Kategorie Informationen & Tipps - 25. Oktober 2018
Zonen & Umstellung: Eine kurze Geschichte der Zeit
Vorstellen? Zurückstellen? Am Sonntag endet in allen EU-Mitgliedstaaten sowie weiteren Nachbarländern die Sommerzeit, die Uhren werden in der Nacht von Samstag auf Sonntag um eine Stunde zurückgestellt. Zum vorletzten oder gar letzten Mal? Im September hatte die EU-Kommission einen Vorschlag zur Abschaffung der jahreszeitlichen Zeitumstellung vorgelegt, der auf die Ergebnisse einer europaweiten Umfrage zurückging.
Jedes Jahr dasselbe Prozedere. Doch so normal ist auch dieses nicht. Wie kam es eigentlich dazu, dass die Uhr im Jahreslauf immer wieder umgestellt werden musste und was führte überhaupt dazu, dass die Welt in Zeitzonen eingeteilt wurde?
Eisenbahnzeitalter
Auskunft auf die Frage Wie spät es ist? war nicht immer einfach zu beantworten und richtete sich die längste Zeit explizit nach dem Standort der Fragenden unter der Sonne. Solange der Mensch gemächlich unterwegs war orientierte er sich am Stand dieser. Doch mit dem Vormarsch der Eisenbahnen sorgte diese Laissez-fair Regelung für reichlich Chaos. 1883 kam es durch die Bahngesellschaften der USA zur Übernahme einer revolutionäre Idee: Zeitzonen. Die Eisenbahn veränderte Zeit und Raum.
Wie war das, als man sich mit eher groben Zeitgefühl nach der Sonne richtete? Die Sonnenzeit ist vom Ort der Beobachtung abhängig. Stand sie am Ort A am höchsten, dann war es Mittag, 12 Uhr. Ging man von diesem Ort nach Westen, dann kam man nach Ort B. Und natürlich war es in Ort B ein paar Minuten später Mittag als in A, weil ja die Sonne auf ihrem Lauf von Osten nach Westen, also nach B, ein paar Minuten später am höchsten stand als in Ort A. Aber das störte niemanden. Und wenn die Menschen doch reisten, dann mit Tempi und auf Strecken, bei dem diese winzigen Zeitdifferenzen nicht auffielen.
Das änderte sich schlagartig, als Mitte des 19. Jahrhunderts die Menschen anfingen, per Eisenbahn zwischen Städten hin- und herzufahren. Mit einer nahezu unlösbaren Aufgabe sahen sich die Eisenbahngesellschaften konfrontiert und die hieß Fahrpläne. Wer in A zustieg, wollte gerne wissen, wie lange die Fahrt nach B dauerte und um welche Uhrzeit er denn dort ankommen würde.
Uhrzeiten passten aber partout nicht zusammen. Und so führte jede Eisenbahnlinie ihre eigene Zeit ein. Im großen Land der Eisenbahnen, den USA, fuhren die Züge der Baltimore & Ohio Company nach der Ortszeit von Baltimore, wenn sie aus Baltimore kamen und nach der von Columbus, wenn sie innerhalb des Staates Ohio unterwegs waren.
So kam es, dass Züge, die von der Ostküste beispielsweise in Chicago eintrafen, mit einer Zeit sechs Minuten früher als die der Ostküste und 19 Minuten früher als Chicagoer Ortszeit angezeigt wurden. Wurde ein Bahnhof von mehreren Eisenbahnlinien angefahren, musste er mehrere Uhren haben. Pittsburgh beispielsweise wurde von sechs verschiedenen Linien angefahren – im Bahnhof standen entsprechend sechs Uhren mit den jeweiligen Ortszeiten.
Revolution der Zeitzonen
Der kanadische Eisenbahningenieur Sandford Fleming erkannte das Problem, und er hatte dafür auch eine Lösung parat. Fleming schlug vor, die Welt in 24 gleich große Sektoren aufzuteilen, die von der Sonne in jeweils einer Stunde durchlaufen werden. Das Ganze ergibt weltweit 24 Zeitsektoren, innerhalb eines jeden Sektors werden die Ortszeiten einander angeglichen, und alle Uhren zeigen eine einheitliche Standardzeit an.
