1. August 2016

Zwischen „Awareness“ und „Sciencetainment“


APA/APA/OTS (Lunghammer)

Öffentlichkeit und Wissenschaft – ein fragiles Verhältnis, das sich im Lauf der Zeit jedoch immer mehr verbessert und verfeinert hat. Das ist zumindest der Tenor in der Community, die wir nach ihrer persönlichen Wahrnehmung zu diesem Thema befragt haben. Es zeigt sich: Neue Formen und Formate der Wissenschaftskommunikation werden zwar vom „Establishment“ mitunter skeptisch beäugt, der Wandel scheint insgesamt dennoch unaufhaltsam.

Frage 1 Hat sich Ihrer Meinung nach das öffentliche Interesse an Wissenschaft und Forschung in den letzten fünf bis zehn Jahren geändert (allgemein bzw. in Ihrem persönlichen Tätigkeitsbereich)?

Frage 2 Wie hat sich die Kommunikation über Wissenschaft und Forschung verändert (allgemein bzw. in Ihrem persönlichen Tätigkeitsbereich)?

Hannes Androsch, Vorsitzender des Rates für Forschung und Technologieentwicklung (RFT) sowie Aufsichtsratschef des Austrian Institute of Technology (AIT)

Frage 1: Die Statistiken weisen für Österreich leider noch immer ein geringes Interesse an Wissenschaft und Forschung auf. Tatsache ist aber auch, dass man bei Großveranstaltungen wie der Langen Nacht der Forschung sowohl bei den Besucherinnen und Besuchern als auch bei den Forschenden sehr großes Interesse und echte Begeisterung beobachten kann. Aus Sicht des Rates ist das sehr erfreulich. Jede Maßnahme, die die Vielfalt von Wissenschaft und Forschung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht, ist zu begrüßen und soll breite Unterstützung erfahren. Leider sind in den Forschungseinrichtungen zu wenig Mittel für den Zweck der Öffentlichkeitsarbeit verfügbar, so dass es selten zu weithin sichtbaren Aktivitäten mit entsprechender Wirksamkeit für eine breite Öffentlichkeit kommt.

Frage 2: Die jüngeren Generationen sind offener und experimentierfreudiger, wenn es um die Vermittlung des eigenen Fachgebiets geht. Verschiedene Formate des „Sciencetainments“, wie etwa der Science Slam, erfreuen sich großer Beliebtheit beim Publikum, werden aber bei den etablierten, meist älteren Vertreterinnen und Vertretern der Professorenschaft häufig als unwissenschaftlich und nicht bedeutsam abgetan. Hier ist allerdings ein starker Wandel zu beobachten, wie viele neue Formate der Wissenschaftskommunikation zeigen, die auch über alternative Verbreitungswege wie Social Media stattfinden. Eigene Anreizsysteme für Public-Outreach-Aktivitäten wären interessant, denn populärwissenschaftliches Arbeiten kann nicht zur Beurteilung der wissenschaftlichen Tätigkeiten herangezogen werden.

Renée Schroeder, Universitätsprofessorin am Department für Biochemie der Max F. Perutz Laboratories

Frage 1: Ja, auf jeden Fall! Der Wissenschaftsjournalismus hat eine sehr wichtige „aufklärende“ Funktion, um neue (und alte) wissenschaftliche Inhalte in der Bevölkerung zu verbreiten. Sozusagen eine Kraft gegen die „Antiaufklärung“. Die Anzahl von Artikeln, Sendungen und Büchern hat – nach meiner persönlichen Wahrnehmung – zugenommen. Ich merke das stark durch die Fragen der Menschen bei meinen Lesungen und Vorträgen.

Frage 2: Es gibt heute ein ungleich größeres Spektrum an unterschiedlichen Events, seien es Radiosendungen oder die Lange Nacht der Forschung, das Forschungsfest usw. Es ist wieder „cool“, viel zu wissen.

Anton Zeilinger, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW)

Frage 1: Das Interesse der Öffentlichkeit an Wissenschaft ist ungebrochen, denn neues Wissen aus der Forschung fasziniert die Menschen. Das erlebe ich, etwa bei den gut besuchten Veranstaltungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, immer wieder. Zudem hat sich die Wissenschaft verstärkt gegenüber der Gesellschaft geöffnet. Den viel zitierten wissenschaftlichen Elfenbeinturm gibt es längst nicht mehr.

Frage 2: Forschung muss in der Öffentlichkeit ankommen. Dafür braucht es profunden Wissenschaftsjournalismus und professionelle Öffentlichkeitsarbeit. Die Tendenz, Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsmarketing zu vermischen, ist aber kritisch zu betrachten. Im Vordergrund muss die sachliche Information stehen.

