutz der Bevölkerung vor Hochwasser erhöht“, erklärt der Leiter des Fachbereichs Geologie und Hydrogeologie beim Brennerbasistunnel, Ulrich Burger.

Derzeit arbeiten acht Geologen und Hydrologen an diesem Pilotprojekt, zusätzlich sind mehrere Personen für die Messungen vor Ort zuständig. In der Pilotphase liefern rund 35 ausgewählte, repräsentative Messstellen (Niederschlagsmessstellen, Grundwassermessstellen, Gerinne und Quellen) die benötigten Zahlen für die Studie. Messwerte zum Wasser werden beim Brennerbasistunnel seit dem Jahr 2001 ermittelt, die Daten für die Projektstudie beinhalten hauptsächlich die letzten zehn Jahre. Die Pilotprojektstudie soll heuer im Juni fertiggestellt sein. Die Hauptphase des Projekts soll im Herbst 2021 starten, diese soll zwei Jahre andauern.