Am 18. November 1883, griffen die großen Eisenbahngesellschaften der USA Flemings Vorschlag auf und richteten in ihrem Land vier große Zeitzonen ein. Sandford Fleming gilt seitdem als der Vater der Zeitzonen.
Als Revolution bezeichneten zeitgenössische Medien diese Umstellung: „Fünfundfünfzig Millionen Menschen werden geboren, essen, schlafen, heiraten und sterben nach einer Zeit, die nicht die Sonne, sondern die Eisenbahn ihnen vorschreibt.“
Was die Eisenbahnen 1883 erfolgreich begonnen, holte die amerikanische Regierung einige Jahre später per Gesetz für das ganze Land nach. Und auch die restliche Welt reagierte und mit der Einführung der Telegrafie und dem Bau längerer Eisenbahnstrecken wurde für deren Betrieb auch in Europa eine einheitliche Zeitangabe erforderlich, die entlang der gesamten Infrastruktur galt.
Hierfür wählte man oft die Ortszeit einer größeren Stadt an der Strecke oder auch die Ortszeit der Landeshauptstadt. Solche im Gebiet einer Eisenbahngesellschaft oder auch im ganzen Land einheitlichen Zeiten wurden Standardzeit genannt. Beispiele sind die Berliner, Hamburger, Münchener, Prager, Berner und Genfer Zeit. Die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingeführte Telegrafie ermöglichte es, die Standardzeit an alle Bahnhöfe zur Steuerung der Bahnhofsuhren zu übermitteln.
Anders als in den meisten anderen Ländern wurde in Österreich Mitte des 19. Jahrhunderts nicht die Zeit der Hauptstadt Wien sondern die Prager Zeit verwendet. Im Eisenbahnbereich wurden jedoch neben der Prager, je nach Strecke, die Lindauer, Münchner, Budapester oder Lemberger Zeit verwendet. Seit dem 1. August 1872 bildete der Wiener Meridian die Grundlage für die Zeitbestimmung des Zugverkehrs. Die Wiener Mittagszeit wurde von der Universitätssternwarte an die Wiener Bahnhöfe telegrafisch übermittelt, von denen das Mittagszeichen an die Hinterbahnen telegrafisch weitergegeben wurde.
Mitteleuropäische Sommerzeit
Die Mitteleuropäische Zeit MEZ wurde im österreichischen Eisenbahn- und Telegraphendienst 1891 und in Wien durch Beschluss des Gemeinderats 1910 eingeführt. Eine gesetzliche Verordnung wie in Deutschland erfolgte nicht. Für das damalige Österreich, die riesige Doppelmonarchie Österreich-Ungarn keine schlechte Lösung. Da der Unterschied zur Prager Zeit weniger als zwei Minuten betrug, war die Umstellung, zumindest für die Hauptstädter, nicht sehr groß.
Der Ausgangspunkt für Pläne einer Sommerzeit liegt ebenfalls in den USA: Benjamin Franklin erklärte bereits 1784 im Journal de Paris, dass das ausgedehntere Nachtleben Energie durch künstliches Licht vergeude. Dagegen helfe früheres Aufstehen und Zubettgehen. Auch andere, meist angelsächsische Wissenschaftler beschäftigten sich mit solcherlei Vorschlägen doch es sollten mehr als hundert Jahre vergehen, bis die Idee, einer staatlich verordneten Sommerzeit Umsetzung fand.
Die Zeitumstellung wurde erstmals am 30. April 1916 im Deutschen Reich sowie in Österreich-Ungarn eingeführt. Dadurch versprach man sich Energieeinsparungen bei der künstlichen Beleuchtung an langen Sommerabenden. Als Reaktion darauf führten zahlreiche andere europäische Länder darunter auch Großbritannien und Frankreich noch im selben Jahr die Sommerzeit ein. In Österreich galt sie zunächst bis 1920.
Ein zweiter – auf Dauer erfolgloser – Versuch wurde in den Jahren 1940 bis 1948 unternommen.