Harald Loos, Leiter Siemens Corporate Technology in Österreich

Frage 1: Das Interesse an Wissenschaft und Forschung hat in den letzten Jahren enorm zugenommen, da neue Innovationsmodelle eine bis dato nie gekannte Vernetzung ermöglichen. Crowdsourcing von Ideen und sogenannte Hackathons gehören bei Siemens genauso zum Alltag wie die aktive Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungsgesellschaften. Es ist uns ein riesiges Anliegen, neuartige Möglichkeiten der Forschungskooperation und Innovationen zu forcieren und zu kommunizieren. Das ermöglicht uns, unseren Innovationsprozess nach außen zu öffnen und uns mit unseren Kunden und externen Forschungspartnern auszutauschen und zu vernetzen.

Frage 2: Neben dem technischen Wissenstransfer und dem Schaffen von Awareness für Innovationen ist für uns vor allem die gezielte Nachwuchsförderung wichtig. Die Heranführung des Nachwuchses an Forschung und Innovation ist ein Schlüssel für jede Wissensgesellschaft. Daher unterstützen wir unterschiedliche Formate wie beispielsweise die OMV-Initiative „Österreich sucht die Technikqueens“, welche bei jungen Frauen das Interesse an einer Karriere in der Technik wecken will, bis hin zu Seminaren, die unsere Forscherinnen und Forscher an der Universität abhalten.

Veronika Schallhart, Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation (interimistisch), Universität Wien

Frage 1: Die Universität Wien hat in den letzten Jahren einiges unternommen, um den Elfenbeinturm zu verlassen. Sei es durch die KinderuniWien, die Ausstellungen und Veranstaltungen rund um das 650-Jahr-Jubiläum oder durch die aktuell laufende „Semesterfrage“, zu der die interessierte Öffentlichkeit zum Mitdiskutieren eingeladen ist. Diese Aktivitäten zeigen Wirkung, denn auch in meinem privaten Umfeld nehme ich reges Interesse an wissenschaftlichen Themen wahr.

Frage 2: Die Kommunikation ist schneller und vielseitiger geworden. Schneller, weil das Web 2.0 mit all seinen Kanälen wie Facebook und Twitter Nachrichten direkt an abertausende Nutzerinnen und Nutzer liefert, und vielseitiger, weil Kommunikation crossmedial passiert: Nicht nur Text, sondern Fotos, Videos, Grafiken, weiterführende Links und vieles mehr gehören heute zu einer modernen Berichterstattung über Wissenschaft und Forschung.

Walter Schönthaler, Leiter Konzern-Marketing & Kommunikation der TÜV AUSTRIA Unternehmensgruppe

Frage 1: Ja – das Thema hat während der letzten Jahre in den Medien signifikant an Aufmerksamkeit gewonnen, ist aber laut Global Entrepreneurship Monitor (GEM) im internationalen Vergleich im Hinblick auf die mediale Berichterstattung noch immer unterrepräsentiert.

Frage 2: In Wissenschaft und Forschung sollte Effektivität (= das Richtige zu tun) Priorität vor Effizienz haben (= es richtig zu tun). Manchmal entsteht allerdings der Eindruck, dass es oft umgekehrt ist. „There is nothing so useless as doing efficiently that which should not be done at all. / Es gibt nichts Sinnloseres, als etwas mit hoher Effizienz zu tun, was überhaupt nicht getan werden sollte.“ (Peter Drucker)

Henrietta Egerth und Klaus Pseiner, Geschäftsführer der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG)

Frage 1: In den letzten eineinhalb Jahrzehnten zeigt sich ein langsamer, aber deutlicher Wandel. Dazu haben verschiedene Faktoren beigetragen: Die technologische Entwicklung und die Diffusion von Technologien in Gesellschaft, Wirtschaft und Alltag auf der einen Seite, aber auch eine Fülle von Initiativen und Anstrengungen und eine fortschreitende Professionalisierung im Bereich der Wissenschaftskommunikation auf der anderen Seite. Natürlich erreichen viele Aktivitäten im Bereich der Wissenschaftskommunikation keine Breitenwirkung; die Summe aller Aktivitäten kann aber sehr wohl einen Einfluss auf die öffentliche Meinung ausüben.

