Kategorie Innovation & Technologie - 20. Januar 2017

Windkraft am Dach lässt das Haus vibrieren

Wien – Für viele Hausbesitzer ist es ein naheliegender Gedanke: warum nicht auf dem eigenen Dach eine Windkraftanlage installieren, die auf ökologische Weise Energie liefert und die Stromrechnung mindert? Doch so einfach ist das nicht. Das eigene Kraftwerk auf dem Dach könnte zu Ergebnissen führen, die man nicht erwartet hat, warnt Kurt Leonhartsberger, der sich am Institut für Erneuerbare Energie an der FH Technikum Wien mit Windkraft beschäftigt.

„In den vergangenen Jahren hat sich der Trend zu Kleinwindkraftanlagen auf Einfamilienhäusern verstärkt“, so der Forscher. Doch das Ergebnis ist oft enttäuschend. „Viele der Anlagen berücksichtigen nicht die tatsächlichen Strömungsverhältnisse vor Ort und liefern wenig Ertrag. Zudem können die Rotorbewegungen zu Vibrationen führen, die sich auf die Gebäudesubstanz übertragen und die Lebensqualität der Bewohner in Mitleidenschaft ziehen.“

Leonhartsberger ist Leiter des vor kurzem gestarteten Forschungsprojekts „SmallWindPower@Home“, das im Programm „Stadt der Zukunft“ der Förderagentur FFG mit Mitteln des Technologieministeriums unterstützt wird. Darin sollen Vergleichsdaten zum Betrieb von Kleinwindanlagen auf Hausdächern geschaffen und Anforderungs- und Kriterienkataloge für die Prüfung und Umsetzung von gebäudemontierten Anlagen erarbeitet werden.

Blockierte Luftströmungen

Die Situation kleiner gebäudemontierter Anlagen unterscheidet sich grundlegend von freistehenden Kleinwindkraftanlagen in ländlicher Umgebung, die frei angeströmt werden und damit von gleichmäßigen und höheren Windgeschwindigkeiten profitieren. „Die komplexen Hindernisse im Gebäudeumfeld blockieren die Luftströmungen, lenken sie um und schwächen sie. Das Ergebnis sind Verwirbelungen und starke Turbulenzen“, so der Forscher.

Dazu kommt, dass die Qualität der Kleinwindkraftanlagen am Markt sehr unterschiedlich ist. „Die Technologie der großen Windkraftanlagen wird seit 20, 30 Jahren optimiert, ohne dass sich das Grundprinzip wesentlich verändert“, erklärt der Energieexperte. „In der Kleinwindkraft haben wir dagegen hunderte Hersteller, über tausend verschiedene Modelle und eine Vielzahl verschiedener Bauformen.“

Sie drehen sich um die vertikale oder horizontale Achse, weisen eine unterschiedliche Anzahl von Rotorblättern auf und zeigen sich gerne in futuristischen Designs. Die wenigsten Hersteller können sich eine unabhängige Zertifizierung ihrer Modelle leisten.

Im Rahmen des Projekts bauen die Forscher im Energieforschungspark Lichtenegg-Pesendorf in Niederösterreich verschiedene Gebäudeaufbauten nach und versehen sie mit unterschiedlichen Typen von Kleinwindenergieanlagen – etwa mit Helix-Windturbinen oder klassischen Horizontalläufern.

Schädlich für Mensch und Gebäude

Die Testgebäude bestehen aus Fertigbeton. „Der Baustoff liefert ein ungefiltertes Bild der Vibrationen, die auf das Gebäude übergehen. Holzdachstühle etwa würden dagegen die Bewegungen tendenziell absorbieren“, erklärt der Windkraftexperte.

Die Vibrationen können nicht nur die Gebäudesubstanz schädigen, sondern sich auch negativ auf den menschlichen Organismus auswirken – selbst wenn sie gar nicht bewusst wahrgenommen werden. Unwohlsein oder Schlaflosigkeit können Folgen sein. In London sei vor kurzem der Nachtbetrieb einer Anlage auf einem Hochhaus unterbunden worden, weil die Bewohner mit Schlafproblemen kämpften, gibt Leonhartsberger ein Beispiel.

Die Testanlage in Lichtenegg wird über Monate hinweg Daten zu Strömungsverhältnissen, Ertrag, Schallemissionen und Übertragung von Vibrationen liefern. Der aus realen Umgebungsbedingungen resultierende Datensatz ergänzt bisherige Untersuchungen, die auf Simulationen und Windkanalmessungen beschränkt waren. (pum, 20.1.2017)