Kategorie Innovation & Technologie - 31. Oktober 2015

Wenn Enzyme beim Recyceln helfen

Tulln – Müllstrudel im Meer, verhungerte Fische und Vögel, leere Plastikflaschen in Feld, Wald und Wiese, Mikroplastik in Körperpflegeprodukten und 40 Tonnen Plastik pro Jahr, die in Österreich in die Donau gelangen. Das omnipräsente (Abfall-)Produkt ist immer wieder für negative Schlagzeilen gut. Doch in Tulln an der Donau schwimmt es nicht nur vorbei: Am Austrian Center for Industrial Biotechnology (ACIB) wird an einer neuen Generation von Plastik gearbeitet.

Green Plastics nennen PhD-Studentin Karolina Härnvall und der ACIB-Gruppenleiter für Umweltbiotechnologie, Georg Gübitz, ihre Vision vom vollständig abbaubaren und CO2-neutralen Plastik. Der Begriff Bioplastik wird vielfach irreführend verwendet für Plastik, das weder vollständig abbaubar ist noch gänzlich aus nachwachsenden Rohstoffen besteht.

Auf Bausteine kommt es an

Gübitz möchte die Scheu vor dem Begriff „biologisch abbaubar“ nehmen. Viele Menschen glauben, dass diese Produkte bei Gebrauch zerfallen: „Ein Holzsessel ist auch biologisch abbaubar und bricht nicht zusammen, wenn ich mich daraufsetze.“ Und er räumt mit einem weiteren Irrtum auf: Wie hart – etwa bei Flaschen – oder weich – zum Beispiel beim Sackerl – eine Plastiksorte ist, ob sie aus Erdöl oder nachwachsenden Rohstoffen gemacht ist, hat nicht notwendigerweise etwas mit ihrer Abbaubarkeit zu tun. Es kommt viel mehr darauf an, aus welchen Einzelbausteinen, genannt Monomeren, das Plastik aufgebaut ist und welche chemischen Bindungen diese eingehen. Plastiksorten wie Polyester oder Polyamid bestehen aus zwei und mehr verschiedenen Monomeren, die zu langen Ketten verbunden sind – genannt Polymere.

An Plastikrezepturen, die sich in einem natürlichen Zerfallsprozess in Kohlendioxid und Wasser auflösen, forscht die schwedische Biotechnologin Härnvall bereits. Im Rahmen eines Projekts werden verschiedene Plastiksorten auf ihre biologische Abbaubarkeit getestet.

Gesetzliche Regelungen zur Abbaubarkeit gibt es hierzulande noch nicht, nur eine Norm hinsichtlich der Kompostierbarkeit. Die Forschungsgruppe versucht herauszufinden, was in der Natur mit den Produkten passiert.

50 Granulatproben

Bis 2016 hat Österreich zudem Zeit, eine Novelle der EU-Verpackungsrichtlinie zu Kunststofftragetaschen umzusetzen. Auch am ACIB, einem vom Verkehrs- und vom Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium kofinanzierten K2-Kompetenzzentrum, legt man darauf Wert, das Plastikaufkommen zu reduzieren: Schon lange wird hier nicht mehr aus Plastikflaschen getrunken, sondern Glasflaschen werden mit Leitungswasser und Sodamaschine befüllt.

Rund 50 Granulatproben in Form von weißem Pulver hat Härnvall schon bearbeitet. Laufend werden weitere angeliefert. Die 28-Jährige hat ihren Master in Industrieller Biotechnologie an der Königlich Technischen Hochschule in Stockholm gemacht. Für den PhD wollte sie ins Ausland, bis Juni 2016 hat sie nun Zeit, Plastikrezepturen zu screenen.

Dafür musste sie zunächst aus der ACIB-Datenbank mit 5000 beschriebenen Organismen ihre „besten fünf Mikroben“ aussuchen: „Diese Bakterien oder Pilze stehen für je ein Ökosystem oder Milieu, sind kultivierbar, wir kennen die Enzyme, die sie produzieren, und sie kommen auch in der Natur häufig vor.“ Die auserwählten Mikroben stehen für Habitate wie Wasser, Wald, Feld und Umgebung mit oder ohne Sauerstoff.

Von jeder Plastikprobe erstellt Härnvall im Labor eine „Nahaufnahme“ und eine „Totale“. Das chemische Detailbild zeigt, welche Bindungen an welchen Monomeren mit einem bestimmten Enzym aus einem Organismus getrennt werden und ob das Polymer überhaupt biologisch abbaubar ist. Wenn sich ein Enzym als tüchtiger Katalysator für die Abbauprozesse erweist, wird es im Labormaßstab von wenigen Teelöffeln gewonnen. Weiters lässt Härnvall ihre fünf Mikroorganismen unter simulierten Bedingungen auf unterschiedlichen Plastikgranulaten wachsen und sieht sich den fortschreitenden Abbau an. Im nächsten Schritt wären wieder die Produzenten am Zug, die biologisch abbaubaren Rezepturen für verschiedene Anwendungen zu testen.

Flaschen aus Flaschen

Gübitz kennt etliche Enzyme, die sich in industriellen Prozessen nützlich machen: in Waschmitteln, bei der Papier- und Kartonerzeugung, für die Textilbearbeitung oder die Entgiftung von belasteten Umweltmedien. Die Herausforderung ist immer, Labormengen in einen industriellen Maßstab und für große Anlagen umzusetzen. Im Fall der Plastikabbauenzyme wäre das aber nicht komplizierter, als Bier zu brauen. Wenn die Enzyme in größeren und daher günstigeren Mengen produziert werden, könnten sie auch das Plastikrecycling verbessern: „Selbst in vermischtem Plastikmüll könnten unterschiedliche Fraktionen mit verschiedenen Enzymen sortenrein gelöst werden. So würden etwa aus Flaschen wieder Flaschen statt Blumentöpfe oder Parkbänke“, sagt Gübitz. Bliebe auf dem Weg zu grünem Plastik nur noch umzusetzen, dass es zu 100 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen statt Erdöl gemacht wird. (Astrid Kuffner, 28.10.2015)