Frage 2: Gerade die massenmediale Kommunikation hat sich durch den technologischen Wandel und wirtschaftliche Entwicklungen massiv verändert. Das betrifft zum einen die neuen elektronischen Medien, zum anderen aber auch den stärkeren Wettbewerbsdruck auf die klassischen Print- oder elektronischen Medien. Wissenschaftsberichterstattung ist in den meisten Publikumsmedien kein Umsatzbringer, das bedeutet, sie eignet sich nur beschränkt als redaktionelles Umfeld für Inserate und ist daher stärker als andere Themen auf Medienkooperationen (die letztlich zum großen Teil aus öffentlichen Geldern finanziert werden) angewiesen. Die Digitalisierung wiederum eröffnet zwar für die Wissenschaftskommunikation neue Möglichkeiten – sie erfordert aber auch einen neuen Umgang mit dem Thema, eine neue Form der Kommunikation und folgt eigenen Regeln.

Michael Hlava, Pressesprecher des Austrian Institute of Technology (AIT)

Frage 1: Medienpräsenz war „gestern“ vorwiegend in Special-Interest-Formaten wahrnehmbar, sprich in der klassischen Forschungsbeilage im Print oder der Wissenschaftssendung im Fernsehen. Heute wandern wissenschaftliche Inhalte quer durch alle Ressorts und Formate. Diese Entwicklung begrüßen wir sehr. Wir wollen mit unserer Technologie- und Innovationskommunikation etwa auch in der Wirtschaftsberichterstattung punkten. Die Herausforderung lautet, die Rezipienten von der Ansicht „Wissenschaft ist sehr wichtig, aber viel zu kompliziert; deshalb betrifft und berührt es mich nicht so sehr“, hin zu „Wissenschaft ist wichtig, sehr bedeutend und ist mir ein Anliegen – I care!“ zu bringen.

Frage 2: Das AIT Austrian Institute of Technology ist ein Wissenskonzern. Die große Bedeutung von Innovationen für Unternehmen und die Volkswirtschaft ist allgegenwärtig. Dabei nimmt die Kommunikation einen immer wichtigeren Stellenwert ein. So gilt es, die kommunikative Vermittlung von oftmals komplexen Neuerungen an Mitarbeiter, Kunden, Medien und weitere Bezugsgruppen in allen Phasen des Innovationsprozesses systematisch zu berücksichtigen. Sie eröffnet im Zeitalter offener Innovationsprozesse und digitaler Vernetzung auch erhebliche Chancen bei der Etablierung einer Innovationskultur, die Unternehmenswert und Standortqualität steigern hilft. Dies macht Innovationskommunikation zur strategischen Führungsaufgabe, weil sie zur Wertschöpfung beiträgt (basierend auf Stephan Fink und Boris Mackrodt, „Innovations- und Technologiekommunikation: Vermittlung und Positionierung komplexer Themen“, in Ansgar Zerfaß und Manfred Piwinger (Hrsg.), Handbuch Unternehmenskommunikation, 2. Auflage, Springer Verlag).

Klement Tockner, Präsident des Wissenschaftsfonds (FWF)

Frage 1: Wissensbasierte Lösungen im Umgang mit den großen gesellschaftlichen Herausforderungen – Klimawandel, rapider Rückgang der biologischen Vielfalt, demographischer Wandel oder die Digitalisierung der Welt – sind verstärkt gefordert. Und das trotz massiven Widerstands einzelner Interessengruppen. So haben etwa unsere eigenen Forschungsergebnisse zu den Auswirkungen der künstlichen Beleuchtung in der Nacht auf Mensch und Natur („Verlust der Nacht“) zu einer massiven Sensibilisierung der Bevölkerung geführt; was wiederum die Entwicklung innovativer Beleuchtungskonzepte stimuliert.

Frage 2: Wissenschaft und Forschung werden zunehmend als grundlegendes Gemeingut wahrgenommen – dank neuer Medien, partizipatorischer Ansätze in der Wissensgewinnung und -vermittlung wie etwa Citizen Science und zunehmend freien Zugangs zu den Daten und Informationen, die durch öffentlich finanzierte Forschung erhoben werden. Es ist die soziale, ökonomische und wissenschaftliche Vielfalt, die ein präventives Regulativ bildet und als Innovationsmotor in einer sich ungebremst entwickelnden digitalen Gesellschaft dient. Insbesondere eine unabhängige und zweckfreie Grundlagenforschung ermöglicht es uns, unkonventionelle Wege einzuschlagen, um eine nachhaltige Transformation unserer Gesellschaft zu unterstützen.

Service: Diese Meldung ist Teil des umfangreichen Dossiers „Was Österreich über Forschung denkt“, das auf APA-Science unter http://science.apa.at/dossier/kommunikation erschienen ist.