8. März 2023

Weltfrauentag 2023: „Fortschritt verschwindet vor unseren Augen“

300 Jahre. So lange dauert es laut UNO-Frauenrechtskommission bis man zu einer Generation käme, in der gleiche Rechte, gleiche Pflichten und gleiche Bezahlung von Männern und Frauen in der Realität angekommen wären.

Angesichts der massiven Angriffe auf Frauenrechte in Afghanistan, im Iran, aber auch in Ländern wie den USA sieht UNO-Generalsekretär António Guterres bisher erkämpfte Schritte zur Gleichstellung in Gefahr. „Über Jahrzehnte gemachter Fortschritt verschwindet vor unseren Augen“, sagte Guterres am Montag in New York zum Start der jährlichen Konferenz der Frauenrechtskommission, die sich seit 1946 als Fachkommission der Vereinten Nationen für die Gleichstellung der Geschlechter und für die Förderung von Frauenrechten stark macht.

Unter der Herrschaft der Taliban „in Afghanistan sind Frauen und Mädchen vielerorts aus dem öffentlichen Leben verbannt worden.“ Auch die sexuellen und reproduktiven Rechte würden vielerorts zurückgefahren, sagte Guterres und nahm damit Bezug auf eine Reihe von US-Staaten, die zuletzt mit weitgehenden Abtreibungsverboten für Entsetzen gesorgt hatten. Die Frauenrechte weltweit würden „missbraucht, bedroht und verletzt“.

Vergleichbar harmlos mutet in diesem Zusammenhang der sogenannte Gender Pay Gap, also die Lohnschere zwischen Mann und Frau, an, gegen den man hierzulande weiterhin anzukämpfen versucht. Dieser hat sich laut Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) zwar in den vergangenen Jahren weiter verringert und ist von 20,5 Prozent 2005 auf 11,3 Prozent im Jahr 2021 gesunken. Doch nach wie vor symbolisiert diese Schere auch einen gesellschaftlichen Schiefstand, in der typische Frauenberufe schlechter bezahlt und unfreiwillige Teilzeitlösungen durch mangelnde Kinderbetreuungsangebote manifestiert werden.

Gerade die unfreiwillige Teilzeit von Frauen, die Auswirkungen bis zur Altersarmut nach sich ziehen kann, ist auch Folge eines „gender-care-gaps“, da Care-Arbeit nach wie vor sehr ungleich verteilt ist und in Österreich weit weg von einem 50:50-Verhältnis ist.

Anlässlich des internationale Frauentags, der heuer bereits zum 112. Mal gefeiert wird, werden auch diese offensichtlichen Defizite in den jahrzehntelangen Bemühungen zur Gleichstellung erneut in den Fokus gerückt.

Große Ungleichheit herrscht beispielsweise auch weiterhin im Digitalen und der Technologieentwicklung, weshalb der Frauentag dieses Jahr unter dem Motto DigitALL: Innovation & technology for gender equality steht.

UN Women macht darauf aufmerksam, dass von den Anfängen der Computertechnik bis zum heutigen Zeitalter der virtuellen Realität und der künstlichen Intelligenz Frauen unzählige Beiträge zu der digitalen Welt geleistet haben – und sich dabei gegen alle Widerstände in einem Bereich durchgesetzt, der sie in der Vergangenheit weder willkommen geheißen noch gewürdigt hat.

Heute halte eine anhaltende geschlechtsspezifische Diskrepanz beim digitalen Zugang Frauen davon ab, das volle Potenzial von Technologien zu erschließen. Ein Grund dafür: Frauen sind in der MINT-Ausbildung und -Berufswelt nach wie vor massiv unterrepräsentiert – ein großes Hindernis für ihre Beteiligung an der Entwicklung von Technologien sowie auch deren Ausgestaltung von politischen Rahmenbedingung und Regulierung.

Neue Förderungen stärken Karrierechancen für Frauen

Nicht zuetzt aus diesem Grund startet das Klimaschutzministerium (BMK) just am Weltfrauentag zwei Ausschreibungen für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Dissertantinnen in Naturwissenschaft und Technik.

Mit den zwei neuen Förderungschienen im nach wie vor männerdominierten Feld der Forschung, Technologie und Innovation (FTI) unterstützt das BMK mit „Dissertantinnen für Zukunftsthemen der Wirtschaft 2023“ zum einen die Karrierechancen von Frauen im Bereich Naturwissenschaft und Technik, zum anderen sollen mit den „FEMtech Praktika für Studentinnen“ Nachwuchswissenschaftlerinnen für die angewandte Forschung gewonnen und mehr Forscherinnen und Technikerinnen in heimische Betriebe gebracht werden.

„Gleichstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt, das für jede demokratische Gesellschaft ein zentrales Thema sein muss. Heute, am 112. Internationalen Frauentag, möchte ich besonders die Leistungen von Frauen in der Klima-, Umwelt-, Energie-, Mobilitäts- und Innovationsbranche würdigen. Diese Branchen sind oft noch von Männern dominiert. Ich freue mich sehr, dass sich das Schritt für Schritt ändert – auch wenn viel Luft nach oben bleibt. Durch gezielte Förderungen und möglichst früh ansetzende Maßnahmen kommen immer mehr Frauen in technisch-naturwissenschaftliche Berufe, so Klimaschutzministerin Leonore Gewessler.

