Kategorie Klima- & Umweltschutz - 17. Juni 2024

EU-Renaturierungsgesetz durch Österreichs Ja angenommen

Nachdem Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler zustimmte, kam eine knappe Mehrheit für die Verordnung zustande

Das EU-Renaturierungsgesetz ist mit einer knappen Mehrheit im Rat der EU-Staaten in Luxemburg angenommen worden. Möglich wurde dies durch die Zustimmung von Österreichs Klimaschutzministerin Leonore Gewessler.

„Die heutige Entscheidung ist ein Sieg für die Natur“, sagte Gewessler in einer ersten schriftlichen Reaktion nach der Abstimmung. „Heute senden wir aus Luxemburg  ein Signal – so dürfen wir nicht weitermachen. Unsere Natur hat sich unseren Schutz verdient.“

„Mein Gewissen sagt mir unmissverständlich: wenn das gesunde und glückliche Leben künftiger Generationen am Spiel steht, braucht es mutige Entscheidungen. Deshalb habe ich heute für dieses Naturschutzgesetz gestimmt“, hielt Gewessler weiter fest. Die Europäische Union stelle sich „geeint hinter den Schutz unserer Lebensgrundlage“. Das Renaturierungsgesetz sichere Zukunft: „Wir geben der wunderbaren Artenvielfalt in unserer Heimat den Platz, der ihr zusteht. Wo früher ein lebendiger Bach war, ist heute ein betonierter Kanal. Wo früher eine wilde Blumenwiese war, finden wir heute nur mehr eine Betonwüste.“

Eine Sprecherin des Bundeskanzlers Karl Nehammer teilte der APA nach der Abstimmung mit, dass gegen Gewesslers Votum Nichtigkeitsklage beim EuGH eingebracht werden soll. Dagegen sagte der belgische EU-Ratsvorsitzende Alain Maron vor dem heutigen Treffen noch, dass man die Möglichkeit eines Votums legal überprüft habe. „Auf unserer Seite wird vom anwesenden Minister im Raum abgestimmt, so läuft das ab“, antwortete er auf eine Frage zu Nehammers Ankündigung einer Klage vor dem EuGH. „Für den Rest ist das eine innerösterreichische Kontroverse, die mich nichts angeht.“

Rückendeckung erhielt Gewessler dazu auch von Vize-Kanzler Werner Kogler. „Es ist ein historisches Ja zum aktuell weltweit wichtigsten Naturschutzvorhaben“, so Kogler in einer Aussendung.

Bis zuletzt war unklar, ob die nötige qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der EU-Länder, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren) zustande kommt. Am Ende stimmten 20 Länder dafür, deren Bevölkerung in Summe 66,07 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung ausmachen. Hätte Österreich sich also enthalten oder dagegen gestimmt, wäre keine Mehrheit für das EU-Gesetz zustande gekommen. Italien, Ungarn, Polen, Finnland und Schweden stimmten dagegen. Belgien enthielt sich. Nachdem das EU-Parlament bereits für die Verordnung gestimmt hatte, kann das Renaturierungsgesetz im Prinzip nun in Kraft treten.

„Es ist ein ausgewogener, ein starker Kompromiss zustande gekommen, der die Interessen der Landwirtschaft berücksichtigt“, begründete die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke ihre Zustimmung im Rat.

Umweltverbände sehen „historischen Fortschritt“

Das EU-Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) ist ein zentraler Teil des umfassenden Klimaschutzpakets „Green Deal“, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden soll. Das übergeordnete Ziel ist die langfristige und nachhaltige Wiederherstellung biologisch vielfältiger und widerstandsfähiger Ökosysteme. Das bedeutet unter anderem aufgeforstete Wälder, wiedervernässte Moore sowie natürlichere Flussläufe und infolge den Erhalt der Artenvielfalt.

Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission vom Juni 2022 stieß auf viel Kritik. In den Verhandlungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und dem Europaparlament wurde die Verordnung aber abgeschwächt und den EU-Ländern wesentlich mehr Flexibilität bei der Umsetzung eingeräumt. Trotzdem schwenken einige Staaten trotz Kompromiss unter dem Eindruck von Bauernprotesten und der EU-Wahl um. Dadurch war bis zunächst unklar, ob die nötige Mehrheit im Rat der EU-Staaten zustande kommen würde.

Sehr erfreut über die Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz haben erwartungsgemäß die großen Umwelt-NGOs reagiert. Greenpeace sprach am Montag in einer Aussendung von einem „Meilenstein“, der WWF sah einen „historischen Fortschritt“ und Global 2000 ein „wichtiges Werkzeug im Kampf gegen die Biodiversitätskrise und die Klimakrise“. Auch der Alpenverein ortete ein „starkes Zeichen für unsere Natur“.“Umweltministerin Gewessler hat volle ökologische Verantwortung übernommen und so das wichtigste Naturschutzgesetz überhaupt für Europa möglich gemacht. Das ist eine großartige Nachricht für unsere Natur, zahllose bedrohte Arten und unsere Zukunft“, sagte Greenpeace-Sprecherin Ursula Bittner.

