17. September 2017
ESA-Direktor Aschbacher: „Erdbeobachtung rettet Menschenleben“
Wien – Noch nie ist ein Österreicher höher in der Hierarchie der europäischen Weltraumorganisation (ESA) aufgestiegen: Seit 2016 ist Josef Aschbacher einer der Direktoren der ESA und als solcher zuständig für das Erdbeobachtungsprogramm, das größte Direktorat der Organisation mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro. Sein Dienststandort ist das European Space Research Institut im italienischen Frascati, doch er hat auch ein Büro im Esa-Direktorium in Paris. Diese Woche hält er auf Einladung der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) einen Vortrag in Wien.
STANDARD: Sie sind Meteorologe und Geophysiker. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen der Erdbeobachtung der vergangenen Jahre?
Aschbacher: Nach dem Studium der Meteorologie und Geophysik an der Uni Innsbruck bin ich 1990 zur Esa gegangen. Seither hat sich wahnsinnig viel getan. Damals hatte die Esa noch keinen eigenen europäischen Erdbeobachtungssatelliten. Der erste solche Satellit, ERS1, wurde 1991 gestartet – das war ein Riesenschritt, nicht nur, weil er der erste europäische war, sondern auch in technischer Hinsicht: Er hatte ein aktives Radar an Bord, das hat es damals nirgends sonst gegeben, nicht einmal bei der Nasa. Ich bin zur Esa gekommen, um mit den Daten dieses Satelliten zu arbeiten und neue Projekte zu entwickeln.
STANDARD: Was hat sich seither verändert?
Aschbacher: Europa hat heute das beste Erdbeobachtungssystem der Welt: Copernicus. Es greift auf die Technologie von damals zurück, hat sie aber verfeinert und ergänzt. Die heutigen Sentinel-Satelliten (so nennen sich die Copernicus-Satelliten, Anm.) sind ein abgerundetes Konzept. Wir haben sechs Familien, die alle möglichen Bereiche mit diversen Instrumenten messen. Diese Daten sind für viele Anwendungen hilfreich – Landwirtschaft, Ozeanografie, Tourismus, Wettervorhersagen, Katastrophenschutz. Wir produzieren mit den Sentinels ein größeres Datenvolumen als alle Videos und Fotos, die täglich auf Facebook geladen werden – damit sind wir mitten im Big-Data-Bereich.
STANDARD: In welcher Dimension spielt sich das ab?
Aschbacher: Wir produzieren täglich zehn bis zwölf Terabyte an Daten, in unserem Archiv sind 35 Petabyte an Produkten heruntergeladen worden, und es ist ein massiver Anstieg, der sich durch Copernicus ergibt. Das System ist erst knapp drei Jahre in Operation, die Kurve geht exponentiell nach oben. Wir sind heute in einer sehr komfortablen Situation, von der ich, als ich Student war, nur träumen konnte. Ich habe meine Dissertation mit Daten von der Nasa gemacht, heute sind amerikanische Studenten interessiert, unsere Daten zu bekommen, weil wir die beste Datenquelle anbieten.
STANDARD: Welche künftigen Systeme würden Sie sich wünschen?
Aschbacher: Wir haben heute in der Esa elf Satelliten in Operation und 28 Satelliten im Bau. Das heißt, die unmittelbare Zukunft ist der Bau und Start dieser neuen Satelliten, aber parallel läuft die Entwicklung neuer Programme und Beobachtungssysteme, da sind wir sehr ambitioniert.
STANDARD: Welche Projekte sind bereits in Planung?
Aschbacher: Im wissenschaftlichen Bereich haben wir derzeit sechs sogenannte Earth-Explorer-Satelliten in Betrieb, die wissenschaftliche Daten liefern, etwa zur globalen Eisbedeckung oder zum Salzgehalt der Ozeane. Zwei weitere Earth Explorer befinden sich im Bau. Dann haben wir eine meteorologische Serie: Hier gibt es eine Weiterentwicklung des Systems aus geostationären und polarumlaufenden Satelliten für die Wetterbeobachtung. Der dritte Bereich ist Copernicus.
STANDARD: Welche Pläne gibt es für den Ausbau dieses Programms?
Aschbacher: Wir haben fünf Copernicus-Satelliten im Orbit und werden den sechsten, Sentinel-5P, am 13. Oktober starten. Die bisherigen Sentinels konzentrieren sich auf Messungen des Bodens und der Wasseroberfläche, Sentinel 5P wird die Atmosphäre untersuchen. Weitere 15 Sentinels, die wir bereits entwickeln, sollen in den nächsten Jahren starten. Darüber hinaus wird die Zukunft des Copernicus-Systems gerade dieser Tage definiert. Dafür planen wir ein Multi-Milliarden-Euro-Programm, das von der Esa und den EU-Staaten kofinanziert wird.
STANDARD: Für welchen Zeitraum ist das Budget veranschlagt?
Aschbacher: Etwa von 2019 bis 2027 – ab 2019 finanziert von der Esa, von 2021 bis 2027 von der EU. Allerdings ist das der Finanzierungszeitraum. Der Zeitraum für Entwicklung und Betrieb geht natürlich darüber hinaus.
STANDARD: Sie sagen, dass Europa das beste Erdbeobachtungsprogramm der Welt hat. Wie wichtig ist die Kooperation mit der US-Weltraumbehörde Nasa in diesem Bereich?
