Kategorie Klima- & Umweltschutz - 26. April 2021

35 Jahre nach Tschernobyl: Breiter Anti-Atom-Konsens in Österreich

Zukunft der Stromproduktion liegt in den Erneuerbaren – Infooffensive des BMK zu Mythen um die Atomkraft gestartet

Das verheerende Unglück am 26. April 1986 in Tschernobyl war der bisher schwerste Reaktorunfall in der zivilen Nutzung der Kernenergie. Ein Unfall dieser Größenordnung schien bis zum damaligen Zeitpunkt kaum denkbar. Der vierte Reaktorblock wurde vollständig zerstört, große Mengen radioaktiver Stoffe verursachten enorme gesundheitliche und ökologische Schäden, von denen auch Österreich nicht verschont blieb.

Das Kernkraftwerk von Tschernobyl – 35 Jahre nach der Reaktorkatastrophe © Pixabay / Денис Резник

Wegen des vergleichsweise geringen CO2-Ausstoßes bekommt die Kernenergie heute wieder häufiger einen salonfähigen Anstrich, wird in Debatten zum Klimawandel mitunter als sauber, umweltfreundlich und gar grün dargestellt. Eine Rechnung, die in ihrer Gesamtheit betrachtet nicht aufgehen kann. Atomkraft ist kein Beitrag zum Klimaschutz und mit viel zu vielen Risiken und Unbekannten behaftet, um aktuellen Herausforderungen zu begegnen. In Österreich besteht ein breiter parteiübergreifender Anti-Atom-Konsens, auch die Bevölkerung misst diesem Thema eine hohe Relevanz bei – mit überwiegend atomkritischer Einstellung.

„Der verheerende Atomunfall von Tschernobyl vor 35 Jahren hat uns ganz klar vor Augen geführt, wie unberechenbar und gefährlich Atomkraft ist. Wir können die Auswirkungen nach wie vor in Österreich nachweisen. Atomkraft ist teuer und veraltet. Darum werde ich mich weiterhin auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass sie langfristig der Vergangenheit angehört“, so Klimaschutzministerin Leonore Gewessler dazu:

Österreich besonders betroffen

Das Ausmaß der Katastrophe von Tschernobyl war außerordentlich. Im vierten Block des sowjetischen Kraftwerks kam es infolge ungenügender Sicherheitsstandards, schwerwiegender Konstruktionsmängel und Fehlbedienung zur Kernschmelze. Hunderttausende Menschen mussten aus der unmittelbaren Umgebung evakuiert oder umgesiedelt werden, bis zu 600.000 Personen wurden als Liquidatoren für die Aufräumungsarbeiten herangezogen.

Zwar waren die Ukraine, Weißrussland und Russland am stärksten vom radioaktiven Niederschlag betroffen, aber nicht nur die nähere Umgebung von Tschernobyl, auch über anderen europäischen Staaten, die hunderte und teilweise sogar über tausend Kilometer vom Unfallort entfernt liegen, ging der so genannte Fallout nieder. So auch in Österreich, das zu den am stärksten betroffenen westeuropäischen Ländern zählte. Während des Durchzuges der radioaktiven Luftmassen wurde ein Großteil des Bundesgebietes kontaminiert. Trotz der großen Entfernung vom Unfallort waren in Teilen Österreichs Schutzmaßnahmen im Lebensmittelbereich und in der Landwirtschaft erforderlich. Neben dem kurzlebigen Iod-131, das längst zerfallen ist, wurde vor allem Cäsium-137 deponiert.

Wichtige Änderungen nach Tschernobyl

Die Erfahrungen aus Tschernobyl machten zudem deutlich, dass grenzübergreifende Zusammenarbeit im nuklearen Notfallmanagement zwingend notwendig ist. Noch im selben Jahr wurden internationale Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen und über Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen oder strahlungsbedingten Notfällen abgeschlossen. 1987 traf der Rat der EU die Entscheidung über den beschleunigten Informationsaustausch im Falle eines nuklearen Unfalls oder einer anderen radiologischen Notstandssituation. Basierend auf diesen internationalen Vereinbarungen wurden Alarmierungs- und Informationssysteme bei der IAEO und auf EU-Ebene eingerichtet.