„Das ist ein großer Sieg für die Natur und ein Gewinn für uns alle: Denn intakte Ökosysteme sind unsere besten Verbündeten gegen die Folgen der Klima- und Biodiversitätskrise“, sagte WWF-Programmleiterin Hanna Simons. „Umweltministerin Leonore Gewessler hat mit ihrem Ja gemeinsam mit vielen anderen Staaten eine qualifizierte Mehrheit ermöglicht und das Gesetz damit gerettet. Das verdient höchste Anerkennung und Respekt“, so Simons weiter. Mit einer guten nationalen Umsetzung werde die EU-Verordnung „die Artenvielfalt erhöhen, den Klimaschutz fördern und die Ernährungssicherheit Europas langfristig stärken“.Die Umweltschutzorganisation Global 2000 begrüßte, „dass Umweltministerin Gewessler heute Verantwortung übernommen hat und den Beschluss des Gesetzes möglich machte“, so Umwelttechniker Helmut Burtscher-Schaden. Über 80 Prozent der europäischen Lebensräume seien derzeit in schlechtem Zustand. „Bei der Wiederherstellung der Natur geht es nicht nur um Tiere und Pflanzen. Grundlegende Prozesse wie gesunde Böden, Klima, Wasser- und Nährstoffkreisläufe hängen von der biologischen Vielfalt ab. Intakte Ökosysteme sind eine wichtige Voraussetzung, um die Folgen der Klimakrise abfedern zu können“, sagte Burtscher-Schaden.Der Umweltdachverband sprach wiederum von einer „richtigen und wichtigen Entscheidung“, die einen Wendepunkt für die „ökologische Abwärtsspirale in Europa“ bedeuten könne. „Das gemeinsame Ergebnis liefert zentrale Zielvorgaben zur Erholung der Natur, bietet für die Mitgliedstaaten aber auch ausreichend Freiraum und Finanzierungshilfe für eine praxisgerechte Umsetzung“, reagierte Franz Maier, Präsident des Umweltdachverbandes. Jetzt gelte es, „den Auftrag zur Rettung der Natur in einen nationalen Wiederherstellungsplan zu übersetzen“.Auch der Österreichische Alpenverein (ÖAV) begrüßte den Beschluss des Gesetzes. „Das Renaturierungsgesetz ist ein ‚Gipfelsieg‘ auch für alpine Naturräume“, sagte Präsident Wolfgang Schnabl in einer Aussendung und sprach von einer „verantwortungsbewussten Entscheidung“ auf EU-Ebene. Die Alpen beherbergen eine „einzigartige Vielfalt an Pflanzen und Tierarten“, deren Verlust treibe die Biodiversitätskrise „drastisch voran.“ Für Liliana Dagostin, Naturschutzexpertin des Alpenvereins, verleihe erst das Gesetz dem „europäischen Green Deal ein Herz und eine Seele.“

Führt diese Verordnung zu einer Bürokratisierung und Überlastung der Landwirtschaft? Das Gesetz ist ausgewogen und beinhaltet konkrete Unterstützung für die Landwirtschaft – gerade, wenn es um Finanzmittel geht. Die Fördermöglichkeiten sind vielfältig und der zeitliche Rahmen erstreckt sich mit Abstufungen bis 2050. Die Verordnung trägt dazu bei, die Budgets für ökologische Leistungen der Bäuerinnen und Bauern, wie zum Beispiel das ÖPUL oder Maßnahmen für den Waldumbau abzusichern und auszuweiten. Die Zeitpläne des Wiederherstellungsgesetzes wurden in der überarbeiteten Form adaptiert: Der erste Wiederherstellungsplan darf nun primär nur die Ziele und Maßnahmen bis 2030 umfassen. Erst der nächste Plan (2032) soll auch die 2040er und 2050er Ziele umfassen.


Gefährdet das Renaturierungsgesetz die Ernährungssicherheit? Im Gegenteil: Die Ernährungssicherheit steht bei diesem Gesetz an vorderster Stelle und wird als zentrales Ziel der Verordnung definiert: „Dies ist notwendig, um eine bezahlbare, gesunde und nachhaltige Lebensmittelproduktion zu gewährleisten.“ Ziel ist es, die Lebensmittelproduktion insgesamt zu verbessern, indem fruchtbarerer Boden, bessere Widerstandsfähigkeit gegen extreme Wetterbedingungen, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Produktivität geschaffen werden. Zusätzlich wurde die folgende Klausel in das NRL eingebaut: „Bei Gefahr für die Versorgung mit Lebensmitteln, kann die Kommission die Umsetzung von Artikel 11 (zu landwirtschaftlichen Ökosystemen) aussetzen.“


Bringt die Umsetzung wirtschaftliche Nachteile für Österreich? Die EU-weite Umsetzung hat den Vorteil, dass nicht nur Österreich, sondern auch alle anderen Mitgliedstaaten wirksame Maßnahmen umsetzen. EU-weite Standards verhindern eine Wettbewerbsverzerrung und bewirken, dass die österreichische und europäische Bevölkerung auch von den Maßnahmen der 26 anderen EU-Staaten profitiert. Die anfallenden nKosten für die Renaturierung werden  von vielen positiven wirtschaftlichen Effekten mehr als kompensiert. Laut Wirkungsanalyse der EU-Kommission schaffen Wiederherstellungsprojekte nicht nur Arbeitsplätze vor Ort, sondern bieten auch Entwicklungsperspektiven insbesondere in ländlichen und deindustrialisierten Gemeinden.