Regelung auf EU-Ebene fixiert
Erst 1973 wurde die Sommerzeit in Europa anlässlich der Ölkrise und mit dem Hintergrund, Energie zu sparen, wieder en vogue. Mit der Zeitverschiebung sollte eine Stunde Tageslicht für Unternehmen und Haushalte gewonnen werden. Frankreich machte damals den Anfang. Österreich beschloss die Einführung erst 1979 wegen verwaltungstechnischer Probleme und weil man eine verkehrstechnische Harmonisierung mit der Schweiz und Deutschland wünschte. Diese beiden Länder führten die Sommerzeit erst 1980 ein.
Die heutige Regelung wurde vom EU-Parlament fix festgelegt: Demnach beginnt die Sommerzeit in jedem Mitgliedsland am letzten Sonntag im März um 2.00 Uhr MEZ und endet am letzten Sonntag im Oktober um 3.00 Uhr MESZ.
Abschaffung?
Nun ist aber eine kontinentale Diskussion zur Rücknahme der Zeitumstellung in vollem Gange. Die Debatte um die zweimalige Umstellung der Uhren beschäftigt seitdem Europäerinnen und Europäer und machte auch nicht vor der EU-Kommsion halt, die ein baldiges Ende der Zeitumstellung in Erwägung zog.
An der Befragung hatten sich rund 4,6 Millionen Menschen beteiligt, etwa 80 Prozent von ihnen hatten sich für die Abschaffung der Zeitumstellung ausgesprochen. Allerdings hatten Forscher das Resultat kritisiert. Die Befragung sei nicht repräsentativ gewesen und es sei davon auszugehen, dass vor allem Leute, denen das Thema wichtig ist, mitgemacht haben.
Die unverbindliche Befragung zeigte, dass eine Mehrheit der Europäer und Europäerinnen sich für eine Abschaffung der Zeitumstellung auf Sommerzeit und zurück ausgesprochen hat. Auch die EU-Kommission hat bereits zugesichert, die zweimal jährlich stattfindende Zeitumstellung abzuschaffen. Die Kommission werde einen entsprechenden Gesetzesvorschlag vorlegen, kündigte die zuständige Verkehrskommissarin Violeta Bulc an.
Sollte sich die EU-Kommission mit ihren Vorschlägen jedoch durchsetzen, bliebe es jedem einzelnen Land überlassen, ob es dauerhaft die Sommer- oder die Winterzeit einführt. Theoretisch möglich wäre dann, dass sich Österreich anders entscheidet als Nachbarn wie Deutschland oder Tschechien.
Thema auch beim informellen Ministerrat in Graz
Beschäftigen wird dieses Thema auch die EU-Verkehrsminister. Zum Auftakt des zweitägigen informellen Ministerrates in Graz, werden sie sich am Montagvormittag mit der Zeitumstellung befassen. EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc hatte zuvor Bundesminister Norbert Hofer gebeten, das Thema im Rahmen der österreichischen Ratspräsidentschaft zu behandeln.
„Im Rahmen vieler Rats-Arbeitssitzungen in den letzten Wochen und Monaten auf Beamtenebene wurde die Stimmung unter den EU-Mitgliedsstaaten ausgelotet. Die bisherigen Rückmeldungen der Mitgliedsstaaten lassen noch keine klare Tendenz in Richtung Normalzeit oder Sommerzeit erkennen. Das Wichtigste ist, dass wir keinen Zeit-Fleckerlteppich bekommen“, fasst Bundesminister Norbert Hofer die Voraussetzungen vor dem Treffen in Graz zusammen.
Einen Zeit-Fleckerlteppich will auch Brüssel unbedingt vermeiden. Für diesen Fall fürchtet die EU-Kommission ansonsten negative Folgen für den Waren- und Dienstleistungsverkehr im EU-Binnenmarkt.
Lässt man die Überseegebiete außen vor, gibt es in der EU drei Zeitzonen: In Irland, Portugal und dem Vereinigten Königreich gilt die mittlere Greenwich-Zeit, in 17 EU-Staaten – darunter Österreich – die mitteleuropäische Zeit (MEZ), die eine Stunde dahinterliegt. In acht weiteren Ländern gilt die osteuropäische Zeit, dort ist es noch eine Stunde später.
Vorstellen, wie das gewesen ist, als man sich mit der Uhrzeit nach der Sonne gerichtet hat, kann sich sowieso niemand mehr. Andere Zeiten eben.