Kategorie Innovation & Technologie - 12. November 2015
Wintersport: Leise rieselt gar nichts mehr
Innsbruck – Es ist ein Bild wie aus der Piefke-Saga: Über eine schmutzige Wiese wurden zwei lange weiße Schneestreifen gezogen. Auf den schmalen Loipen sieht man Langläufer, um sie herum ist alles braun-grün. Die Jahreszeiten verschwimmen vor dem Auge des Betrachters. „Neulich in Tirol. Winterzauber“, war die ironische Anmerkung des Alpenvereins, als er das Foto kürzlich auf Facebook teilte. Die Kommentatoren zeigen sich einhellig schockiert: „Da fehlen einem die Worte“, schreibt eine Frau. „Gibt es jetzt schon Schneeteppiche zum Ausrollen?“, fragt eine andere.
Ihr kann man eine klare Antwort geben: ja, längst – oder zumindest so etwas Ähnliches. Das Foto des Alpenvereins wurde im Tiroler Seefeld aufgenommen. Der Schnee der dortigen Loipen ist quasi von gestern. Er wurde vergangenen Winter gesammelt und in Depots gelagert. Nun wird er bei Bedarf wieder verstreut. „Snow-Farming“ nennt man das.
Aber auch sonst ist unser Winterzauber kein alleiniges Wunder der Natur. Offizielle und verlässliche Zahlen gibt es nicht, aber mehrere befragte, mit dem Thema vertraute Wissenschafter, kommen zu demselben Schätzungsergebnis: Mehr als siebzig Prozent unserer Pistenkilometer bestehen inzwischen aus Kunstschnee. So unbeliebt er also sein mag, die meisten Menschen haben sich längst an ihn gewöhnt.
Ökologisch betrachtet ist die Produktion der weißen Flocken ein schmutziges Geschäft. Michael Bacher, der wissenschaftliche Leiter des Projekts Neuschnee, hat nachgerechnet: „Österreichs Schneekanonen benötigen im Jahr fast halb so viel Wasser wie die ganze Stadt Wien. In Tirol wird wohl ungefähr die gleiche Menge für Trinkwasser wie für Kunstschnee benötigt.“ Der Physiker Ronald Stärz, Lektor am Management Center Innsbruck (MCI), hat einen anderen Vergleich parat: „Der Stromverbrauch einer großen Schneekanone ist in etwa so hoch wie der eines Wohnhauses mit vier Parteien“, sagt er.
Bacher wie auch Stärz forschen an neuen Methoden, Schnee künstlich rieseln zu lassen. Beide haben Systeme entwickelt, durch die die Produktion effizienter wird. Bloß: Darum gehe es den meisten Seilbahnbetreibern eigentlich gar nicht. „Die Ressource Wasser ist in Österreich so großzügig vorhanden, dass das noch fast kein Thema ist“, sagt Bacher. Was der Industrie derzeit ein großes Anliegen sei: Die Schneekanonen sind zu laut. Nachts, wenn die Touristen außer Sichtweite in ihren Hotels liegen, beschallen die gigantischen Eismaschinen das ganze Tal – zum Ärger vieler Anwohner.
Rätselhafte Eiswerdung
Das größte Problem am Kunstschnee ist aber das wahrscheinlich nachvollziehbarste: Er schmilzt, wenn ihm zu warm wird. Das Prinzip einer gewöhnlichen Schneekanone ist relativ simpel. In ihr finden sich unterschiedliche Düsen – solche, die Eiskeime spucken und andere, die Wasser versprühen. Treffen sich Tropfen und Keim, entsteht Eis. Um diesen Zustand zu halten, muss allerdings die Außentemperatur stimmen. Es sollte mindestens minus drei Grad Celsius haben, sonst landet auf der Piste bloß nasser Schneematsch – der noch dazu zu einer Eisschicht wird, sollte es später kälter werden.
Stärz und sein MCI-Kollege Thomas Obholzer haben nun eine Methode entwickelt, die der Wissenschaft Rätsel aufgibt. Sie können Schnee produzieren, der selbst bei eineinhalb Grad Außentemperatur noch fest bleibt – der Vorgang ist reproduzierbar, was da genau passiert, lässt sich derzeit aber noch nicht erklären.
Ein Erklärungsansatz: Vereinfacht gesprochen werden in der Schneemaschine des MCI Wassermoleküle umorientiert. In einem elektrischen Feld setzen sie sich neu zusammen – praktischerweise genauso, wie sie es auch täten, würden sie frieren. Ist die Umgebung kalt genug, kommt also Eis aus der Kanone.
Bachers Technik klingt fast noch spektakulärer. Er hat gemeinsam mit Teams der Universität für Bodenkultur und der Technischen Universität Wien einen Ballon entwickelt, in dem sich eine künstliche Wolke bildet, aus der es schneit – und zwar nicht wie aus gewöhnlichen Schneekanonen Eis, sondern richtig flockenartige Kristalle, Pulverschnee. Derzeit steht im Tiroler Obergurgl ein stationäres „Freiluftlabor“. In zwei Jahren soll die Wolke dann am Markt verfügbar sein und in Skigebieten für Neuschnee sorgen können.
In der Ballonwolke werden aus einem Liter Wasser bis zu 15 Liter Schnee erzeugt. In einer herkömmlichen Schneekanone ist das Verhältnis circa eins zu zwei – wobei man auch das nicht genau weiß, weil niemand gerne darüber spricht. Offiziell gehen 15 Prozent des eingesetzten Wassers in der Produktion verloren. „Ich halte eher dreißig Prozent Verlust für realistisch“, sagt Bacher.
Warum trotzdem fast alle Gebiete künstlich beschneien? Die sogenannte „Schneegarantie“ bei jedem Wetter sichert auch Touristen. Darüber hinaus eignet sich Kunstschnee besser zum Aufbau harter Schneeschichten, über die täglich problemlos tausende Wintersportler brettern können. Immer mehr Regionen räumen aus diesem Grund den natürlichen Schnee sogar weg und schalten lieber die Kanonen ein.
Nicht mehr lange, geht es nach dem Alpenforscher Werner Bätzing: „Skigebiete können die technischen Möglichkeiten noch ausreizen, die Frage ist, wen man damit künftig erreichen wird.“ Die hohen Kosten für Kunstschnee würden bereits jetzt dafür sorgen, dass kleine und mittlere Regionen nur noch durch Subventionen überleben könnten.
Ende des Volkssports
„In zehn bis zwanzig Jahren hat sich Skifahren als Volkssport erledigt. Es wird den meisten zu teuer sein“, sagt Bätzing. Hinzu kämen die klimatischen Veränderungen und der demografische Wandel: Die Bevölkerung überaltert, immer weniger Kinder lernen Ski fahren, Migranten und Flüchtlinge sind selten Alpinsportler. „Wir brauchen keine effizienteren Schneekanonen, sondern eine neue Kultur des Wintertourismus, der sich wieder auf die natürlichen Qualitäten des Alpenraums bezieht.“ (Katharina Mittelstaedt, 11.11.2015)