Kategorie Klima- & Umweltschutz - 24. Juni 2021

Weltklimarat warnt vor »irreversiblen Folgen« bei Erderwärmung von über 1,5 Grad

Ein Verfehlen des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens hat nach Einschätzung des Weltklimarates IPCC „irreversible Auswirkungen auf Menschen und ökologische Systeme“. Im Entwurf zu einem umfassenden IPCC-Bericht gehen die Experten davon aus, dass eine Erderwärmung um zwei Grad 420 Millionen Menschen zusätzlich dem Risiko von Hitzewellen aussetzt. Bis zum Jahr 2050 bestehe – je nach Umfang des Treibhausgasausstoßes – ein Hungerrisiko für bis zu 80 Millionen Menschen zusätzlich.

„Das Leben auf der Erde kann sich von einem drastischen Klimaumschwung erholen, indem es neue Arten hervorbringt und neue Ökosysteme schafft“, heißt es in dem Berichtsentwurf. „Menschen können das nicht.“

Ein Acker im April 2019 bei Mank in Niederösterreich. Heuer übertraf das besonders trockene Frühjahr vorhergehende erneut. © APA/Fohringer

Der rund 4.000 Seiten lange Entwurf nennt Ernterückgänge durch zunehmende Hitze, Trinkwassermangel, Massenflucht wegen Dürren oder nach Überflutungen von Küstenstädten sowie ein fortschreitendes Artensterben als einige Folgen der Erderwärmung. Leidtragende seien insbesondere diejenigen Länder, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen hätten.

Aber auch Europa wird die Folgen nach Angaben der Experten zu spüren bekommen: Die dortigen Schäden durch Überflutungen würden sich bis zum Ende des Jahrhunderts auch bei einem hohen Maß an Anpassungsmaßnahmen deutlich erhöhen, prognostizieren die Berichtsautoren auf Grundlage internationaler Studien.

Der Zusammenbruch ganzer Ökosysteme, Wasser- und Lebensmittelknappheit und Krankheiten als Folgen der Erderwärmung werden dem Berichtsentwurf zufolge in den kommenden Jahrzehnten immer schneller zunehmen – selbst wenn es den Menschen gelingen sollte, ihren Treibhausgasausstoß zu reduzieren. Dabei sei der Mensch letztlich der größte Leidtragende der von ihm selbst verursachten Krise.

Die Zahl der Menschen in Europa mit einem hohen klimabedingten Sterberisiko wäre demnach bei einer Erderwärmung um drei Grad drei Mal so hoch wie bei einer Erwärmung um 1,5 Grad, insbesondere in Zentral- und Südeuropa. Außerdem dürfte Europa dem IPCC zufolge mit mehr Hilfe-Suchenden aus Afrika und zunehmend mit von Mücken übertragenen Krankheiten wie Malaria, Dengue oder Zika konfrontiert sein.

Der Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), im Deutschen oft als Weltklimarat bezeichnet, wurde im November 1988 vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) als zwischenstaatliche Institution ins Leben gerufen, um für politische Entscheidungsträger den Stand der wissenschaftlichen Forschung zum Klimawandel zusammenzufassen mit dem Ziel, Grundlagen für wissenschaftsbasierte Entscheidungen und Handlungsorientierung zu liefern. Der Sitz des IPCC-Sekretariats befindet sich in Genf (Schweiz), 195 Regierungen sind Mitglieder des IPCC, darüber hinaus sind mehr als 120 Organisationen als Beobachter des IPCC registriert.

Die Erde hat sich seit dem vorindustriellen Zeitalter bereits um 1,1 Grad erwärmt. Laut Pariser Abkommen soll die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst aber 1,5 Grad beschränkt werden.

Bereits für eine Erwärmung um zwei Grad beschreibt der IPCC-Berichtsentwurf schwerwiegende globale Folgen für Mensch und Natur. Derzeit steuert die Erde aber sogar auf eine Erwärmung um rund drei Grad zu.

An dem Bericht der IPCC-Arbeitsgruppe II arbeiten mehr als 700 internationale Experten mit. Seine Endfassung soll nicht vor Februar und damit erst nach der UNO-Biodiversitätskonferenz im Oktober und der UNO-Klimakonferenz im November veröffentlicht werden.

Flucht & Vertreibung infolge des Klimawandels

Eine weitere, bisher unterschätze Folge des menschengemachten Klimawandels sind Flucht und Vertreibung von Menschen aus Gebieten, die überdurchschnittlich stark von der Erderhitzung betroffen sind. Mit kaum gebremster globaler Erwärmung würde das Risiko für Vertreibung laut einer aktuellen Studie bis 2100 um das Dreifache ansteigen.