Aschbacher: Mit der Nasa arbeiten wir sehr gut zusammen, wir haben auch einige gemeinsame Missionen. Ein Beispiel ist Sentinel 6, das ist eine topografische Mission, um sehr genau die Änderungen der Höhe des Meeresspiegels zu vermessen. Die Nasa trägt wichtige Komponenten zum Satelliten bei, wir arbeiten aber auch in Wissenschaftsfragen eng zusammen.
STANDARD: Der Rhetorik nach sind Klimaforschung und Erdbeobachtung keine Prioritäten des US-Präsidenten Donald Trump. Wie könnte sich die Weltraumpolitik dieser Administration und des wahrscheinlichen neuen Nasa-Direktors James Bridenstine auf das Erdbeobachtungsprogramm auswirken?
Aschbacher: Der neue Administrator Bridenstine muss erst bestätigt werden, aber das wird wohl passieren. Er ist von der Trump-Administration eingesetzt und wird deren Politik implementieren. Wie wir wissen, hat der US-Präsident kein großes Interesse an Klimaforschung. Im Gegenteil: Er ist dabei, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, und ist sehr skeptisch gegenüber der Klimaforschung und dem Klimawandel eingestellt. Das schlägt sich teilweise auf die Budgets der Nasa nieder. Der Präsident hat vorgeschlagen, das Earth-Science-Programm um 250 bis 300 Millionen Dollar pro Jahr zu kürzen. Es gibt noch einen Vorschlag des Hauses und des Senats, die das Budget verhandeln und dem Präsidenten zur Unterzeichnung vorlegen. Der Senat ist sehr positiv gegenüber der Erdbeobachtung eingestellt und hat das Budget in seinem Vorschlag wieder erhöht auf den derzeitigen Betrag. Jetzt kommt es darauf an, wie die Verhandlungen laufen. Ich glaube, es wird nicht ganz so trist sein, wie befürchtet.
STANDARD: Wie würde sich die Partnerschaft zwischen Nasa und Esa verschieben, wenn es doch zu den Budgetkürzungen kommt?
Aschbacher: Die Kernaufgaben der Nasa im Bereich Earth Science sind durch die Budgetkürzungen nicht in Gefahr. Dazu zählt der Betrieb der Satelliten und die wissenschaftliche Untersuchung des Systems Erde. Es gibt aber Bereiche – Präsident Trump hat fünf Missionen vorgeschlagen -, die gekürzt oder verzögert werden könnten. Dazu zählen etwa atmosphärische Messungen von CO2 – da kann es passieren, dass Europa verstärkt eintreten muss, um die Messungen sicherzustellen.
STANDARD: Kommen wir zur Rolle Österreichs: Welchen Beitrag leistet das Land zum Erdbeobachtungsprogramm und zur Esa?
Aschbacher: Österreich ist ein sehr wichtiger Partner in der Erdbeobachtung, und in der österreichischen Weltraumforschung ist die Erdbeobachtung die erste Priorität, wo das meiste Geld investiert wird. Das freut mich als österreichischen Direktor sehr, und es macht gesellschaftlich Sinn: Die Daten der Erdbeobachtung können sehr direkt zum Nutzen der Bevölkerung verwendet werden. Externe Berater haben errechnet, dass ein Euro investiert in das Erdbeobachtungssystem Copernicus einen Nutzen von zehn Euro für die Gesellschaft bringt.
STANDARD: Wie profitieren die Menschen von der Erdbeobachtung?
Aschbacher: Aktuell zeigt sich beim Hurrikan Irma: Durch die Erdbeobachtung können Schäden durch Naturkatastrophen minimiert und auch Menschenleben gerettet werden. Durch die Erdbeobachtungsdaten können Frühwarnsysteme für Unwetter und Extremereignisse aufgebaut und verbessert werden. Erdbeobachtungsdaten können aber auch zur Schadensbestimmung nach dem Ereignis verwendet werden, etwa von Versicherungen. Durch Daten zu Klimafragen lässt sich der Klimawandel besser messen und studieren. Auch liefern wir Daten zur Änderung der Landnutzung, was für die Land- und Fortwirtschaft hilfreich sein kann. Für Tourismusgebiete sind die Daten zu Wettervorhersagen und Änderungen der Schneelage entscheidend – die Erdbeobachtung hat also einen sehr direkten sozialen Nutzen.
STANDARD: Sie halten morgen, Donnerstag, in Wien einen Vortrag zu Weltraumforschung und Digitalisierung – worum geht es dabei?
Aschbacher: Durch die Digitalisierung ist, was vor 30 Jahren komplett unvorstellbar war, heute Standard. Die Frage ist, wie sich die Weltraumforschung in weiteren zehn Jahren mit neuen Methoden wie künstlicher Intelligenz entwickeln wird. Eine der größten Herausforderungen ist, wie man sehr viele und diverse Daten schnell prozessieren und die wichtigen Informationen herausfiltern kann. Mozart hat einmal gesagt, es gibt so viele Noten und all diese Noten ergeben keinen Sinn, wenn man nicht die wenigen guten herauspickt, die eine harmonische Melodie ergeben. Wir haben in etwa dasselbe Problem: Wir haben so viele Daten, und die Kunst ist, herauszufinden, welche Daten wesentlich sind für die Fragen, die wir uns stellen. (David Rennert, Tanja Traxler, 13.9.2017)