Für die Ausschreibung „Dissertantinnen für Zukunftsthemen der Wirtschaft 2023“ stehen insgesamt zwei Millionen Euro zur Verfügung. Dissertantinnen arbeiten in einem Unternehmen oder einer außeruniversitären Forschungseinrichtung mit Niederlassung in Österreich und beschäftigen sich im Rahmen ihrer Dissertation mit einer naturwissenschaftlichen/technischen Forschungsfrage innerhalb der Themenfelder Energiewende, Mobilitätswende und Kreislaufwirtschaft.

FEMtech-Praktika sollen den Erwerb von praxisbezogenem Know-how und die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen für eine Karriere in forschungs- und technologieintensiven Organisationen im naturwissenschaftlich-technischen Bereich sicherstellen und damit den Karriereeinstieg erleichtern. Studentinnen lernen berufliche Ein- und Aufstiegswege kennen und erhalten einen fundierten Einblick in die angewandte Forschung und Entwicklung. Dafür stehen insgesamt mehr als zweieinhalb Millionen Euro bereit, davon 500.000 Euro für den Bereich Mobilitätswende.

Österreichweit sind Frauen in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Hier ist dem BMK zuletzt auch hausintern ein wichtiger Schritt gelungen: Drei Sektionschefinnen sorgen für ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis in der Leitung der insgesamt sechs Sektionen. Auch in den Beteiligungen des Klimaschutzministeriums ist der Frauenanteil seit Amtsantritt von Klimaschutzministerin Gewessler deutlich gestiegen.

Gleichstellung ist in vielerlei Hinsicht ein zentrales Thema im BMK. Unter anderem wurde seit vergangenem Jahr erstmals eine Stabsstelle für Gleichstellung und Diversität eingerichtet, der Frauenförderungsplan (FFP) konnte Ende 2022 erfolgreich aktualisiert werden und es laufen Vorbereitungen für den Start eines hausinternen Frauennetzwerks.

Nicht zuletzt bietet der Girls Day 2023 jungen Frauen und Mädchen die Chance, sich von weiblichen Role Models direkt im BMK inspirieren und für Berufe in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) begeistern zu lassen.

Frauen als Speerspitze gegen die Klimakrise

Ein weiterer Aspekt, der an diesem Tag vor den Vorhang geholt werden muss, ist die Benachteiligung der Frau in der Klimakrise. Doch was genau bedeutet das?

„Die Klimakrise ist ein Frauenthema“, heißt es seitens der UNO-Frauenrechtskommission. So sind Frauen etwa ungleich stärker von der Klimakrise betroffen als Männer – vor allem „weil sie zu einem größeren Teil unter Armut leiden und proportional stärker von bedrohten natürlichen Ressourcen abhängig sind“.

In Afrika oder Asien etwa sind Frauen für die alltägliche Versorgung der Familie zuständig, das bedeutet, dass sie in Dürreperioden mehrere Kilometer am Tag zurücklegen müssen, um Wasser und Nahrung zu besorgen. Dies hat zur Folge, dass wenig Zeit für Bildung oder ein eigenes Einkommen übrigbleibt. Sollten junge Mädchen doch am Schulwesen teilnehmen können, so sind sie fast immer die Ersten, welche bei familiären Notständen wieder herausgerissen werden. Ein Teufelskreis, dessen Ausmaß Millionen Frauen täglich am eigenen Leib zu spüren bekommen. Die Gesellschaft ist auf dem Rücken der Frau aufgebaut, auch wenn sie dafür keine Anerkennung bekommt.

Die Wahrscheinlichkeit, bei einer Katastrophe ums Leben zu kommen, ist für Frauen und Kinder 14-mal höher. Denn sie werden meist zu spät gewarnt, können nicht schwimmen oder kümmern sich auf der Flucht um ihre Angehörigen. So waren bei der Tsunami-Katastrophe 2004 in Asien 70 Porzent der Todesopfer Frauen.

Bis zu 80 Prozent der Menschen, die vor klimabedingten Katastrophen fliehen, sind Frauen, doch der Weg in die Sicherheit ist lang und von Gefahren geprägt. Denn körperliche und sexuelle Gewalt und Zwangsprostitution machen vor flüchtenden Frauen keinen Halt. Sogar das Gegenteil ist der Fall. Sexuelle und häusliche Gewalt, Kinderheirat und Menschenhandel werden durch Klimakatastrophen verstärkt. Eine traurige Bilanz für die Menschheit.

Doch auch im Kampf gegen die Klimakrise sind Frauen meist an vorderster Front und bilden in vielen Ländern eine medienwirksame Speerspitze der Klimaschutzbewegung. Von Fridays For Future bis zur Letzten Generation – im Kampf gegen die Klimakrise stehen an in der ersten Reihe oftmals Aktivistinnen. Es ist eine neue Form des Feminismus, ein Ökofeminismus, der davon ausgeht, dass die Wurzeln der Zerstörung der Natur und der Unterdrückung der Frauen die gleichen sind – in beiden Fällen soll die Welt eine bessere werden, in dem das Patriarchat überwunden werden muss.

Im Jahr 1911 fand der Internationale Frauentag zum ersten Mal in Dänemark, Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA statt. Seit 1921 wird er jährlich am 8. März gefeiert. Im Laufe der Zeit hat sich die rechtliche Situation wie auch die kulturelle und ökonomische Situation für Frauen deutlich verbessert. Dennoch ist auch im Jahr 2023 ist eine Gleichstellung von Frauen und Männern auf allen sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Ebenen noch lange nicht erreicht.