20. April 2016

Der Mensch im Netz der klugen Maschinen

Wien – „Ein Auto ist mittlerweile eigentlich ein Computer, der auch fahren kann, genauso wie ein Kühlschrank ein Computer sein wird, der auch Lebensmittel einfrieren kann.“ Mit Sätzen wie diesen beschreibt Thomas Henzinger, Informatiker und Präsident des IST Austria in Maria Gugging bei Klosterneuburg, ein teilweise längst Realität gewordenes Szenario, das man vor fünfzig Jahren noch für eine Textstelle eines Science-Fiction-Romans gehalten hätte. Möglich wird diese Entwicklung durch Cyber-Physical Systems (CPS) – die Symbiose von selbstlernender Software und elektronischen Geräten, die ursprünglich nicht für den Internetzugang geplant wurden, aber damit deutlich mehr können, als jemals für möglich gehalten wurde.

Diese Geräte sind über Antriebstechnologien und Sensoren mit der Außenwelt verbunden. Das Auto kann dadurch, wenn es dafür ausgerüstet und programmiert ist, autonom fahren, und das sogar sicherer, als jeder menschliche Fahrer es könnte. Der Kühlschrank registriert, ob ein häufig gebrauchtes Lebensmittel zur Neige geht, und erinnert den Besitzer via SMS an den notwendigen Einkauf oder bestellt ihn gleich selbst.

Der Charme der Cyber-Physical Systems ist: Sie verändern die Welt unmerkbar, aber nachhaltig. Henzinger: „Es ist nicht so, dass wir dann umringt von Bildschirmen leben. Cyber-Physical Systems revolutionieren den Alltag unter der Oberfläche.“ Irgendwann wird man also das selbstfahrende Auto, in dem der Besitzer zeitunglesend und kaffeetrinkend sitzt, genauso normal finden wie U-Bahn-Fahrgäste, die am Handy E-Mails lesen.

Eingebettete Systeme

Der Beginn dieses Technologietrends reicht in die frühen Jahre unseres Jahrtausends zurück. Damals gab es sie bereits: Software, die in Produkten traditioneller Ingenieurstechnik implementiert war, um im Hintergrund Steuerungs- oder Regelfunktionen zu übernehmen. Die Systeme, man sagte dazu Embedded Systems, waren aber isoliert und nicht mit anderen Systemen verknüpft. Beispiel: der Airbag im Fahrzeug.

Damals trafen einander Experten in einem Büro der US-amerikanischen National Science Foundation (NSF). Es galt einen neuen, schicken Namen für eine neue Initiative zu finden, um diese besagte Verknüpfung von Elektronik und Software zu fördern. Henzinger war damals dabei und meint heute gegenüber dem STANDARD: „Cyber-Physical Systems klingt viel grandioser als Embedded Systems – das war wohl der Hauptgrund: ein griffiger neuer Name für ein Forschungsprogramm.“

Er fand die Umbenennung wie andere Wissenschafter auch reichlich unnötig, zumal damals längst das mathematische Fundament für derartige Systeme geschaffen worden war – unter anderem von Henzinger selbst – und der Name Hybrid Systems eigentlich etabliert schien: Gemeint waren Automaten, die zwei mathematische Prinzipien kombinierten. Die diskrete Mathematik, in der sich Schritt für Schritt verändernde Systeme berechnet werden (die Softwaresteuerung im fliegenden Flugzeug zum Beispiel), und die kontinuierliche Mathematik, die Systeme betrachtet, die sich fließend verändern (zum Beispiel die Koordinaten, Geschwindigkeit und Außentemperatur des fliegenden Flugzeugs).

Mit dem neuen Programm der National Science Foundation erhielten die Forschungen immerhin einen neuen Schub: Die Rechner wurden schneller, die selbstlernenden Programme hatten früher als erwartet Eigenschaften, die Benutzer weitreichend unterstützen. Mittlerweile ist die Technologie längst in der Industrie angekommen. Henzinger: „Große Unternehmen wissen, dass es ohne Cyber-Physical Systems nicht mehr gehen wird. Auch in der Industriefertigung ist man als Mensch längst von selbstlernenden Roboterprogrammen umgeben, Maschinen, die in der Produktion eigenständig arbeiten, die aber auch untereinander kommunizieren.“ Das Schlagwort Industrie 4.0 ist in aller Munde und ziert die Titel einiger Förderprogramme für Anwendungsforschung.

Das Interesse an der vergangene Woche von Henzinger und von Computerwissenschafter Radu Grosu von der TU Wien organisierten CPS Week in Wien war dementsprechend groß und nicht auf Grundlagenforscher beschränkt. Wissenschaft und Industrie waren sich einig, dass diverse Sicherheitsfragen zu den großen künftigen Herausforderungen zählen: Wie kann man als Besitzer eines selbstfahrenden Autos sichergehen, dass das System einerseits mein Fahrverhalten kennenlernt, aber diese Daten andererseits nicht weitergibt? Sowohl Henzinger als auch Grosu sagen, dass dazu noch der gesellschaftliche Diskurs fehlt.

Ungeklärte Datenfragen

Grosu: „Noch ist rechtlich nicht einmal die Frage geklärt, wem die Daten gehören, die im Auto gesammelt werden. Ich würde schon sagen, dass sie dem Besitzer des Fahrzeugs gehören. Was aber passiert, wenn die Daten weitergegeben werden? Wie stelle ich sicher, dass ich meine Rechte erstreiten kann?“ Grosu, der unter anderem an der Optimierung von Herzschrittmachern forscht, meint, dass man mit Cyber-Physical Systems neue Geschäftsmodelle entwickeln könnte. Auch ein Smart Grid von Stromanbietern sei nichts anderes als ein derartiges System. „Wenn man als Kunde mit Datensammlung einverstanden ist, könnte man den Strom vielleicht entsprechend billiger erhalten“, sagt Grosu. Die Entscheidung muss selbstverständlich beim Endverbraucher liegen.

Einen breiteren Diskurs über gesellschaftliche Auswirkungen von Cyber-Physical Systems verlangt auch Helmut Leopold, Leiter des Digital Safety & Security Department am Austrian Institute of Technology (AIT). „Bei künftigen Anwendungen muss man das Thema im Design der Technik mitdenken – auch dort, wo Sicherheit nicht vordergründig eine Rolle spielt.“ Leopold spricht von Autobauern, Maschinenbauern und Elektrotechnikern.

Die Daten müssten vor Zugriffen von außen sicher sein, aber auch schnell innerhalb des Systems weitergeleitet werden, um etwa bei autonomen Fahrzeugen kein Sicherheitsrisiko einzugehen.“ Dafür werde es auch einer neuen Funktechnologie bedürfen, die fünfte Generation (5G) sei bereits in Entwicklung. Fahrzeuge untereinander könnten ein Netzwerk bilden, das dem Internet vorgelagert sei.

Schließlich sollte das Cyber-Physical System „robust“ sein, sich also an geänderte Umstände anpassen können. Unvorhergesehene Entwicklungen dürften nicht zum Zusammenbruch führen. Henzinger: „Wenn man einen Buchstaben eines Programms ändert, kann das zum Absturz führen.“ Cyber-Physical Systems müssten stabiler sein – so wie eine Brücke, die trotz einer fehlenden Schraube stehen bleibt. (von Peter Illetschko, Der Standard)