Die aktuelle Bodenbelastung durch Cäsium-137. © Umweltbundesamt

Österreich war einer der ersten Staaten, der mit allen Kernkraftwerke betreibenden Nachbarstaaten bilaterale Abkommen geschlossen hat, die zu einer frühzeitigen Informationsweitergabe und zur engen Zusammenarbeit im Bereich der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes verpflichten.

Auf Basis dieser bilateralen Abkommen wurde in den letzten Jahrzehnten der Austausch von notfallrelevanten Daten wie etwa der Online-Messwerte der Strahlenfrühwarnsysteme zwischen Österreich und seinen Nachbarstaaten vereinbart.

https://www.facebook.com/Gewessler/posts/299660971614342

 

Österreich hat – als eines von wenigen Ländern – Vorsorge getroffen, dass im Anlassfall die Einnahme von Kaliumiodid-Tabletten als wichtige Schutzmaßnahme insbesondere für Kinder und Jugendliche rasch flächendeckend durchgeführt werden kann.

Basierend auf der engen Zusammenarbeit beteiligen sich österreichische Behörden auch regelmäßig an Notfallübungen, die gemeinsam mit verschiedenen Nachbarstaaten abgehalten werden.

Unfälle nie auszuschließen

International führte die Katastrophe von Tschernobyl zu einer Reihe von Konventionen unter den Auspizien der IAEO. Damit wurde erstmal ein völkerrechtlich verbindliches Regelwerk geschaffen, allerdings ohne Sanktionsmechanismen. Doch gegen Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts schien der Schock des Unglücks bereits endgültig verdaut, auch in Europa wurde häufig von einer Renaissance der Kernenergie gesprochen. Mit der Katastrophe von Fukushima wurde aber einmal mehr deutlich, dass schwere Unfälle in Kernkraftwerken selbst bei intensivsten Bemühen und größter Sorgfalt nicht ausgeschlossen werden können. Seitdem sind weitere zehn Jahre vergangen und viele Ambitionen erneut sanft entschlafen. Da die Finanzierung von neuen Kernkraftwerken in liberalisierten Märkten ohne staatliche Intervention nicht möglich ist, werden sogar immer wieder Subventionen oder Anreizsysteme zugunsten der Kernenergie gefordert.

Atomfreies Österreich

Österreich hat sich schon 1978 in einer Volksabstimmung gegen die energetische Nutzung der Kernenergie ausgesprochen. Diese Entscheidung wurde bereits knapp ein Jahr später durch den schweren Unfall in Three Miles Islands (USA, 1979) bestätigt. Die Katastrophe von Tschernobyl hat jedoch besonders tiefe Spuren im Bewusstsein der Bevölkerung hinterlassen. Der gesellschaftliche und parteipolitische Konsens wurde schließlich im Jahr 1999 durch den einstimmigen Beschluss des Nationalrates, das Atomsperrgesetz als Bundesverfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich in den Verfassungsrang zu heben, manifestiert.

Heute ist Österreich im internationalen Vergleich Vorreiter bei der Nutzung erneuerbarer Energiequellen. So werden derzeit bereits mehr als 70 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen. Bis 2030 soll die Stromversorgung national bilanziell auf 100 Prozent Erneuerbare Energien umgestellt werden.

„Wir gehen mit gutem Beispiel voran und zeigen vor, wie die Energiezukunft aussehen wird. Wir werden bis 2030 nur mehr Strom aus Wind, Sonne, Wasser und Biomasse produzieren. Ökostrom ist sicher, klimafreundlich und schafft wertvolle und zukunftssichere Jobs in der Region“, so Gewessler

Erneuerbare Energiequellen sind dabei im Gegensatz zur Kernkraft nicht nur umweltfreundlicher, sondern bieten auch den Vorteil, dezentral produzieren zu können. Gerade im ländlichen Raum oder in der Peripherie eröffnet dies zusätzliche Beschäftigungschancen und kann zu einer weiteren Liberalisierung im Stromsektor und dadurch günstigeren Energiepreisen führen.

Um über Mythen rund um die Atomkraft aufzuklären, startet das Klimaschutzministerium heute auch eine Informationsoffensive. Die spannenden Grafiken und Faktenblätter mit weiterführenden Infos zeigen auf, wie es um die Atomkraft und deren Sicherheit steht.

Hier geht es zum kompletten Faktencheck:

»Es war einmal…« Die Märchen der Atomlobby

Weiterführende Links und Factsheets

10 Jahre nach der Katastrophe von Fukushima