Kategorie Mobilität - 10. Oktober 2016

Vorsorgeuntersuchung für Tunnel

Viel ist nicht zu sehen bei der Fahrt durch einen Eisenbahntunnel, denn es ist ja finster. So verbirgt sich dem Auge, dass manch älterer aus Stein- oder Ziegelmauerwerk gebaut oder direkt aus dem Fels gehauen ist. Oder dass ein neuerer eine Betoninnenschale hat. Beim raschen Durchfahren erkennt man auch nicht, in welchem Zustand sich der Tunnel befindet. Löst sich Mauerwerk? Droht ein Stein herabzufallen? Bilden sich Risse?

Den Zustand der Bauwerke im Berg laufend zu kontrollieren ist bei den Bundesbahnen Aufgabe eigener Teams aus Ingenieuren und Arbeitern. „Das ist wie bei einem Auto, das zum Pickerlmachen kommt. Wir müssen die Tunnelbauwerke laufend überprüfen“, sagt Robert Matt, der die Instandhaltungen von Tunneln bei der ÖBB Infrastruktur koordiniert. Dabei gehe es weniger darum, einen Einsturz zu fürchten – ein Tunnelbauwerk ist in Österreich auf mehr als hundert Jahre ausgelegt. Ziel seien vielmehr zeitgerechte Instandsetzungsarbeiten.

Berge bewegen sich

Denn die Berge bewegen sich: Sie stehen ständig unter Spannung, in ihnen fließt Wasser, es bildet sich Eis. Bisher passierten die Kontrollen händisch. Die Fachkräfte stehen dabei auf einem eigenen Tunneluntersuchungsfahrzeug mit einer Hebebühne und klopften das Innere eines Tunnels mit einem Hammer ab: So stellen sie fest, ob sich etwas lockert. Und das Geräusch verrät dem geschulten Ohr auch, ob unter einer Stelle ein Hohlraum liegt. Das dauert, trotz aller Routine. Und einstweilen ist der Tunnel gesperrt. Der Verkehr steht oder muss umgeleitet werden.

Seit einigen Jahren gibt es digitale Assistenten für die Arbeiter. Das Prinzip funktioniert ähnlich wie bei Qualitätskontrollen in Medizin oder Werkstoffindustrie. Neu ist, die Technologie zur Überprüfung von Tunnels zu nutzen. Dabei fahren Laserscanner auf einem Messwagen durch den Tunnel und tasten die Wände ab. „Der Strahl trifft auf die Wand, die das Licht reflektiert. Über die Laufzeit der Wellen errechnet sich dann die Beschaffenheit der Oberfläche“, erklärt der promovierte Bauingenieur Thomas Petraschek. Er ist bei der ÖBB für Innovationen beim Streckenmanagement zuständig.

Mit freiem Auge nicht zu sehen

Das ist vor allem für neuere Tunnel mit Betonauskleidung interessant. Denn auf den in Grauschattierung dargestellten, dreidimensionalen Aufnahmen lassen sich selbst Risse bis 0,1 Millimeter finden, die man mit freiem Auge gar nicht erkennt. „Überall, wo mit Beton gebaut wird, entstehen Risse, auch in einer Hausmauer“, sagt Matt.

Entdecken die Tunneltechniker einen Riss in der Tunnelverkleidung, beobachten sie ihn: Manche Risse blieben über 50 Jahre gleich, manche veränderten sich schnell. Dann müsse man handeln, sagt Matt, der an der Boku Wien Kulturtechnik und Wasserwirtschaft studiert hat.

Damit die Qualität der Aufnahmen passt, bewegte sich das Messfahrzeug bisher mit lediglich 1,8 Stundenkilometern fort. „Ziel unserer Entwicklungsarbeit war, die Geschwindigkeit zu verdoppeln“, sagt Petraschek. Das Tempo eines Spaziergängers zu erreichen, war aber technisch eine Herausforderung: Der mehrere Kilogramm schwere Scannerkopf rotiert dabei nämlich mit hoher Drehzahl um eine Achse: „Er dreht sich alle drei Millimeter einmal rundherum, das liefert 10.000 Bildpunkte“, schildert Petraschek. Ist die Bewegung nicht ganz rund, stört das die Feinmechanik und damit die Messungen.

Wuchten wie einen Reifen

Der Clou: Das Messsystem muss – ähnlich wie ein Autoreifen – gewuchtet werden. Das gelang in einem Wechselspiel mit der deutschen Firma Spacetec Datengewinnung. Außerdem fährt heute neben dem Scanner noch ein zweiter Passagier mit: Eine Kamera macht thermografische Aufnahmen, die Informationen über das Innenleben des Berges hinter der Betonauskleidung liefert. Fließt dort Wasser, kann es im Winter, wenn es friert, Teile der Betonschale sprengen. Die Daten werden mit denen des Lasers in einem Modell verschmolzen.

Zwei Jahre lang wurde getüftelt und getestet, seit Jahresbeginn ist der neue Tunnelinspektor nun in ganz Österreich unterwegs. Die Zeiten von „Hör mal, wer da hämmert“ sind im Tunnel dennoch nicht vorbei. Geklopft wird weiter, allerdings mit den vom Laser gemessenen Angaben nun weit gezielter. (Von Alice Grancy, Die Presse)

IN ZAHLEN: 246 Tunnelbefinden sich derzeit im Bestand der ÖBB. Sie sind insgesamt 250 Kilometer lang. Durch Neubauten wie den Koralm-, den Semmering- und den Brennerbasistunnel verdoppelt sich die Zahl bis 2026. 15,9 Kilometer misst der längste Tunnel im ÖBB-Netz: der Münsterer Tunnel in Tirol. Der älteste Tunnel Österreichs ist der 1841 errichtete niederösterreichische Gumpoldskirchner Tunnel. Er ist im Volksmund als „Busserltunnel“ bekannt.