Kategorie Innovation & Technologie - 17. Oktober 2016
Verkehr: Vorhersage für die grüne Welle
Wer möchte an einer Straße wohnen, in der die ersten selbstfahrenden Autos testen, wie gut sie mit realen Verkehrssituationen zurechtkommen? Niemand. Freilich gibt es solche Straßen nicht in echt. Denn autonomes Fahren wird immer zuerst in virtueller Umgebung geprüft. Die reale Welt kann man auf Versuchsstrecken nicht perfekt nachstellen, es gibt zu viele unvorhergesehene Dinge, die den Fahrer oder das autonome Auto beeinflussen. In der virtuellen Umgebung wird nicht nur das ganze Fahrzeug als Simulation berechnet, sondern jeder einzelne Teil: Alle Sensoren, die Signale senden und empfangen, können auf ihre Funktion und das Zusammenspiel mit dem großen Ganzen untersucht werden.
„Es ist immer eine Herausforderung, alle verschiedenen Möglichkeiten in einer virtuellen Umgebung umzusetzen“, sagt Harald Waschl vom Institut für Design und Regelung mechatronischer Systeme der Uni Linz. Sein Team entwickelt in einem von AVL List geleiteten Forschungskonsortium ein städtisches Verkehrsszenario in einer virtuellen Testumgebung, bei dem Schritt für Schritt der Übergang in die Realität ausprobiert wird. Das Projekt, gefördert vom Technologieministerium, heißt Traffic Simulation and Testing Environment, kurz TASTE. Weitere Partner sind Siemens, das Kompetenzzentrum „Das virtuelle Fahrzeug“ und das Austrian Institute of Technology, AIT. „Autonomes Fahren oder auch teilautonomes Fahren, wie es durch Assistenzsysteme wie dem Abstandstempomat längst üblich ist, muss stets in seiner Interaktion mit der Umgebung verstanden werden“, betont Waschl.
Jeder Lenker eines Fahrzeuges achtet ständig auf so viele Informationen aus dem Umfeld, muss andere Verkehrsteilnehmer einschätzen und mit ihnen kommunizieren. All diese Interaktionen zwischen den Verkehrsteilnehmern sowie dem Umfeld müssen auf ein virtuelles Testfeld übertragen werden, da man neue Sensoren und Steuerungen nicht auf öffentlichen Straßen ausprobieren kann.
Signale sollen Stau verhindern
„Dazu kommt noch die Interaktion mit der Infrastruktur“, sagt Waschl. Wenn moderne Autos ständig ihre Position und Geschwindigkeit versenden, können Ampelschaltungen und Infrastruktur noch besser an das aktuelle Verkehrsaufkommen angepasst werden, um z. B. Staus zu verhindern.
Im TASTE-Projekt werden alle Komponenten erstmals vereint simuliert: das Auto, sein Einfluss und seine Reaktion auf ein Verkehrsszenario und die Technologie der Infrastruktur, welche die Ampelschaltungen regelt. „Jeder Input ist modular austauschbar, um zu erkennen, wie sich einzelne Funktionen auf den Verkehrsfluss auswirken“, erklärt Waschl. So gibt es spezielle Sensoren, die messen, wie schnell sich die anderen Autos bewegen und zugleich die eigene Geschwindigkeit an die Infrastruktur melden. Deren Signale werden wiederum im Auto so umgerechnet, dass die Geschwindigkeit darauf eingestellt ist, eine grüne Welle zu erwischen. Waschls Team ist hierbei für einen vorhersagenden Regler zuständig: Der prädiktive Geschwindigkeitsautomat soll zehn bis 15 Sekunden in die Zukunft schauen. „Wie eine Glaskugel kann er aus Modellen und Daten über Geschwindigkeit und Position der anderen vorhersagen, wie sich die Autofahrer in seiner Umgebung verhalten werden.“ So kann der Regler reagieren, noch bevor der Lenker bemerkt, dass der Vordermann bremst oder Gas gibt.
„All diese Komponenten befinden sich derzeit noch rein am Computer, in virtuellen Tests. Doch wir werden Schritt für Schritt die Umsetzung simulieren, also bestimmte Komponenten real in den Test nehmen und untersuchen, wie das virtuelle Umfeld darauf reagiert.“ Denn die Simulation läuft nicht starr nach einem Schema ab, sondern passt sich den Gegebenheiten an: Virtuelle Verkehrsteilnehmer reagieren auf das Verhalten des Testpiloten, der den Wagen in der Computeranimation lenkt. Weil ähnlich wie der Flügelschlag eines Schmetterlings die Luftbewegungen so verändern kann, dass irgendwo ein Wirbelsturm entsteht, kann jede Bewegung eines Testautos – sei es selbstfahrend oder mit Lenker – Auswirkungen auf den Verkehrsfluss der ganzen Stadt haben.
Prüfstand in virtueller Stadt
Ab dem kommenden Jahr soll die virtuelle Testumgebung so ausgefeilt sein, dass die Forscher damit auf den Gesamtfahrzeug-Prüfstand im Entwicklungszentrum der AVL List in Graz gehen können: Dann fährt ein echtes Auto, das all seine digitalen Sensoren mit an Bord hat, auf einem Prüfstand – also im Stand – virtuell durch einen Stadtteil, der inszeniert wird.
Das Auto empfängt die Daten der Infrastruktur und stellt die Geschwindigkeit optimal ein, sodass der Fahrer eine grüne Welle, minimalen Verbrauch und einen hohen Fahrkomfort hat. Das Auto fährt so, dass der Verkehrsfluss in dem Stadtteil optimiert wird. Zugleich reagieren die virtuellen Systeme der Infrastruktur und der anderen Verkehrsteilnehmer auf das Verhalten des Autos am Prüfstand.
Welche Sensoren und welche Datenkommunikation in Zukunft noch verbessert werden müssen, sollen diese Tests erstmals so real wie möglich zeigen. [ www.fotostudio-eder.at ] (Von Veronika Schmidt, Die Presse)