Schützt man die Menschen nicht besser vor Klimawandelfolgen, werden die Lebensbedingungen von vielen weltweit so verschlechtert, dass sie aus ihren Heimatgebieten vertrieben werden. Das erklärte kürzlich ein Team Wissenschaftler:innen mit österreichischer Beteiligung. Auch deshalb müsse man der globalen Erwärmung endlich couragiert Grenzen setzen, so die Forschenden im Fachjournal „Science“.

Dürre ist nur eine von vielen Auswirkungen der Klimakrise, die Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. © apa

Der Klimawandel würde nun in vielen Gebieten auf der ganzen Erde zur systemischen, oft existenziellen Bedrohung. Dadurch steigen die Meeresspiegel, wodurch küstennahes Land teils im Wasser versinkt. Er bringt oft auch Versalzung und stärkere Erosion der Böden mit sich, was die Ernten mindert, berichten die Wissenschafter. Frischwasser wird dadurch teils zur Mangelware und die Wälder als wichtige Lebens- sowie Wirtschaftsgrundlage kränkeln. Er macht extreme Wetterereignisse häufiger und heftiger, was die Naturgefahren in vielen Gebieten steigert.

Im Vorjahr wurden 30 Millionen Menschen weltweit durch Naturkatastrophen aus ihren Heimatgebieten vertrieben, erklärte Bina Desai vom Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) in Genf (Schweiz) im Gespräch mit der APA. Viele von ihnen konnten danach wieder zurückkehren, aber mindestens sieben Millionen waren am Ende des Jahres noch in „Binnenvertreibung“, also im eigenen Land, aber nicht im Heimatgebiet. Das sind so viele Menschen wie in allen österreichischen Bundesländern ausgenommen der Hauptstadt Wien leben.

Das Ausmaß der Vertreibungen durch Klimawandelfolgen würde oft stark unterschätzt und ihre Kosten scheinen nirgendwo direkt auf, sagte Stefan Hochrainer-Stigler vom Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien: „Basierend auf Risikomanagement-Ansätzen sollte man diese Kosten in die nationalen Budgetplanungen geben, dann könnte man besser Maßnahmen planen.“

„Durch die Folgen des Klimawandels zusammen mit vielen sozialen, wirtschaftlichen und anderen Entwicklungen wird es in Zukunft viele Fluchtbewegungen von Menschen geben, die wir bisher so nicht gesehen haben“, erklärte Desai. Es gäbe zwar aus der Risikoforschung wissenschaftliche Methoden, Dinge wie die Risiken und die am meisten betroffenen Gebiete (Hotspots) zu erfassen, sie würden aber nicht auf Mobilität und Flucht angewendet. Wenn man sie dafür nutzt, könnten sie solidere Grundlagen für Entscheidungsfinder bieten.

Wo es möglich ist, sollte man die „Widerstandsfähigkeit“ (Resilienz) der Menschen gegen die vom Klimawandel hervorgerufen und verstärkten Naturkatastrophen steigern, sagte IIASA Forscher Reinhard Mechler. Mit Partnern aus der Wissenschaft, von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung sowie einer Versicherungsgesellschaft (Zurich Versicherung) arbeite man zum Beispiel in Bangladesch und Nepal daran, die Menschen mit Schutzbauten zu versorgen, Frühwarnteams aufzustellen und ihnen zu ermöglichen, finanzielle Rücklagen aufzubauen. „Wir sind mit der Flood Resilience Alliance insgesamt in 250 Gemeinden weltweit aktiv, und wollen zwei Millionen Menschen positiv unterstützen, damit sie mit den hochgradigen Klimawandelfolgen besser zurechtkommen“, erklärte er.

In vielen Fällen müsse man aber über eine „viel unfreundlichere Maßnahme“, nämlich geplante Umsiedelung reden, meint der Forscher: „Wir schlagen auch vor, dass man zusätzlich über diese unangenehmen Dinge nachdenken muss“. Solche Umsiedelungen würden natürlich viel Geld kosten und wären „riesig kompliziert“. Trotzdem müsse man Umsiedelungen von Gemeinden planen und umsetzen, wo die Lebensbedingungen sich so verschlechtert haben, dass es keinen Sinn mehr macht, dort auszuharren.

Außerdem müsse vor allem Klimaschutz betrieben werden, so Mechler: „Manches kann dadurch noch verhindert werden, auch wenn in vielen Gebieten die Dinge schon am Laufen sind und Umsiedelungen stattfinden müssen.“ Werden die Treibhausgase nicht durch ernsthaft umgesetzte Maßnahmen drastisch gesenkt, wird das Risiko für Vertreibung durch Klimawandelfolgen bis zum Ende des Jahrhunderts auf mehr als das Dreifache steigen, wie die Forscher in dem Fachartikel darlegen.

apa/red

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